Verena Becker im RAF-Prozess "Ich war nicht dabei"

Jahrzehntelang schweigt Ex-RAF-Frau Verena Becker, dann meldet sie sich doch zu Wort - nur um zu verkünden, dass sie auf die zentrale Frage keine Antwort hat: Sie sei nicht dabei gewesen, als Generalbundesanwalt Buback ermordet wurde. Nun muss sich das Gericht einen Reim darauf machen.
Verena Becker im RAF-Prozess: "Ich war nicht dabei"

Verena Becker im RAF-Prozess: "Ich war nicht dabei"

Foto: Bernd Weissbrod/ dpa

Nach 88 Verhandlungstagen die erste Äußerung der Angeklagten. Und gleich klang das Leitmotiv an: "Bevor ich mit meiner Einlassung beginne, möchte ich Ihnen, Herr Buback, sagen, dass diese Erklärung nicht Ihnen persönlich gilt, sondern dem Gericht."

Verena Becker, die Ex-RAF-Terroristin, die - vielleicht - sehr nahe dran war an dem mörderischen Attentat und - vielleicht - trotzdem keine wesentliche Rolle dabei gespielt hat, wandte sich am Montag dem Sohn des am 7. April 1977 in Karlsruhe getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback zwar zu. Er begleitet mit seiner Frau als Nebenkläger den Prozess vor dem 6. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts unermüdlich und zunehmend resigniert und gequält. Gleichzeitig aber wandte sie sich von ihm ab, da sie dem Senat Rede und Antwort zu stehen hatte und niemandem sonst. "Sie wollen wissen, wer Ihren Vater getötet hat. Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Denn ich war nicht dabei."

Doch nur dies interessiert Michael Buback, den Chemieprofessor und Sohn des Ermordeten. Ihm geht es nicht um die Anklage, in der Verena Becker vorgeworfen wird, Mittäterin gewesen zu sein oder sich zumindest der Beihilfe an dem Attentat gegen den höchsten Strafverfolger der Bundesrepublik schuldig gemacht zu haben. Für ihn ist die Aussage "Ich war nicht dabei" noch nicht einmal ein schwacher Trost.

"Ich hatte einen ganz kleinen Funken Hoffnung", sagte Buback am Ende, "dass Sie die 'Buback-Geschichte' erzählen. Doch Sie blieben sehr, sehr weit hinter meinen Erwartungen zurück." Er hoffe noch immer auf eine weitere Erklärung, wer die Karlsruher Attentäter gewesen seien; um dies zu wissen, müsse man schließlich nicht unbedingt dabei gewesen sein. Und von wem sei die Tatwaffe übergeben worden, die Günter Sonnenberg im Mai 1977 bei sich hatte, als er und in seiner Begleitung Verena Becker in Singen nach einer Schießerei festgenommen wurden? Und die Kontakte Frau Beckers zum Verfassungsschutz? Und warum kam die Erklärung so spät? "Warum haben Sie sie nicht früher abgegeben? Sie hätten uns vieles erspart!"

Doch hätte man ihr geglaubt, wenn sie schon zu Beginn des Prozesses gesagt hätte "Ich war nicht dabei"? Nur wer die Regeln des Strafprozesses nicht kennt, meint, es hätte dann der zahllosen Beweiserhebungen nicht bedurft und man hätte viel früher Schluss machen können. Die Angeklagte hatte sich gegen, wie sie sagt, "falsche Behauptungen und Beschuldigungen" und "konkrete Vorwürfe" zu wehren, die mit einer schlicht anderslautenden Behauptung nicht ohne weiteres zu entkräften gewesen wären. Es kam für die Angeklagte schon darauf an, ob die Bundesanwaltschaft womöglich tragfähige Beweise für die Frage einer Mittäterschaft hätte vorlegen können. Erst jetzt, nachdem die Beweiserhebung so gut wie abgeschlossen ist, konnte sie sich dazu äußern.

"Ich bin überzeugt, Sie wissen, wer es war"

Bundesanwalt Walter Hemberger kritisierte, die Erklärung sei "dem Beweisergebnis angepasst", und warf der Angeklagten vor, "auf halbem Weg stehengeblieben" zu sein, weil sie nicht gesagt habe, wer der Schütze war. "Ich bin überzeugt, Sie wissen, wer es war." Becker hätte seiner Auffassung nach hinzufügen müssen: Ich habe es auch nicht erfahren. Darüber hinaus appellierte er an Beckers Mitgefühl, sie solle an die Angehörigen denken, die die Frage nach den Tätern "umtreibt". Auch habe er einen Satz der Reue erwartet oder das Bekenntnis zumindest, "auf dem falschen Weg" gewesen zu sein.

