Plagiatsvorwürfe Guttenberg tauscht Doktor gegen Karriere

Plagiatsvorwürfe: Guttenberg tauscht Doktor gegen Karriere
Foto: Marius Becker/ dpaKelkheim - will nicht zurücktreten. Er will kämpfen, die Plagiatsaffäre durchstehen. Für dieses Signal reist er nach Kelkheim in den Kommunalwahlkampf. Das liegt in Südhessen und ganz nah an Eschborn, der Heimat . Genau! Jener Koch, der gleich zu Beginn seiner Regierungszeit als Ministerpräsident eine Parteispendenaffäre durchgestanden hat, die manch anderen Politiker sofort hinweggefegt hätte.
Roland Koch sitzt an diesem Montagabend recht zufrieden in der übervölkerten Kelkheimer Stadthalle neben dem Verteidigungsminister Guttenberg, der Dutzende Passagen seiner Doktorarbeit einfach abgeschrieben hat. Und deshalb dieser Tage ein massives Problem hat.
Aber mit Problemen kennen sie sich aus in der konservativen Hessen-CDU, die den inoffiziellen Beinamen Stahlhelm-Flügel trägt. Eben haben sie Guttenberg mit AC/DC in den Saal hineingespielt, jetzt spricht Kochs Nachfolger vorne auf der Bühne vom Wind, der einem entgegenwehen kann und hat den prominenten Gast im Blick: "Wir haben da Erfahrung", sagt Bouffier. "Wir haben immer gestanden. Und nachher waren wir stärker als zuvor." Er sagt schließlich noch etwas in Sachen Kameradschaft und dann darf Guttenberg ran.
Es wird ein starker Auftritt.
Vor allem aber eine Abrechnung: mit sich selbst und mit den Medien. Es ist ein Befreiungsschlag durch Selbstkritik - und eine Kampfansage. Schwarz und Weiß. Wir hier, die dort. So hat Roland Koch Politik gemacht. Damit war Franz Josef Strauß erfolgreich. Es ist ein neuer Guttenberg zu beobachten an diesem Abend. Ein Guttenberg mit Stahlhelm.
Der beginnt mit einem Paukenschlag. Denn der Freiherr verzichtet auf seinen Doktortitel, die Prüfung der Universität Bayreuth wartet er gar nicht mehr ab. Zu erdrückend offenbar findet er nun selbst die Plagiatsvorwürfe. "Ich habe mich am Wochenende noch mal mit meiner Doktorarbeit beschäftigt und feststellen müssen, dass ich gravierende Fehler gemacht habe", gesteht Guttenberg ein. Das seien Fehler, die den wissenschaftlichen Kodex nicht erfüllten. Er habe aber nicht bewusst getäuscht, versichert er.
"Ungemein gemütliches Wochenende"
In den sechs oder sieben Jahren des Entstehungsprozesses der Arbeit habe er "den Überblick über die Quellen verloren". Es sei mitunter "Peinliches" dabei herausgekommen, wie etwa die Einleitung seiner Arbeit. Diese stammt zum Teil aus einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Guttenberg: "Ich bin ein Mensch mit Fehlern und Schwächen und stehe auch öffentlich zu meinen Schwächen." Er entschuldige sich "von Herzen" bei jenen, die er mit Blick auf seine Dissertation verletzt habe. Und er sagt: "Die Entscheidung, den Doktortitel nicht zu führen, schmerzt."
Das hört sich ganz anders an als noch bei jenem dubiosen Statement vor ausgewählten Fernsehkameras am vergangenen Freitag, als Guttenberg von oben herab verkündete, er werde seinen Titel nach der Prüfung durch die Universität selbstverständlich wieder tragen.
Aber dann folgte jenes medial "ungemein gemütliche Wochenende", wie Guttenberg ironisch sagt. Spekulationen um seinen Rücktritt inklusive. In der Union, besonders in der CSU, sind sie seit Tagen alarmiert: Verlieren Sie ihren Hoffnungsträger?
