Vorwürfe des Simon-Wiesenthal-Zentrums Rabbi nennt Jakob Augstein Antisemiten
Berlin - Im Streit um Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Verleger und Kolumnisten Jakob Augstein hat das Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles seine Kritik erneuert. Das Zentrum hatte einige Aussagen Augsteins auf die Liste der zehn schlimmsten antisemitischen oder anti-israelischen Verunglimpfungen des Jahres 2012 gesetzt. "Basierend auf seinem Verhalten und seinen Worten seit der Veröffentlichung dieser Liste können wir sagen: Ja, wir haben es mit einem Antisemiten zu tun", sagte der stellvertretende Leiter des Zentrums, Rabbi Abraham Cooper, am Donnerstag in Berlin.
"In unserer Liste geht es um antisemitische Verunglimpfungen, nicht notwendigerweise um das Individuum", erläuterte Cooper. Augstein habe die Möglichkeit gehabt, über seine Aussagen zu reflektieren und sich bei seinen deutschen Lesern sowie dem jüdischen Volk zu entschuldigen. Dies habe er jedoch nicht getan.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum veröffentlicht die Liste jedes Jahr seit 2010. In der Liste für das Jahr 2012 waren Aussagen Augsteins, die sich unter anderem in seinen Kolumnen auf SPIEGEL ONLINE wiederfinden, an neunter Stelle aufgeführt worden. Augstein hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte die Aussagen des Kolumnisten zwar, zugleich aber erklärte Zentralratspräsident Dieter Graumann, Augstein gehöre nicht auf die Liste.
Pressekonferenz in Berlin
Rabbi Cooper war auf Einladung des "Mideast Freedom Forum Berlin" (MFFB) zu einer Pressekonferenz in die deutsche Hauptstadt gekommen. Cooper hatte kürzlich das Angebot des SPIEGEL ausgeschlagen, sich mit Augstein selbst zu einem Streitgespräch zu treffen oder per Videoschalte mit ihm zu diskutieren. Er bedankte sich am Donnerstag erneut für das Angebot des Verlags, strich aber auf der Pressekonferenz heraus, dass er vor einer solchen Diskussion eine Entschuldigung von Augstein erwartet hätte. Diese sei nicht erfolgt, daher habe das Gespräch nicht stattgefunden.
Nach der Absage Coopers hatte der SPIEGEL Augstein mit dem Zentralratsvorsitzenden Graumann zum Streitgespräch geladen. Cooper nannte dies "entlarvend". In dem Gespräch hatte Augstein seine Kritik an Israel unter anderem so begründet: "Es gibt da einen Rollenkonflikt. Als Deutscher möchte ich behutsam mit Israel sein. Als Journalist will ich aber ehrlich sein. Wie löse ich das auf? Das ist eine Double-Bind-Situation. Soll ich bei jeder Kritik an Israel eine salvatorische Klausel anfügen: 'Ich habe nichts gegen Juden'? Das ist neurotischer Journalismus. Sollen wir verschweigen, dass Israels Regierung Recht bricht und es auch Alternativen gibt?"
Kritik an deutschen Medien
Bei der Veranstaltung des MFFB kritisierte auch der Buchautor und Politikwissenschaftler Matthias Küntzel auf dem Termin im Bundespresseamt die Aussagen Augsteins. Nach dem "schockierenden" Streitgespräch mit Graumann stehe Augstein "zu Recht auf dieser Liste". Augstein tue mit seinem Verweis auf den neurotischen Journalismus so, "als habe er den deutschen Journalismus von der Vergangenheit befreit". Küntzel beklagte die Rolle vieler Journalisten in der Debatte. Vor dem Streitgespräch mit Graumann habe ein "Riesenlärm" geherrscht, nunmehr "völlige Ruhe." Er zitierte Kommentare in mehreren deutschen Medien, die Augstein gegen die Vorwürfe des Wiesenthal-Zentrums in Schutz genommen hatten. Antisemitismus sei nicht nur ein Problem für die Juden, sondern gehe alle an. "So, wie es früher normal war, pauschal gegen Juden zu sein, so ist es heute normal, pauschal gegen Israel zu sein", so Küntzel. Die "eigentliche Diskussion um Journalismus und Antisemitismus" müsse jetzt erst beginnen, so seine Forderung.
Ähnlich äußerte sich auch Cooper. Er sei schockiert, dass Augstein von Journalisten nicht schon lange vor der Liste an den Pranger gestellt worden sei. "Wo wart ihr alle", fragte er in den Saal hinein.
Rabbi Cooper hatte seine scharfe Kritik an Augstein in den vergangenen Wochen wiederholt gegenüber Medien erhoben. In Berlin kritisierte er erneut eine Kolumne Augsteins auf SPIEGEL ONLINE, in der dieser ultra-orthodoxe Juden zum Thema gemacht hatte. Cooper warf ihm vor, diese mit islamischen Fundamentalisten verglichen zu haben. Er wolle von Augstein wissen, wie viele Selbstmordattentäter in- und außerhalb Israels die orthodoxen Juden hervorgebracht hätten. Die orthodoxen Juden seien wegen ihres Aussehens mit die ersten Opfer der NS-Verfolgung und im Konzentrationslager Auschwitz gewesen. In der jüngsten Vergangenheit seien sie in Frankreich getötet und auch auf Berlins Straßen angegriffen worden.
Augstein hatte geschrieben: "Israel wird von den islamischen Fundamentalisten in seiner Nachbarschaft bedroht. Aber die Juden haben ihre eigenen Fundamentalisten. Sie heißen nur anders: Ultraorthodoxe oder Haredim. Das ist keine kleine, zu vernachlässigende Splittergruppe. Zehn Prozent der sieben Millionen Israelis zählen dazu."
Cooper erklärte, wenn Augstein Israel besuchen wolle, würde er ihn gern mit einigen orthodoxen Juden bekannt machen.