Pressestimmen zur Gauck-Kandidatur "Er wird für Irritationen sorgen"

Deutschlands künftiger Bundespräsident, Joachim Gauck: "Kein einfacher Kandidat"
Foto: dapdHamburg - Nun steht es fest: Die Union gibt dem Drängen der FDP nach und unterstützt eine Kandidatur von Joachim Gauck als Bundespräsident. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz lobten die Spitzen von CDU, CSU, FDP, Grünen und der SPD ihren gemeinsamen Kandidaten. Gauck selbst zeigte sich am Sonntagabend von seiner Nominierung "überwältigt". Die Presse kommentierte die jüngste Entscheidung - und das Gerangel im Vorfeld - auf ganz unterschiedliche Weise.
"Süddeutsche Zeitung":
Heribert Prantl kommentiert auf der Online-Seite der "Süddeutschen Zeitung" den "Fünf-Parteien-Bundespräsident", das "Wunder namens Gauck": Seine Stärke sei "das predigerhafte Pathos", das aber thematisch sehr schmalspurig sei. Gauck sei kein einfacher Kandidat, er denke emotional, rede emotional und handle bisweilen auch emotional. "Er wird ein schwer kalkulierbarer Präsident sein, er wird für Irritationen sorgen", schreibt Prantl.
Seiner Ansicht nach wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Entscheidung für Gauck nicht schaden - im Gegenteil. "Man wird ihr zugute halten, dass sie angesichts eines so beliebten Kandidaten über ihren Schatten gesprungen ist."
"Financial Times Deutschland":
Auf dem Internetauftritt der "Financial Times Deutschland" schreibt Thomas Schmoll über die Gauck-Kür. Die Liberalen hätten mit ihrem Ja zum Ex-DDR-Bürgerrechtler die Kanzlerin "brüskiert". Merkel habe nur eingewilligt, um den Koalitionsbruch zu verhindern. Die Union bemühe sich nun, die Regierungschefin nicht als Verliererin aussehen zu lassen.
"Augsburger Allgemeine":
Die "Augsburger Allgemeinen" bewertet die Entscheidung Merkels positiv: Durch ihre Zustimmung zum FDP-Vorschlag gebe die Kanzlerin zwar offiziell zu Protokoll, 2010 falsch entschieden zu haben. "Das mag peinlich sein und wirkt wie eine Niederlage. Aber es ist doch auch ein Zeichen von Größe, das Merkel nicht zum Nachteil gereichen wird."
"Kölner Stadt-Anzeiger":
In seinem Kommentar "Der Kandidat der Schmerzen" schreibt Burkhard von Pappenheim für den "Kölner Stadt Anzeiger" über die Querelen zwischen der Koalition. CDU, CSU und FDP seien nicht mehr als ein "durch Machtwillen notdürftig zusammengehaltener wilder Haufen". Zwar habe Gauck nun den verdienten Rückhalt in den Parteien und auch in der Bevölkerung. Die Regierungskoalition habe es allerdings geschafft, das beste Ergebnis mit dem größtmöglichen Schaden für sich selbst zu verbinden.
"Rheinische Post":
"Die Nominierung des Ex-Bürgerrechtlers Joachim Gauck zum gemeinsamen Bewerber für das Amt des Bundespräsidenten ist für Kanzlerin Merkel eine doppelte Niederlage", schrieb die "Rheinische Post" in Düsseldorf. Die Zeitung fährt fort: "Erst musste ihr Kandidat Christian Wulff vorzeitig abtreten. Nun gab sie sich einer Phalanx aus SPD, Grünen und FDP geschlagen. Doch Merkel dürfte wie im Fall der Energiewende die Niederlage doch noch in einen Vorteil für sich umwandeln, auch wenn es sie sichtlich Überwindung gekostet hat, den zuvor von ihr abgelehnten Kandidaten Gauck zu akzeptieren." Er sei die Wahl, die dem Status Quo am wenigsten schade.
"Westdeutsche Zeitung":
Die "Westdeutsche Zeitung" in Düsseldorf kritisierte das Zögern der schwarz-gelben Koalition bei der Nominierung. Leider hätten die Koalitionäre am Sonntag zunächst ein unwürdiges Possenspiel geboten. "Denn im Gegensatz zu CDU und CSU hatte die FDP die Signale aus dem Volk gehört und machte aus der Gauck-Frage eine Koalitionsfrage", schrieb die Zeitung. Wenn es nach den Bürgern ginge, hätten sich Koalition und Opposition alle Gespräche über einen Nachfolger für Christian Wulff sparen können. Mehr als jeder Zweite wünsche sich Gauck als neuen Hausherrn von Schloss Bellevue, hieß es.
"Nordsee Zeitung":
In der "Nordsee Zeitung" wird vor allem die Rolle der FDP thematisiert. Ihr müsse man zugestehen, dass sie hoch gepokert und gewonnen habe. "Der Schwanz hat ausnahmsweise mal mit dem Hund gewedelt", heißt es in der Zeitung. Das werde negative Konsequenzen für die Kanzlerin haben: "Angela Merkel ist am Ende eingeknickt, nicht nur vor den Liberalen und dem immensen Druck, den auch die Opposition ausgeübt hat. Sondern hoffentlich auch vor den eigenen Ansprüchen." Dabei habe Merkel als Kanzlerin Schaden genommen. Die Koalition stehe nun schlechter da denn je. "Nicht wegen Gauck. Sondern wegen des Prozederes."
"Nordwest Zeitung":
Die"Nordwest Zeitung" in Oldenburg lobt den Kurs der Bundeskanzlerin. "Es spricht für Angela Merkel, ihren Widerstand gegen den 'Präsidenten der Herzen' aufgegeben zu haben", schrieb das Blatt. Sie habe damit, wenn auch nach anfänglichem Zögern, wahr gemacht, was sie angekündigt hatte. Schön sei, dass Joachim Gauck zudem auch die Zustimmung einer großen Bevölkerungsmehrheit sicher sei. "Er verkörpert, was zuletzt so sehr vermisst wurde."
"Hessische/Niedersächsische Allgemeine":
Unter dem Titel "Die Klügere gibt nach" kommentiert Tibor Pézsa in der "Hessische/Niedersächsische Allgemeine" die Ereignisse rund um die Präsidentenkür. Ihr zufolge hat die FDP mit ihrem Beharren auf dem Kandidaten Gauck ihren Ruf als "unzuverlässige Umfaller-Partei" gefestigt. Merkel hingegen erweise sich erneut als "Meisterin des Möglichen". Die Klügere habe nachgegeben.
"Badische Neueste Nachrichten":
In Karlsruhe zeigt man sich rundum zufrieden: Merkel habe einen bemerkenswerten Fall von Korrektur vollbracht, die Kandidatenkür werde fast nur Sieger hervorbringen, heißt es bei "Badische Neueste Nachrichten". "SPD und Grüne, weil sie schon vor zwei Jahren auf Gauck setzten. Die FDP, weil sie gestern hoch und erfolgreich gepokert hat. Und die CDU, die bald merken könnte, dass dieser Präsident viel besser zu ihr passt, als sie je gedacht hat."