
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Das Stoiber-Syndrom

Das ganze Unglück des Menschen rühre daher, dass er nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermöge, hat der französische Philosoph Blaise Pascal einmal bemerkt. Man könnte im Lichte aktueller Entwicklungen hinzufügen: Ein Teil des Unglücks ist, dass nicht einmal Menschen, die längst den Ruhestand erreicht haben, es zu Hause aushalten.
Wir kennen die Weisheit des Alters. Es gibt auch deren Torheit. Nehmen wir Edmund Stoiber. Sie erinnern sich sicherlich: Das ist dieser Herr mit dem scharfgeschnitten Gesicht, der seine Karriere als "blondes Fallbeil" der CSU begann, dann als Ministerpräsident sehr erfolgreich den Freistaat Bayern anführte, bevor er sich in den Kopf setzte, nicht nur Bayern, sondern ganz Deutschland regieren zu wollen.
Zu seinem Pech hatte sich Stoiber einem Medienberater namens Michael Spreng anvertraut, der ihn darin bestärkte, ruhig sitzen zu bleiben, als es ausnahmsweise einmal angezeigt gewesen wäre, das Haus zu verlassen, und zwar in dem Moment, als eine biblische Flut die ostdeutschen Lande heimsuchte. Statt sich gleich die Gummistiefel anzuziehen und an den Deich zu eilen, harrte Stoiber brav in seinem Feriendomizil aus, was auf die Wähler leider nicht abgeklärt, sondern abgehoben wirkte. Er hat dann noch ohne weitere Vorkommnisse fünf Jahre in Bayern regiert.
Stoiber ist zurück, als Weltstaatsmann und Friedensstifter. Vergangene Woche sah man ihn an der Seite von Horst Seehofer in Moskau bei dem Versuch, im Verhältnis zu Russland "wieder ein Stück Vertrauen und Normalität herzustellen", wie es dazu hieß. Stoiber hatte die Reise arrangiert. Er war es auch, der dafür gesorgt hatte, dass die bayerische Abordnung zur Audienz beim russischen Zaren vorgelassen wurde. Das Foto, das ihn in Umarmung mit Wladimir Putin zeigte, war das Bild des Tages.
Es hat in der Geschichte der Diplomatie viele undurchdachte Ausflüge gegeben, von denen man sich wünscht, jemand mit Verstand hätte den Beteiligten rechtzeitig ins Gewissen geredet. Die Moskaureise der Stoiber-Delegation darf für sich in Anspruch nehmen, zu den dummerhaftesten und törichsten diplomatischen Unternehmungen der jüngeren deutschen Geschichte zu gehören.
Gleich nach Ende des Besuchs ließ Putin seine Kampfflugzeuge in die Luft steigen, um Aleppo in die Steinzeit zurückzubomben.Selbstverständlich verschonten die russischen Bomber alle Stellungen des "Islamischen Staats", dem offiziell der Kampf gilt. So sieht es also aus, wenn sich der Mann im Kreml dran macht, wieder "ein Stück Vertrauen und Normalität herzustellen".
Die Liebe zur russischen Despotie
Was der unerklärte Krieg für die Flüchtlingskrise bedeutet, kann man seit dem Wochenende ebenfalls sehr anschaulich sehen. Über 40.000 Menschen stauen sich an der syrisch-türkischen Grenze, und das ist erst der Anfang des Exodus, der folgen wird. Nobel war das Wort, das Seehofer eingefallen war, als er die Haltung Putins zur deutschen Flüchtlingspolitik beschreiben sollte. Offenbar haben wir alle die bayerische Linie gründlich missverstanden, von der es hieß, sie sei darauf gerichtet, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren.
Ich habe Stoiber immer geschätzt. Für Bayern war er zweifellos ein Glücksfall. Er war einer der wenigen, die früh erkannt hatten, warum der Euro keine gute Idee war, und dies auch öffentlich sagten. Im Gegensatz zu vielen Leuten, die sich stundenlang über seine Versprecher lustig machen konnten, schrieb ich die Aussetzer einer Wortfindungsstörung zu, wie sie intelligente Menschen häufiger befällt.
Warum endet jemand mit solchen Verdiensten in den Armen eines Despoten, der das, wofür man sein Leben lang gearbeitet hat, als sentimentalen Quatsch belächelt? Die Wahrheit ist: Ab einem gewissen Punkt ist offenbar alles besser, als neben der Gattin zu sitzen und in die Berge zu starren. Es muss eine große Pein sein, untätig zusehen zu müssen, wie andere in Talkshows hocken, um die Flüchtlingskrise oder den Syrienkonflikt zu lösen. Selbst Michael Spreng darf dort bis heute unverdrossen seine Ratschläge erteilen.
Wenn man ein gutes Wort für den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten einlegen will, dann lässt sich zu seinen Gunsten sagen, dass er immerhin seiner Partei treu geblieben ist. Andere verführt die Geltungssucht des Alters dazu, mit allem zu brechen, was ihnen mal heilig war. Ich habe vor ein paar Wochen Alexander Gauland getroffen. Gauland galt mal als Paradebeispiel des melancholischen Konservativen. Wir saßen schon auf dem einen oder anderen Podium zusammen, wo er eine deutlich überzeugendere Vorstellung ablieferte als ich.
Gauland war Staatskanzleichef unter dem hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann, Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen" und Autor mehrerer Bücher über den Wert des Konservativen. Jetzt steht er auf den Markplätzen und ruft solange "Merkel muss weg, Merkel muss weg", bis das AfD-Volk grölend einstimmt.
Auch Gauland hat auf seine späten Tage seine Liebe zur russischen Despotie entdeckt. Warum so viele gescheite Männer jenseits der 70 zu Russlandfreunden werden, wäre eine eigene Betrachtung wert. Möglicherweise ist die Virilität dann ein großes Thema. Man kann über Putin sagen, was man will: Aber an seiner Männlichkeit lässt er keine Zweifel aufkommen.