Das Klima wird rauer, SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sieht in Guttenbergs Titelverzicht "panikartige Flucht". Der Minister leide "unter einem Realitätsverlust, der kurz vor dem Rücktritt kommt". Und SPD-Chef Sigmar Gabriel vergleicht Guttenberg mit Italien-Premier Silvio Berlusconi, CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt revanchiert sich mit einer Relation: "Das Verhältnis von Gehirnmasse zu Körperumfang" sei bei Gabriel "immer ungünstiger".
Die Verbalinjurien zeigen: Für die Union geht es um viel. Und für Guttenberg um alles.
Der nimmt sich in Kelkheim nicht den politischen Gegner, sondern die Medien vor. Er äußere sich hier im Hessischen, und nicht vor der Hauptstadtpresse in Berlin: "Sie sollen es aus erstem Munde erfahren und nicht durch die Kommentierung." Es ist der Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung, den Guttenberg da macht und zu dem zuletzt Guido Westerwelle griff, als er wegen seiner Äußerungen zu "spätrömischer Dekadenz" unter Druck geraten war.
Es ist ein Mittel bedrängter Politiker.
Endspiel im Taunus
"Ich bin bereit, mich vor die Öffentlichkeit zu stellen und nicht nur vor die Hauptstadtpresse", sagt nun Guttenberg unter großem Jubel. "Bravo!", rufen sie im Publikum. "Diese Herangehensweise mit Selbstkritik", sagt Guttenberg, müsse man vielleicht "auch mal bei jenen anwenden, die die Politik beobachten". So sei in der letzten Woche "mit Sondersendungen und allem Pipapo" über seine Dissertation berichtet worden, gleichzeitig aber der Tod dreier Soldaten in Afghanistan zur "Randnotiz verkommen".
Guttenberg ist aufgeregt. Er spricht manchmal gepresst ins Mikrofon, als sei er gerade ein, zwei Stockwerke hochgelaufen. Es ist sein Endspiel im Taunus.
Er gibt den Unangepassten, den Anti-Politiker, den Mann des Volkes. Ein Beispiel: Thilo Sarrazin? Ehrliche Bestandsaufnahme der Probleme, falsche Schlussfolgerungen, findet Guttenberg. Dennoch: "Es war wichtig und lohnend, auch mal dieses Buch zu lesen", sagt er. Die Kanzlerin, daran muss hier noch einmal erinnert werden, hat ja damals ihr Nicht-Lesen öffentlichgemacht.
Das Signal des Abends ist klar: Fehler gemacht, Rücktritt ausgeschlossen. Nein, sagt Guttenberg, "eine altfränkische Wettertanne hauen solche Stürme nicht um". Noch am Montagabend hat Guttenberg seiner ehemaligen Universität einen Brief zugeleitet, in dem er um die Rücknahme des Titels bat.
Ein Uni-Sprecher sagt: Zur Begründung führe der Minister aus, dass er bei nochmaliger Durchsicht seiner Dissertation "gravierende handwerkliche Fehler festgestellt" habe, die "nicht mit wissenschaftlichem Arbeiten zu vereinbaren sind". Noch am Dienstag werde man sich nun in Bayreuth mit Guttenbergs Bitte befassen und die nötigen Schritte für die Aberkennung des Titels einleiten. Nach wie vor sei aber nach der Promotionsordnung ein ordentliches Verfahren zur Prüfung der Dissertation nötig: "Mit dem Statement des Ministers ist es aber einfacher geworden", heißt es.
Ist der Befreiungsschlag gelungen?
"Karl-Theodor zu Guttenberg braucht keinen Doktortitel, um sein Amt auszuüben", sagt CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Und Guttenberg selbst? Der wirkt entspannt auf seinem abendlichen Rückflug nach Berlin. Und ganz im Gegensatz zum Hinflug posiert er diesmal auch mit der Crew für ein Foto. Natürlich lächelt er da.