Bundesländer uneins Harsche Kritik an innerdeutschen Quarantänevorschriften

In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz müssen Reisende aus deutschen Risikogebieten in Quarantäne - auch nach Besuchen von Berliner Corona-Hotspots. Die Regeln stoßen auf Unverständnis quer durch die Parteien.
Berliner Bezirk Friedrichshain: Wer von hier nach Schleswig-Holstein will, muss sich dort isolieren

Berliner Bezirk Friedrichshain: Wer von hier nach Schleswig-Holstein will, muss sich dort isolieren

Foto: Annette Riedl / dpa

An den Quarantäneregelungen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten entzündet sich immer mehr Kritik. "Reisebeschränkungen im Inland sind das falsche Signal und nicht hilfreich", sagte der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) dem SPIEGEL. Ramelows Innenminister Georg Maier (SPD) hält die Maßnahmen für nicht praktikabel. "Es ist mir schleierhaft, wie diese Regelung umgesetzt werden soll. Sollen wir jetzt stichprobenartig zwischen den Bundesländern kontrollieren?", sagte Maier dem SPIEGEL. "Da ist man über das Ziel hinausgeschossen, das wird nicht funktionieren."

In Schleswig-Holstein müssen sich Menschen, die sich zuvor in einem Corona-Risikogebiet innerhalb Deutschlands aufgehalten haben, in eine 14-tägige Quarantäne begeben. Aufgehoben werden kann diese nur durch zwei negative Corona-Tests innerhalb von fünf Tagen. Auch Rheinland-Pfalz hat eine ähnliche Regelung am Montag verabschiedet.

Entscheidend für die Einstufung als Risikogebiet ist, ob in den jeweiligen Kreisen oder kreisfreien Städten mehr als 50 Personen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tagen positiv getestet wurden. Das Robert Koch-Institut (RKI) weist derzeit die Städte Hamm und Remscheid in Nordrhein-Westfalen sowie den Landkreis Vechta in Niedersachsen als deutsche Risikogebiete aus. Zudem stehen auch die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg auf der Liste des RKI.

"Viel Verwirrung"

Daran orientieren sich Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Andere Länder betrachten Berlin dagegen als Ganzes - insgesamt liegt die Stadt noch unterhalb der Risikomarke. Wieder andere haben keine Quarantäne für innerdeutsche Reisende vorgesehen, womöglich gibt es aber grundsätzliche Beherbergungsverbote.

Ramelow verweist auf die Regelung der lokalen Vorgehensweise in seinem Bundesland. "Wir bleiben bei der Linie in Thüringen, mit der wir gute Erfahrungen gemacht haben. Ab 35 Fällen ist das Land involviert. Grundsätzlich entscheidet der Amtsarzt vor Ort. In Schleiz etwa funktioniert das gerade wunderbar, wo der Amtsarzt umgehend reagiert hat. Lokal und angemessen", so der Regierungschef.

In Schleiz hatte es vor wenigen Tagen einen Corona-Ausbruch in einer Behindertenwohnstätte gegeben, was dazu führte, dass im Saale-Orla-Kreis die Anzahl der Neuinfektionen die Marke 35 überschritten hatte. Daraufhin wurden im Kreis die Regeln verschärft.

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) plädiert ebenfalls für zielgenaue, transparente Regeln. "Dass einige Bundesländer wie Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz strenge Quarantäneregeln für Reisende aus einzelnen Kommunen erlassen haben, sorgt für viel Verwirrung. Für Reisen innerhalb Deutschlands brauchen wir eine bundesweit einheitliche Regelung, auf die sich alle Bundesländer einigen", sagte Oppermann dem SPIEGEL. "Ein Rückfall in Kleinstaaterei sorgt nur für Verunsicherung und gefährdet die Akzeptanz der Corona-Regeln."

"Ein Rückfall in Kleinstaaterei sorgt nur für Verunsicherung."

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD)

In Schleswig-Holstein gibt es Kritik aus der Opposition. Der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Ralf Stegner (SPD), sagte dem SPIEGEL: "Ich halte nichts von solchen Alleingängen einzelner Länder. Jenseits regionaler Differenzierung bei lokalen Infektionshotspots ist ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen in der Coronakrise notwendig, wenn wir die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger nicht verlieren wollen." Dies gelte erst recht für Quarantäneregelungen und Maskenpflicht.

Auch Kritik aus CDU von Spahn und Ploß

Auch im Nachbarland, im Stadtstaat Hamburg, sorgt die Regelung in Schleswig-Holstein für Unmut. "Ein Flickenteppich in Deutschland trägt nur zur Verwirrung bei und wird auch das Infektionsgeschehen kaum eindämmen", sagte der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß. "Wer soll das Ganze denn wirksam kontrollieren, wenn beispielsweise ein Stadtteil in einer deutschen Großstadt Risikogebiet ist, der Nachbarstadtteil aber nicht. Ich halte daher von dieser Regelung nichts."

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Kritik hatte es bereits von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegeben. "Ich gehe davon aus, dass wir die Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche sehr bald in vielen Regionen in Deutschland überschreiten werden. Die bestehenden Quarantäneregelungen werden dann kaum mehr Sinn machen, weil quasi ganz Deutschland ein Risikogebiet sein wird", sagte Lauterbach dem "Tagesspiegel".

Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte sich am Montag skeptisch. Er verstehe die Regelungen gut, die einige Bundesländer mit Blick auf den innerdeutschen Reiseverkehr hätten. "Gleichzeitig müssen wir miteinander schauen in der aktuellen dynamischen Infektionslage, dass alles auch noch nachvollziehbar und ganz praktisch einhaltbar bleibt für die Bürgerinnen und Bürger."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde Karl Lauterbach als Gesundheitsminister betitelt. Tatsächlich ist er Gesundheitsexperte der SPD. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten