
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Der Rückschlag


Rainer Brüderle
Foto: Maurizio Gambarini/ picture alliance / dpaErinnert sich noch jeder an Rainer Brüderle? Den Wirtschaftsminister und FDP-Politiker aus der Pfalz, der es in guten Zeiten zu einem Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde brachte, weil er 1368 Weinköniginnen gleichzeitig an einem Ort versammelt hatte? Selbst wenn man alle pfälzischen Weingüter zusammennimmt, ist das eine beachtliche Leistung, womit schon ziemlich viel über die Mischung aus Tatkraft und Volksverbundenheit gesagt ist, die Brüderle auszeichnete.
Ein Satz reichte, um aus dem weithin geschätzten Politiker einen "Grabscher" zu machen, eine traurige Witzfigur aus der "Vor-Moderne" ("Stern"), an dem sich jeder abarbeiten durfte, der über einen Twitter-Account verfügte. Wie der arme Mann medial kielgeholt wurde, weil er an einer Hotelbar einer Journalistin ein zweifelhaftes Kompliment gemacht hatte, ist in der Skandalgeschichte der Bundesrepublik einmalig. So schnell konnte man gar nicht gucken, wie Brüderle in den Sielen der Talkshow-Arena verendet war.
Wenn es einen Moment gibt, an dem die neue soziale Bewegung ihren Ausgang nahm, deren sichtbarster Ausdruck die AfD ist, dann in der Brüderle-Affäre. Hier liegt die Geburtsstunde des Rechtsrucks, der nun allenthalben für Aufsehen sorgt, nicht in der Eurokrise oder dem Kampf gegen Minarette über deutschen Städten. Das sind Programmpunkte, die morgen schon wieder anders aussehen können, falls es die Parteistrategie erfordert. Dass die Welt aus den Fugen ist, das ist ein Gefühl, das eine Menge Menschen teilen, wie sich zeigt.
Anti-Diskriminierungs-Aktivisten, die ständig den Alarmknopf drücken
"Backlash" nennt man im Englischen eine heftige Gegenbewegung. Auf jede Entwicklung, die zu weit in eine Richtung geht, folgt irgendwann eine Reaktion, die wieder eine Balance der Kräfte herzustellen versucht. Das gilt auch für gesellschaftspolitische Debatten. Es gibt nach wie vor ein Deutschland, dem Politiker, die Weinköniginnen um sich versammeln, näherstehen als Studentenräte, die dafür kämpfen, dass überall dort, wo bislang das Binnen-I stand, jetzt ein Unterstrich steht.
Den Leuten, die sich für die AfD erwärmen können, wird unterstellt, sie hätten etwas gegen Schwule, gegen Minderheiten und überhaupt gegen jede Form der Emanzipation. Das mag für einen Teil der AfD-Funktionäre zutreffen. Aber bei vielen Wählern richtet sich der Widerwille nicht gegen den Umstand, dass auch Menschen unbehelligt ihr Leben führen können, die irgendwie anders sind als sie. Sie sind es einfach leid, dass aus jedem Ausrutscher ein Skandal gemacht wird, weil irgendwelche Anti-Diskriminierungs-Aktivisten den Alarmknopf drücken.
Ganz oben auf der Liste von Leuten, die Wehleidigkeit zu ihrem Markenzeichen gemacht haben, steht im Augenblick Recep Tayyip Erdogan. Aber nach dem türkischen Präsidenten kommen sofort die Advokaten der diskriminierungsfreien Sprache, die überall Beleidigung wittern. "Mikroaggression" heißt das Konzept, wonach schon die Frage an jemanden mit ausländischen Wurzeln, woher er stamme, eine Herabwürdigung darstellt, weil die Frage darauf schließen lässt, dass man einen dunklen Teint oder einen starken Akzent nicht als typisch deutsch empfindet.
Die einzige Gruppe von Menschen, über die man herziehen darf, bis die Schwarte kracht, sind die Zurückgebliebenen, die im Verdacht stehen, mit Leuten wie Petry oder Trump zu sympathisieren. Das sind die Hinterwäldler, die mit der Moderne nicht zurechtkommen und deshalb an überkommenen Vorstellungen kleben. Dass sich niemand gern von neunmalklugen Dies-und-das-Studenten sagen lässt, er habe den Anschluss verpasst, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Komischerweise gehört Einfühlungsvermögen nicht zu den stärksten Seiten der Anti-Diskriminierungs-Experten.
Selbstabkapselung gegen fremdes Gedankengut
Es gibt nach meiner Beobachtung einen engen Zusammenhang zwischen zunehmender Empfindlichkeit, was Abwertung angeht, und dem Versuch, jede Kränkung schon im Keim zu ersticken. Das ist wie bei Kindern, die von ihren Eltern so gründlich von allem ferngehalten werden, was dreckig oder ungesund sein könnte, dass sie irgendwann auf jeden Pollen mit einem Niesanfall reagieren, weil das Immunsystem nie richtig trainiert wurde.
Selbstabkapselung gegen fremdes Gedankengut ist in der Welt der Empfindlichkeitsathleten weit fortgeschritten. Schon der Auftritt eines Redners, von dem man erwarten muss, dass er gegen die eigene Denkungsart verstößt, kann zu einem kleinen Volksaufstand führen. Auf jetzt.de berichtete vor ein paar Tagen eine Autorin , welchen Aufruhr bei der Internetkonferenz re:publica die Idee ausgelöst hatte, den Bundesrichter Thomas Fischer einzuladen.
Seit Fischer sich in einer seiner Rechtskolumnen gegen eine Verschärfung des Sexualstrafrechts ausgesprochen hat, gilt er als reaktionäre Type, mit der man besser kein Wort wechselt. Vom "widerwärtigen Thomas Fischer, der die re:publica entwertet", war auf Twitter zu lesen, immer wieder mussten sich die Programmplaner für die Einladung rechtfertigen oder gegen den Vorschlag ankämpfen, Fischer nur zusammen mit einem Gegenredner auftreten zu lassen.
Es sehe so aus, als ob eine ganz grundlegende Feststellung unterzugehen drohe, resümierte die "jetzt"-Autorin, dass nämlich jeder eine Meinung haben und die sogar öffentlich äußern dürfe. "Im Gegenzug darf diese Meinung auch jeder andere Mensch doof finden und sich darüber aufregen. Nur hysterisch sollten wir dabei nicht werden."
