AfD und Proteste gegen die Corona-Politik Rechtsaußen sucht Rechtskurs

Dutzende AfD-Bundestagsabgeordnete liefen bei der Berliner Demonstration gegen die Corona-Politik mit. Das ist parteiintern umstritten, der Partei droht neuer Streit - bis in die Führungsetage.

Die AfD ist ohnehin eine tief zerstrittene Partei. Kaum ein Tag verging zuletzt ohne Meldungen über den früheren Brandenburger AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz, dessen Mitgliedschaft auf Betreiben von Co-Parteichef Jörg Meuthen für nichtig erklärt wurde.

Und nun die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, die am vergangenen Wochenende in Berlin aus dem Ruder liefen.

Viele AfD-Bundestagsabgeordnete waren bei der Demonstration in Berlin dabei. In den sozialen Medien wurden allein 39 AfD-Parlamentarier - die Fraktion zählt insgesamt 89 - fotografisch dokumentiert. Mitunter wirkten die Bilder wie von einem Familienausflug: gut gelaunte Menschen.

Darunter das Bild des Arztes und AfD-Abgeordneten Robby Schlund, der neben seinem Kollegen Karsten Hilse posiert und ein Plakat hochhält. Darauf der Virologe Christian Drosten in blau-weiß gestreifter Sträflingskleidung, versehen mit dem Spruch "Schuldig". Ein anderes Bild zeigt den Abgeordneten Hansjörg Müller mitten im Getümmel, in der Nähe ein Mann mit Glatze und T-Shirt: Aufschrift "Germany", in Fraktur.

Diese Bilder suggerieren Solidarität mit den Demonstranten.

Tatsächlich aber ist der Kurs in der AfD umstritten. Wenn die Partei mit Rechtsextremisten und Reichsbürgern abgebildet werde, so die Befürchtung mancher, sei das eine Vorlage für den Verfassungsschutz.

Meuthen fürchtet Beobachtung durch den Verfassungsschutz

Vor allem Meuthen ist skeptisch. Als in der Woche vor der Demonstration sein Co-Parteichef Tino Chrupalla, Parteivize Stephan Brandner und Co-Fraktionschefin Alice Weidel öffentlich dazu aufriefen, nach Berlin zu fahren, gab es von Meuthen keine Stellungnahme.

Dabei blieb es bis heute, auch nach einer Anfrage des SPIEGEL. Lediglich das vom Berliner SPD-Innensenator Andreas Geisel ausgesprochene und später durch Gerichtsbeschluss wieder aufgehobene Verbot der Demonstration hatte Meuthen – wie auch andere in der Partei – öffentlich scharf kritisiert und sogar Geisels Rücktritt gefordert.  

Meuthen hatte nach SPIEGEL-Informationen gegenüber Vertrauten Bedenken gegen eine Teilnahme von AfD-Mitgliedern an der Demonstration geäußert. Er befürchtete Bilder, wie sie einst 2018 auf einem von "Flügel"-Anhängern um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke und Andreas Kalbitz angemeldeten Trauerzug in Chemnitz entstanden waren, an dem auch Neonazis und Rechtsextremisten teilnahmen. Bilder, die damals das Bundesamt für Verfassungsschutz aufmerksam registrierte und die mit in dessen Bewertungen einflossen. Nichts aber fürchtet Meuthen so sehr wie eine mögliche Beobachtung der gesamten Partei durch den Geheimdienst.

AfD-Co-Chef Jörg Meuthen in Berlin: Keine Erklärung abgegeben zu den Protesten

AfD-Co-Chef Jörg Meuthen in Berlin: Keine Erklärung abgegeben zu den Protesten

Foto: Christoph Soeder/ dpa

Im Verlauf der Proteste am Samstag besetzten einige Demonstranten, unter ihnen Rechtsextreme mit Reichsflaggen, zeitweise die Treppe zum Reichstagsgebäude. Es waren Bilder, die für allgemeine Empörung und Entsetzen sorgten.

Auch AfD-Co-Fraktionschefin Alice Weidel nannte es "inakzeptabel, dass einige Chaoten nach der friedlichen Corona-Demonstration" die Polizei-Absperrungen durchbrochen hätten. Das Gebäude stehe für "parlamentarischen Meinungsstreit im Plenarsaal" und dürfe "nicht als Objekt politischer Auseinandersetzungen auf der Straße missbraucht werden, egal von welcher Seite". Offenkundig waren Weidel die Bilder nicht geheuer.

Noch Tage zuvor hatte sie auf ihrer Facebook-Seite über die Demonstration geschrieben: "Mutig und absolut begrüßenswert".

Mehr zum Thema

Co-Parteichef Chrupalla hingegen vermied eine klare Stellungnahme, verpackte stattdessen am Dienstag einen zehn Fragen umfassenden Katalog in eine Presseerklärung. Es ist ein Papier der Mutmaßungen, die darin gipfeln, ob die Berliner Behörden "den angeblichen 'Sturm auf den Reichstag' bewusst 'genehmigt'" hätten. Eine weitere Frage Chrupallas lautete: Ob der Verfassungsschutz Berlins Innensenator Geisel mitgeteilt habe, "wie viele V-Leute bei der Aktion auf den Treppenstufen dabei waren?"

Soll die AfD Bewegungspartei sein?

Tatsächlich ist noch nicht ausgemacht, ob die AfD von den Corona-Protesten wirklich profitieren kann. In der Partei wird darüber debattiert, etwa in internen Chatgruppen. Es geht dabei um einen Konflikt, der die AfD seit Anbeginn begleitet: Wie weit soll sie "Bewegungspartei" sein, sich auf der Straße mit möglichen Sympathisanten zeigen?

Schon die antimuslimischen und fremdenfeindlichen Pegida-Kundgebungen in Dresden hatten darüber zu Auseinandersetzungen geführt, vor allem Höcke und weitere Vertreter des mittlerweile offiziell aufgelösten, vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften "Flügel" zeigten sich auf Pegida-Kundgebungen und redeten dort auch.

Höcke hatte diesmal in einer Videobotschaft dazu aufgerufen, nach Berlin zu fahren. Doch wollte er dort offenbar keine AfD-Symbole sehen. Ausdrücklich forderte er dazu auf, an der Demonstration "nicht als Parteigänger", sondern "als freiheitsliebende Staatsbürger" teilzunehmen.

Kann die AfD, wie es Höcke und andere erhoffen, von den Protesten eine weitere Zielgruppe erreichen? Womöglich schon. Derzeit liegt die AfD in Umfragen zwischen neun und elf Prozent, bei der Bundestagswahl erzielte sie 12,6 Prozent.

Während die überwiegende Mehrheit der Deutschen weiter Verständnis für die Schutzmaßnahmen gegen Corona zeigt, erfahren die Demonstrationen bei AfD-Anhängern große Zustimmung: Vier Fünftel der Befragten unterstützen sie, ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL.

Dabei ist die Bewegung der Protestierenden divers: Linke, Konservative, Esoteriker, Rechtsextreme und andere waren in Berlin unterwegs. Der nordrhein-westfälische AfD-Chef Rüdiger Lucassen war mit dabei. Jede "parteipolitische Vereinnahmung dieser Bewegung" verbiete sich, sagt der Bundestagsabgeordnete dem SPIEGEL. Das könne auch gar nicht gelingen, weil die Ziele der Demonstranten "viel zu heterogen" seien.

Allerdings, sagt Lucassen auch, sei er davon überzeugt, "dass viele demonstrierende Bürger zahlreiche Anknüpfungspunkte in der Programmatik der AfD finden können."    

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten