Porträt Der ewige Zweite

Berlin - "Ich stelle den Antrag, den Genossen Honecker von seiner Funktion als Generalsekretär zu entbinden", mit diesen Worten veranlaßte Willi Stoph am 18. Oktober 1989 auf einer SED-Politbürositzung Staats- und Parteichef Erich Honecker zum Abdanken. Damals hoffte die Mehrheit des SED- Politbüros noch, ihre Macht mit dem Wechsel von Führungsfiguren zu retten. Geholfen hat es freilich nicht.

Stoph gehört zu den Personen, die rund 40 Jahre in der DDR an der Macht waren. Er galt stets als Garant für Kontinuität - in den engsten Führungskreis hat es der Arbeitersohn aus Berlin jedoch nie geschafft.

Der ehemalige Stabsgefreite der Wehrmacht wurde 1952 Innenminister und rückte 1953 in das SED- Politbüro auf. Von 1956 bis 1960 war er Verteidigungsminister und in dieser Eigenschaft auch Stellvertreter des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Pakts.

1964 übernahm er nach dem Tod von Otto Grotewohl das Amt des Regierungschefs. In den Blick der Kameras - vor allem der westlichen - geriet Stoph 1970, als er sich in Erfurt und in Kassel mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) zu einem deutsch-deutschen Gipfel traf.

Ernüchtert mußte er damals feststellen, daß die feurigen "Willy"-Rufe der Bevölkerung nicht ihm, sondern Brandt galten.

Willi Stoph konnte kurz auf mehr Macht hoffen, als er nach der Regierungsübernahme Erich Honeckers zwischen 1973 und 1976 das höchste Staatsamt des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR formal übernahm. Doch er irrte: Er mußte dem neuen starken Mann weichen und kehrte auf den Posten des Ministerpräsidenten zurück, wo die wichtigen Entscheidungen weitgehend an ihm vorbeigingen. Seither gab es Gerüchte, wonach der Regierungschef insgeheim Pläne zur Entmachtung Honeckers gehegt haben soll.

Unter dem Druck der Demonstrationen und der anhaltenden Massenflucht trat Willi Stoph am 7. November 1989 mit der gesamten DDR-Regierung zurück. Zehn Tage später schied er aus dem Staatsrat aus, und auch die Volkskammer wollte ihn nicht mehr in ihren Reihen halten. Es folgte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Schlagzeilen über ein komfortables Jagddomizil an der Müritz schürten den Volkszorn, und am 8. Dezember 1989 - wenige Tage nach seinem Ausschluß aus der SED - wurde Stoph wegen Amtsmißbrauchs in Haft genommen.

Zwar wurde er im Februar 1990 aus gesundheitlichen Gründen wieder auf freien Fuß gesetzt, doch im Mai 1991 kam er wegen der Todesschüsse an der DDR-Grenze erneut für 15 Monate in Untersuchungshaft. Stoph sollte sich im November 1992 gemeinsam mit Honecker und Stasi-Minister Erich Mielke vor dem Berliner Landgericht verantworten. Doch wegen akuter Herz- und Kreislaufbeschwerden erschien der Angeklagte erst gar nicht. Das Verfahren wurde abgetrennt und 1993 aus gesundheitlichen Gründen endgültig eingestellt. Stoph bekam sogar eine Haftentschädigung.

Eine Klage Stophs gegen die Einziehung seines Vermögens durch einen Volkskammer-Ausschuß verwarf das Berliner Verwaltungsgericht ein Jahr später allerdings. Der Ausschuß hatte 1990 erklärt, Stoph habe durch sein Jagdhaus an der Müritz und durch Ausgaben für sein Hobby als Gärtner Staatsgelder für private Zwecke mißbraucht. Zuletzt lebte Stoph zurückgezogen in Berlin und mied die Öffentlichkeit.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren