
RAF-Prozess: Auftritt des Zeugen Buback
RAF-Prozess Der einsame Kampf des Michael Buback
Vermutlich hatte er erwartet, dieser Donnerstag werde sein Tag werden. Michael Buback, 66, Göttinger Universitätsprofessor und Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, wollte alles vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart ausbreiten: seine Gewissheiten, seine inzwischen unumstößlichen Überzeugungen und vor allem seine bittere Kritik an der Bundesanwaltschaft, ja, am Umgang der Justiz mit Opfern generell. Doch der Senatsvorsitzende Hermann Wieland setzt ihm gleich Grenzen.
Der Nebenkläger Buback, heute Zeuge im Prozess gegen Verena Becker, solle bitte "kein Plädoyer halten", so Wieland. Und auch "Ihr Buch sollen Sie nicht nochmals referieren". Sondern Buback möge sich darauf beschränken auszusagen, wie es zu seinen Kontakten mit Zeugen gekommen und was dabei besprochen worden sei. "Und was ausschlaggebend dafür war, dass Sie sich selbst an die Aufklärung der Tat zu Lasten Ihres Vaters machten."
Das war neutral formuliert und möglicherweise auch so gemeint. Gleichwohl ließ sich der Verdacht einer Zeugenbeeinflussung, selbst wenn sie nicht beabsichtigt gewesen sein sollte, und der Einmischung in die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft heraushören. Buback reagiert empfindlich. Er bittet den Vorsitzenden um Rücksichtnahme. Der bemüht sich. Wie auch Buback sich bemüht. Und trotzdem finden Richter und Opfer nicht zueinander. Je länger der Verhandlungstag dauert, desto tiefer wird der Graben.
Die Angeklagte Verena Becker, ehedem Mitglied der RAF, ist in Stuttgart der Mittäterschaft, möglicherweise auch nur der Beihilfe zum Karlsruher Attentat von 1977 angeklagt. Sie wird von der Bundesanwaltschaft nicht beschuldigt, auf dem Motorrad gesessen zu haben, von dem aus der oberste Ankläger der Bundesrepublik erschossen worden war. Trotzdem verhandelt der Senat über weite Phasen hinweg gerade über diese Frage seit mehr als einem Jahr mit äußerster Fairness und Akribie.
Weitschweifig vorgetragene Ausführungen des Nebenklägers
Der Gesetzgeber kommt seit 25 Jahren den Opfern von Straftaten entgegen. Mittlerweile sind sie, und das belegt das Becker-Verfahren unmissverständlich, in den Mittelpunkt des Strafprozesses gerückt. Weil der Senat Rücksicht auf Michael Buback nimmt, bestimmt dieser letzten Endes, worüber verhandelt wird. Die schweigende Angeklagte - eingerahmt von ihren Verteidigern Hans-Wolfgang Euler und Walter Venedey, die sich größter Zurückhaltung befleißigen - verblasst, je länger der Prozess dauert, angesichts der weitschweifig und entschieden vorgetragenen Ausführungen des Nebenklägers.
Am Donnerstag wandte sich die Angeklagte Becker Buback intensiv zu und drehte sich in seine Richtung, als der über seine Kontakte mit Zeugen berichtete und über die Schlüsse, die aus seiner Sicht aus deren neuen Angaben zu ziehen seien. Immer wieder erklärt der Vorsitzende: "Damit Sie verstehen, warum wir Sie danach fragen - es gibt hier Zeugen, die sich nach 30 Jahren an Dinge erinnern, die sie damals nicht wussten. Daher müssen wir fragen, welche Informationen sie wann und woher bekommen haben."
"Wir wollen nur wissen, wer geschossen hat"
Buback scheinen diese Worte nicht zu erreichen. Er sieht sich "schlecht behandelt" durch die Bundesanwaltschaft, klagt über "Informationsalmosen", die er von dort bekommen habe. Er fordert mit Verve den Vorsitzenden auf, die Oberstaatsanwältin Silke Ritzert zu rügen - für die Bemerkung "Hier wird die Wahrheit mit Füßen getreten" anlässlich einer Zeugenaussage zu Bubacks Vorstellung von einer "zierlichen" Schützin auf dem Soziussitz. Er rechtfertigt seine überaus umtriebige Suche nach Beweisen für seine Wahrheiten mit dem Umstand, dass es den Ermittlern 34 Jahre lang nicht gelungen sei, den wahren Täter auf dem Motorradrücksitz ausfindig zu machen. Er fordert "keine Halb-, Drittel- oder Viertelwahrheit", sondern die volle, die einzige, die objektive. Und die ist allein die seine, nicht etwa die der Bundesanwaltschaft.
