Politologen-Berechnung Überhangmandate könnten Schwarz-Gelb den Wahlsieg sichern
Hamburg - Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland über die Erststimmen mehr Direktmandate erhält, als ihr nach dem bundesweiten Verhältnis der Zweitstimmen an Sitzen zustehen.
Laut einer "Schätzung mit Simulationen" des Friedrichshafener Politologen Joachim Behnke dürften bei der nächsten Wahl so viele dieser Mandate entstehen wie bei keiner Bundestagswahl zuvor.
Dabei würde die SPD, selbst wenn sie zwei Prozentpunkte besser abschneidet als in den aktuellen Umfragen, im Schnitt nur zwei bis drei Überhangmandate erhalten - die CDU dagegen 21. Und selbst die CSU käme, erstmals in ihrer Geschichte, auf drei zusätzliche Sitze.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es für Schwarz-Gelb zur Regierungsbildung reicht, so Behnke, liege ohne die Berücksichtigung von Überhangmandaten bei derzeit 66 Prozent, mit bei knapp 90 Prozent.
Grund dafür sei eine "historisch einmalige Situation": Die Union erreicht aktuell in Umfragen nur 36 Prozent, und ist damit so weit unter der 50-Prozent-Marke wie erst einmal zuvor eine stärkste Partei bei einer Wahl; dennoch hat sie einen zweistelligen Vorsprung vor der zweitstärksten Partei, der SPD. Genau diese Konstellation begünstigt die Bildung von Überhangmandaten dramatisch - zugunsten der stärksten Partei.
Auch der Heidelberger Wahlexperte Dieter Nohlen und der Chef des Umfrage-Instituts Forsa, Manfred Güllner, halten es deshalb nach jetzigem Stand für sehr wahrscheinlich, dass die Union einseitig von den Überhangmandaten profitiert.
Die Berechnungen sind umso brisanter, weil am Freitag über einen Gesetzentwurf der Grünen zur Reform des Bundeswahlrechts abgestimmt werden soll. Sein Ziel: Überhangmandate künftig weitgehend zu verhindern, indem die verschiedenen Landesergebnisse einer Partei miteinander verrechnet werden; sie könnten damit eigentlich nur noch bei der CSU anfallen, da diese ausschließlich in Bayern antritt.
Nach Behnkes Simulationen mindert ein so reformiertes Wahlrecht die Wahrscheinlichkeit für eine Schwarz-Gelb-Mehrheit auf rund 70 Prozent. SPD und Linke sind für eine sofort wirksame Reform, FDP und Union sind dagegen.
Vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu einer Reform des Wahlrechts aufgefordert, da Überhangmandate in besonderen Konstellationen den Wählerwillen ins Gegenteil verkehren können.