Proteste gegen Ausstiegs-Ausstieg Atomkoalition spaltet die Republik

Greenpeace steigt der CDU-Chefin aufs Dach. Die Grünen tragen Trauer. Stadtwerke schalten Anzeigen gegen Schwarz-Gelb. Deutschland hat ein Protestthema - Union und FDP beschließen den Ausstieg vom Atomausstieg, Aktivisten gehen auf die Straße. Das politische Klima ist vergiftet.
Proteste gegen Ausstiegs-Ausstieg: Atomkoalition spaltet die Republik

Proteste gegen Ausstiegs-Ausstieg: Atomkoalition spaltet die Republik

Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP

Norbert Röttgen

Berlin - Ausgerechnet muss ran. Röttgen, der den regierungsinternen Poker um die AKW-Laufzeiten verloren hat, der lieber rasch aus der Atomenergie ausgestiegen wäre.

Jetzt steht der Umweltminister am Rednerpult des Bundestags und verteidigt leidenschaftlich das schwarz-gelbe Energiekonzept. Einen "albernen Streitgestus" wirft er der Opposition vor und "argumentationsloses Kampfgeschrei". Er verspottet Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin als "energiepolitische Blindgänger". "Sie haben nichts drauf!", ruft er ihnen zu.

Viele Abgeordnete von Union und FDP beargwöhnen sonst den strebsamen Minister, doch nun johlen und klatschen sie begeistert. Als Röttgen strammen Schrittes zur Regierungsbank zurückkehrt, hält die Kanzlerin ihn mit einem beherzten Griff an den Arm auf und strahlt ihn verzückt an, als wolle sie ihm gleich dankbar um den Hals fallen. Endlich zeigt es denen mal einer, scheint sie erleichtert ausrufen zu wollen.

Angela Merkel

Atompolitik

Bis dahin hat an diesem Donnerstag ziemlich mies gelaunt auf ihrem Platz gesessen. Vor ihr liegt eine Tageszeitung, darin eine ganzseitige Anzeige der Stadtwerke, die vor der der Kanzlerin warnt.

Mal demonstrativ unbeteiligt, mal kopfschüttelnd, mal sichtlich angefressen hat Merkel die ungewöhnlich scharfen Attacken der Opposition über sich ergehen lassen. Sie hat ihrem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zugehört, der lustlos über einen "nationalen Pakt für neue Netze" fabulierte. Merkel hat den FDP-Politiker nach seinem Auftritt keines Blickes gewürdigt. Sie ist in der Defensive.

Prosit an der CDU-Zentrale

schwarz-gelbe Regierung

Atomkraftgegner

Der Tag des Atom-Showdowns ist kein schöner Tag für die Kanzlerin und ihre . Zwar läuft am Ende alles nach Plan, die Koalition segnet in einem bisher einmaligen Abstimmungsmarathon ihre Energiepläne ab. Doch Merkel bekommt Widerstand, wie sie es sonst nur von Stuttgart 21 kennt. Auf der Straße organisieren die an diesem entscheidenden Tag Proteste in Serie.

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Protest gegen Atompolitik: Greenpeace steigt der CDU aufs Dach

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Schon am frühen Morgen steigen Aktivisten von Greenpeace der CDU-Chefin buchstäblich aufs Dach. Mit Kränen lassen sie an der Fassade des Konrad-Adenauer-Hauses ein riesiges Transparent herunter, auf dem Merkel und RWE-Chef Jürgen Großmann sich mit Schnapsgläsern zuprosten.

Später bilden etwa 2000 Demonstranten eine Menschenkette um den Reichstag. Vor dem Brandenburger Tor proben ein paar Dutzend Protestierer Blockaden, mit denen sie den nach Gorleben anrollenden Castor-Transport stoppen wollen. Nebenan verfolgen einige hundert Menschen die Bundestagdebatte auf einer Leinwand, die die Oppositionsfraktionen aufgestellt haben.

Zwischen "Affentheater" und "Klamauk"

Sie sehen einen in schwarz gekleideten Grünen-Fraktionschef Trittin, der innen seine Rede hält. Die komplette Fraktion der Grünen ist in schwarz gekommen - und ans Revers haben sich die meisten ein gelbes X geheftet, das Symbol des Widerstands gegen das Atommülllager Gorleben.

Das Trauer-Outfit der Grünen veranlasst FDP-Fraktionsmanager Jörg van Essen zu einer pikanten Bemerkung: "Es hat keinem Parlament in der Geschichte gutgetan, wenn eine Fraktion einheitlich gekleidet ist." Die Grünen schreien empört auf, wittern einen Nazi-Vergleich. Van Essen will von einer Entschuldigung nichts wissen, sein Grünen-Kollege Volker Beck dagegen die Angelegenheit im Ältestenrat zur Sprache bringen.

Die Episode zeigt, wie aufgeladen die Atmosphäre im Parlament an diesem Donnerstag ist. Worte wie "Affentheater" und "Klamauk" fliegen durch den Saal. Die Opposition sieht sich fundamental in ihren Rechten beschnitten. Sie beklagt vor allem den Umgang mit ihren Abgeordneten im Umweltausschuss - die Rede ist von "Putsch" und "Verfassungsbruch". Der Streit dreht sich um Sitzungen des Umweltausschusses am Montag und Dienstag. SPD, Linke und Grüne werfen der Koalition vor, eingehende Beratungen in dem Gremium mit ihrer Mehrheit verhindert zu haben. Die Opposition tobt deshalb, doch ihr Versuch, die Abstimmung über das Atomgesetz am Donnerstag per Geschäftsordnungsantrag zu verhindern, wird von Schwarz-Gelb abgeschmettert.

Verfassungsklagen stehen bevor

Nun erwägen die Grünen, die mögliche Missachtung der parlamentarischen Regeln zum Teil ihrer Verfassungsklage gegen das Atomgesetz in Karlsruhe zu machen. In einem Brief von Grünen-Abgeordneten an die Umweltausschuss-Chefin wird darum gebeten, "uns die Tonbandaufzeichnung und das Protokoll der Sitzung unverzüglich zu Verfügung zu stellen".

Bundesverfassungsgericht

Atomkraftwerke

Auch weitere Klagen gegen das Atomgesetz sind in Vorbereitung. "Wir werden dieses Gesetz beim zu Fall bringen", sagt SPD-Chef Gabriel an. Die SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Brandenburg haben die Kanzlerin in einem gemeinsamen Schreiben über ihre Pläne für eine Verfassungsbeschwerde informiert. Sie beklagen, dass die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung von durchschnittlich zwölf Jahren für jedes der 17 ohne den Bundesrat beschließt. In der Länderkammer hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit.

Nun liegt es an den Damen und Herren in den roten Roben. Das höchste Gericht des Landes muss entscheiden, ob bei der Atompolitik der Regierung alles mit rechten Dingen zugeht. Es ist die letzte Chance für die Atomkraftgegner, die längeren Laufzeiten noch zu stoppen.

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