Je länger Buback wortreich seine "Recherchen" vorträgt, umso mehr bestätigt sich ein unausgesprochener Verdacht des Senats: dass so mancher Zeuge, der sich jetzt an Details erinnert, der vor 34 Jahren nichts oder nicht so genau wusste, sich möglicherweise unbewusst in den Verschwörungsstrudel hat hineinziehen lassen, aus dem es für den Nebenkläger keinen Weg mehr gibt. Es schwirren Namen über Namen durch den Gerichtssaal, Abstruses und Groteskes wird vorgetragen. Bisweilen können sich einzelne Senatsmitglieder das Lachen nicht verkneifen. Oberstaatsanwältin Ritzert schüttelt wieder und wieder den Kopf.
Buback erwähnt Franz Josef Strauß, Erich Mielke, den bayerischen Verfassungsschutz, von Talkshows ist die Rede, von Journalisten, die auf der Jagd nach der großen Enthüllung mitrecherchierten. Von der Vermutung eines Auftragsmordes ist die Rede.
"Wir nehmen all diese Hinweise ernst", sagt Buback. "Wir wollen nur wissen, wer geschossen hat. Ich habe an Frau Becker geschrieben, sie möge doch bitte sagen, wo sie am Vormittag des 7. April 1977 gewesen ist. Wir, die Angehörigen, müssen das wissen. Wir, die Angehörigen bitten Frau Becker darum. Wir wollen nicht wissen, wer Briefmarken auf Bekennerbriefe geklebt hat oder wer zum Attentat angestachelt hat - dies ist angeklagt -, das waren Tausende. Wenn wir diese Auskunft hätten, könnten wir heute noch Schluss machen."
Er kämpft gegen die Bundesanwaltschaft
Ein Beisitzer fragt nach weiteren "Ansprechpersonen" Bubacks. Er tritt eine Lawine damit los. Irgendwann unterbricht ihn der Richter: "Ich habe nicht geahnt, welcher", er zögert, "welcher Reichtum hier zur Sprache kommt", sagt er zur Belustigung des Publikums. "Ich weiß auch nicht, warum die Leute sich alle an mich wenden", antwortet Buback. Er klingt entnervt. Ja, warum wohl. Warum gingen diese vielen bunten Zeugen nicht gleich zur Bundesanwaltschaft oder zumindest zur Polizei? "Sie haben reagiert", erklärt Buback, "weil es sie empörte, wie hier mit mir umgegangen wird."
Der Vorsitzende Richter trägt die Aussage einer Zeugin der Bundesanwaltschaft vor: "Unglücklicherweise hat mich Herr Buback gefragt, ob die Frau auf dem Sozius nicht eventuell eine braune Tasche dabei gehabt habe..." Seitdem habe sie das Bild einer Frau auf dem Motorrad im Kopf, könne aber nicht sagen, ob das wirklich ihre Erinnerung sei. Buback versteht den Vorhalt nicht. Er kann mit dem Wort "unglücklicherweise" nichts anfangen. Er versteht nicht, dass die Zeugin etwas erkannt hat, was tatsächlich die Bewertung der Aussagen erschwert.
30 Jahre lang glaubte Buback an Günter Sonnenberg, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt als Täter. Es ist nachvollziehbar, dass er höchst irritiert war, als er 2007 plötzlich erfuhr, dass offenbar der tatsächliche Schütze bisher nicht für die Tat am Generalbundesanwalt verurteilt wurde. Doch wer war der Schütze/die Schützin? Der Ex-Terrorist Peter Jürgen Boock äußerte sich Buback gegenüber mehr oder minder nebulös über Stefan Wisniewski. In der Hauptverhandlung verhielt er sich nicht anders. Warum Buback dann doch immer wieder auf Verena Becker kommt, "gegen die ich überhaupt nichts habe", erschließt sich nicht.
Buback kämpft gegen die Bundesanwaltschaft. Ihr habe er sich doch immer besonders verbunden gefühlt, beteuert er. Und nun hilft ihm niemand. So sieht er es.
"Ich verstehe die Bundesanwaltschaft nicht mehr", klagt er. "In der Anklage steht, drei Männer hätten die Tat verübt. Doch hier ist eine Frau angeklagt." Er beschwert sich, dass man ihn immer wieder für einen juristischen Laien halte. Er versteht nicht, dass der Senat eigentlich über die Anklage zu verhandeln hätte und nicht über das, was er als Nebenkläger fordert. Die Bundesanwaltschaft hat keine Fragen an ihn. Auch das noch. Es ist tragisch.