Politiker-Nebeneinkünfte Lammert ignoriert Forderungen des Verfassungsgerichts
Hamburg Es klingt wie ein Skandal - und viele sagen, es ist einer: Trotz des Urteils zur Veröffentlichung von Politikereinkünften werden die Vorgaben des obersten deutschen Gerichts vom Bundestagspräsidium nicht voll umgesetzt. Noch immer verweigern Juristen wie Friedrich Merz und Siegfried Kauder die Offenlegung ihrer Gewinne aus Anwaltssozietäten, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies nach Überzeugung mehrerer Staatsrechtler klar für unzulässig erklärt hat.Das Bundestagspräsidium, das diese Abgeordneten eigentlich lautstark zur Offenlegung auffordern müsste, legt die Hände in den Schoß: Präsidiumssprecher Guido Heinen erklärte die entsprechende Passage des Urteils auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE kurzerhand für nicht verbindlich, weil die Veröffentlichungspflicht von Gesellschaftsbeteiligungen keine Frage des Verfassungs-, sondern des Verwaltungsrechts sei.Zudem gehöre die strittige Aussage der Richter nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung. Eine zweifelhafte Argumentation, sagen selbst ehemalige Verfassungsrichter.
Der SPD-Politiker Christian Lange will die Pflichten des Parlamentspräsidiums deshalb jetzt in einem Rechtsgutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages klären lassen. In einem Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, fordert er von der Parlamentsverwaltung eine Antwort auf die Frage, wie das Karlsruher Urteil im Hinblick auf die Veröffentlichung von Einkünften aus Anwaltssozietäten zu verstehen ist. "Falls das Gutachten zur Auffassung käme, diese seien nicht zu veröffentlichen, wie kann dann der Wortlaut der BVG-Entscheidung durchgesetzt werden?", fragt er provokant. "Lammert muss das Urteil in allen Punkten umsetzen", bekräftigt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Als Bundestagspräsident könne der CDU-Politiker nicht einfach seine alten Positionen aus Oppositionszeiten durchsetzen. Die Parteikollegen Swen Schulz und Hans-Peter Bartels unterstützen den Schritt. "Es ist richtig und notwendig, dass das schnell juristisch geklärt wird", sagt Schulz.
"Das ist so absurd, dafür gibt es keinen Prozess"
Die Lage scheint juristisch vertrackt: Stellt sich das Präsidium weiter quer, können die Abgeordneten offenbar kaum etwas dagegen tun. Ein Gericht kann nur angerufen werden, wenn ein Politiker gegen einen ihn belastenden Akt des Bundestagspräsidenten klagt. Dafür müssen die Offenlegungsregeln allerdings erstmal vollständig angewendet werden. Zudem muss sowohl bei Verwaltungs- als auch bei Verfassungsklagen eine Benachteiligung des Klägers nachgewiesen werden.
Dieser Nachweis könnte nach Einschätzung des Staatsrechtlers Hans Herbert von Arnim jedoch schwierig werden schließlich entsteht Politikern wie Lange durch die Geheimhaltung der Einkünfte von Friedrich Merz kein unmittelbarer Schaden. In anderen Worten: Selbst wenn die Bundestagsverwaltung ein Urteil des Verfassungsgerichts eindeutig missachtet, kann ihr in einigen Fällen niemand an den Kragen. "Das ist eine ganz groteske Lücke", sagt von Arnim. Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis, der den Bundestag im Nebeneinkünfte-Verfahren als Prozessbevollmächtigter vertreten hat, stimmt zu: "Das ist so absurd, dafür gibt es keinen Prozess."
Nach Einschätzung von Hans Herbert von Arnim gelten die Ausführungsbestimmungen, mit der Merz und Co. die Geheimhaltung der Einkünfte aus ihren Anwaltssozietäten begründen, ohnehin nicht für Rechtsanwälte. Die umstrittene Vorschrift für Gesellschaftsbeteiligungen von weniger als 25 Prozent könne ausdrücklich nur auf Unternehmen angewendet werden, die formalrechtlich mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben würden, erklärt der Staatsrechtler in seinem Gastbeitrag für SPIEGEL ONLINE.
Dazu gehören Anwälte in Sozietäten ihm zufolge jedoch gerade nicht. Deshalb müssten sie alle von ihnen betreute Mandate einzeln und fein säuberlich aufgelistet veröffentlichen, wenn die Einkünfte daraus 1.000 Euro im Monat oder 10.000 Euro im Jahr übersteigen. Andere Rechtsanwälte wie die SPD-Politikerin Anette Kramme tun dies bereits jetzt. Höchste Zeit, dass auch die geheimen Großverdiener ihre Konten öffnen: "Der Bundestagspräsident muss die Regeln im Sinne des Bundesverfassungsgerichts endlich anwenden", fordert von Arnim.
Merz verschweigt stellvertretenden Vorstandsposten
Dabei fehlen auf der Bundestagsseite von Friedrich Merz nicht nur die Einkünfte aus seiner Tätigkeit für die weltweit operierende Anwaltssozietät Mayer, Brown, Rowe & Maw. Auch seinen stellvertretenden Vorstandsposten in der Berliner "Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen" lässt der CDU-Politiker bislang unerwähnt. Das sei aber doch nur ehrenamtlich, erklärt dazu sein Berliner Büro. Laut den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestags spielt das allerdings keine Rolle: Demnach müssen auch Vorstandstätigkeiten ohne Bezahlung veröffentlicht werden. Eine Stellungnahme von Merz selbst war dazu am Freitag nicht zu erhalten.