Zwölf-Prozent-Umfrage Die Angst der Piraten vor dem eigenen Erfolg

Von der Nischenpartei zur einflussreichen Kraft auch im Bund? Der Erfolg der Saarland-Wahl katapultiert die Piraten in einer deutschlandweiten Umfrage auf zwölf Prozent. Doch nicht alle Aktiven freuen sich über den Höhenflug. Die Angst wächst, die hohen Erwartungen nicht erfüllen zu können.
Jubelnde Piraten in Berlin (Archivfoto): "In der Masse angekommen"

Jubelnde Piraten in Berlin (Archivfoto): "In der Masse angekommen"

Foto: Carsten Koall/ Getty Images

Berlin - Eine Zahl schreckt die Parteienlandschaft auf. Seit Meinungsforscher den Piraten am Dienstag einen Umfragewert von zwölf Prozent attestierten, überbieten sich Vertreter etablierter Parteien in Attacken gegen die Polit-Neulinge. Doch nicht nur die Profis sind alarmiert. Paradoxerweise sind es die Piraten ebenfalls.

Denn auch wenn Umfragen nur eine Momentaufnahme sind und je nach Institut schwanken - zwölf Prozent an bundesweiter Zustimmung machen ein Szenario, das vor der Saarland-Wahl undenkbar gewesen wäre, plötzlich realistisch: Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, säßen die Piraten mit rund 70 Abgeordneten im Bundestag.

"Wir sind in der breiten Masse angekommen", sagt Bundeschef Sebastian Nerz SPIEGEL ONLINE. Forsa-Chef Manfred Güllner bescheinigt den Piraten, sie seien eine "Volkspartei im Mini-Format". Genau da liegt das Problem. Die zwölf Prozent, sie lassen einen Richtungsstreit aufbrechen, den die deutschen Piraten seit ihrer Gründung 2006 mit sich herumschleppen.

Will man eine Meta-Partei sein, die sich vor allem für die Verbesserung politischer Prozesse interessiert? Oder will man als inhaltlich breit aufgestellte, starke Fraktion im Bundestag sitzen, Verantwortung für Entscheidungen übernehmen - auch fern der eigenen Kernthemen? Die Zahl Zwölf, sie macht die Perspektive von Piraten, die bei den Großen mitspielen, plötzlich greifbar. Für viele Piraten ist das kein schöner Ausblick. Weil sie ihre ureigenen Ideale gefährdet sehen.

Mein Feind, die Volkspartei

Für den Berliner Abgeordneten Oliver Höfinghoff ist allein der Gedanke daran, sofort zweistellige Wahlergebnisse zu erzielen, ein Graus. "Wenn wir Volkspartei werden, bin ich weg", twitterte er am Dienstag . Höfinghoff sitzt als einer von 15 Piraten im Abgeordnetenhaus von Berlin. Seit fünf Monaten muss er Realpolitik machen. "In kleinen Dosen ist das auch okay", sagt er. In Ausschüssen mitarbeiten, Anträge einbringen, Piratenziele vertreten, das könne man schließlich auch als kleine Oppositionsfraktion.

Doch zu schnell dürfe die Erfolgswelle der Piraten nicht gehen, warnt der 34-Jährige: "Wenn wir uns in unseren Strukturen zu sehr den etablierten Parteien annähern, dann können wir irgendwann keine Visionen mehr verfolgen." Höfinghoff sieht in Volksparteien kein Mittel zum Zweck, die Bedürfnisse möglichst viele Bürger im Parlament zu vertreten. "Denn in der Praxis funktioniert doch genau das längst nicht mehr." Mit dem permanenten Streben der großen Parteien, ihre Heimat in der breiten Mitte der Bevölkerung zu finden, würden sie "profillos, unglaubwürdig und austauschbar", meint der Abgeordnete. "Das ist nicht der Anspruch, den die Piratenpartei verfolgen sollte."

Ähnlich sieht es der Berliner Pirat Klaus Peukert, der sich auf dem Bundesparteitag Ende April um einen Platz im Bundesvorstand bewirbt. Zwölf Prozent, "das ist schon fast ungesund hoch", sagt der IT-Experte. Peukert fürchtet einen "kollektiven Höhenflug", der Piratenmitglieder bei anhaltend guten Umfragewerten befallen könnte. Oberste Priorität müsse es jetzt sein, am Programm zu feilen und sich auf die Inhalte zu fokussieren. Den Piraten müsse klar sein, dass man nicht nur mit "viel Brimborium ins Parlament einziehen kann, sondern auch liefern muss".

Alter Streit in neuem Gewand

Aussagen wie diese dürften Piraten-Kritikern, die die Newcomer-Partei für ihre Unfertigkeit und Widersprüche angreifen, neue Munition geben. Haben die Piraten nicht selbst die Form einer Partei gewählt? Sollte eine Partei nicht danach streben, möglichst viele Bürger zu repräsentieren? Und müsste die Zeit des "Welpenschutzes" nicht langsam vorbei sein?

Will man die Debatte verstehen, muss man ein wenig in die noch junge Geschichte der Partei schweifen. 2009 holten die Piraten bei der Bundestagswahl gut zwei Prozent. Damals überzeugten sie mit ihrer Kampagne gegen Internetsperren vor allem junge, netzaffine Wähler. Danach stritt die Partei eine ganze Weile nur noch mit sich selbst. Eine bittere Debatte zwischen "Kernis", die ein Kernprogramm rund um Internetthemen forderten, und "Vollis", die das Programm zum Beispiel um Umwelt- oder Bildungsthemen erweitern wollten, entbrannte.

All das ist nicht einmal zwei Jahre her. Bundeschef Sebastian Nerz sieht den alten "Kerni"-gegen-"Volli"-Krach zwar beigelegt. "Es ist mittlerweile Konsens, dass wir in die Parlamente wollen", sagt er. Würden die Piraten wirklich einmal zweistellige Wahlergebnisse einfahren, hieße das aber, "dass wir in der Lage sein müssen, zu einem breiten Spektrum von Themen grundsätzliche Fragen zu beantworten".

Der Piraten-Vorsitzende räumt ein, einige Mitglieder hätten Angst, "dass wir zu schnell in den Politikalltag vordringen und uns von ihm okkupieren lassen". Doch was ist, wenn die Piraten noch mehr Landesparlamente entern, sich auch auf Bundesebene beweisen müssen? Spätestens dann würde der Anspruch der Partei, die sich flachmöglichste Hierarchien auf die Fahne geschrieben hat, mit dem natürlichen Machtgefälle zwischen Fraktion und Basis kollidieren.

Die Piraten eint bislang nur die Vorstellung davon, wie Politik im Idealfall aussehen müsste, von einem konkreten Konzept ist man weit entfernt. "Wir wollen, dass Bürger und Parteimitglieder maximalen Einfluss auf die Entscheidungen von Piraten haben, die im Parlament sitzen", erklärt die Berliner Piratin Julia Schramm, "soweit das im Rahmen eines freien Mandats möglich ist."

Wer am Ende bei einer Abstimmung die inhaltliche Hoheit hat - der Abgeordnete, die Basis, die Teilnehmer einer Bürger-Petition - , und wie man das mit dem Grundgesetz vereinbaren kann, all das sei "noch nicht klar definiert", fügt sie hinzu. "Wir wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, wie wir damit in der Praxis umgehen werden." Durch die reale Perspektive eines Bundeserfolgs steige nun der Druck, schnell zu einer Entscheidung zu kommen. "Deshalb sind die zwölf Prozent auch ein Ansporn."

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