Doch die Erfahrung lehrt: Wie immer Angeklagte sich verhalten - sie machen es nie allen recht. Bereuen sie wortreich, heißt es: Das sind nur Lippenbekenntnisse. Sagen sie nichts, wird ihr Schweigen, das ihnen von Gesetzes wegen zusteht, als besondere Infamie gedeutet. Den ehemaligen RAF-Leuten, die als Zeugen im Becker-Prozess von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten, wurde vorgeworfen, die Angehörigen der Opfer zu verhöhnen. Der Angeklagten, die ihr Schweigen brach, hält man vor, nicht das erklärt zu haben, was man von ihr zu gern gehört hätte. Gewiss blieben Fragen offen, die eher in einem zeitgeschichtlichen Seminar denn im Gerichtssaal zu diskutieren wären. Dass der Senat sie im Lauf der Hauptverhandlung nicht alle konsequent zurückwies, zeigt, wie weit man dem Nebenkläger Buback entgegenkommen wollte. Ohne großen Erfolg allerdings.

Die Verteidiger, Hans Wolfgang Euler und Walter Venedey, hingegen warben für Verständnis für die Regeln des Strafprozesses. "Die Anklage besteht nach wie vor", sagte Euler. Die Verteidigung habe der Beweisaufnahme nicht entnehmen können, dass der Senat mittlerweile davon abgerückt sei. "Wir haben gehofft, vom Senat oder der Bundesanwaltschaft deutlichere Signale zu bekommen", stellte Euler mit Bedauern fest. Da ein rechtlicher Hinweis im Dezember, es könnte auch Beihilfe in Frage kommen, eher formaler Natur gewesen sei, sei der Verteidigung nichts anderes übrig geblieben, als sich mit sämtlichen Zeugen, auf die sich die Anklage stützte, intensiv auseinanderzusetzen. Etwa mit der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Peter-Jürgen Boock.

Verena Becker wies in ihrer Erklärung dessen Aussage zurück, sie habe sich "bei der grundsätzlichen Entscheidung, verschiedene Aktionen anzugehen", 1976 im Harz bei einem Gruppentreffen "besonders hervorgetan", als es um ein Attentat auf den Generalbundesanwalt ging. "Richtig ist allein, dass alle, die wir damals in der RAF organisiert waren, von einem starken Bedürfnis geleitet wurden, die Gefangenen in Stuttgart-Stammheim zu befreien", sagte sie. Eine Aktion gegen Buback sei "von uns allen im Grundsatz für richtig befunden" worden. "Meine Aufgabe in der Gruppe bestand damals hauptsächlich darin, unsere Verbindung in den Nahen Osten zu organisieren und den Kontakt zur Bewegung 2. Juni zu halten." An konkreten Anschlagsvorbereitungen sei sie nicht beteiligt gewesen.

"Ich habe selbst nie ein Motorrad gefahren"

Im März 1977 sei sie wieder in den Nahen Osten gereist. "Meine zwei Begleiter reisten nach etwa zwei Wochen, jedenfalls vor mir, wieder ab. Ich selbst trat meine Rückreise nach Europa am 8. April an. Bei dieser Reise benutzte ich neben einem anderen Pass zur Belegung der Reiselegende den zypriotischen Pass, ausgestellt auf den Namen Stella Ratson", so Becker. Sie habe selbst hergestellte Stempel aus der Gegend zur Verfügung gehabt, und man habe keine Direktflüge gebucht. Sie meine sich zu erinnern, dass sie via Jugoslawien erst einmal nach Rom geflogen sei. "Dass ein Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback am 7. April stattfinden sollte und stattgefunden hat, wusste ich zum Zeitpunkt der Reise nicht." Das habe sie erst in Rom aus den Medien erfahren. Auch habe sie nie mit einer Waffe wie der HK 43, der Tatwaffe, geschossen.

Auch an einem Banküberfall in Köln am 12. April 1977, wie die Anklage behaupte, sei sie nicht beteiligt gewesen. "Solche Aktionen bedurften der Vorbereitung vor Ort", sagte die Angeklagte, die Zeit dafür habe sie wegen des Auslandsaufenthalts gar nicht gehabt. Zeugen, die sie dort als "Thekenspringerin" erkannt haben wollen, irrten.

Noch einmal kam sie auf Boock und dessen Wahrheitsliebe zurück. "Sie können davon ausgehen, dass Peter-Jürgen Boock gelogen hat", sagte Becker und sprach dabei ihren Aufenthalt in Aden an, "was auch immer ihn dazu verleitet haben mag". Sie habe entgegen seiner Darstellung keineswegs ein schweres Motorrad fahren können, wie es bei der Tat benutzt worden sei. "Um es klar zu sagen: Ich habe selbst nie ein Motorrad gefahren."

Was ist nun die Wahrheit? Es gibt die reine Wahrheit, die historische, die forensische, die Wahrheit jedes Einzelnen. "Frau Becker gab dem Senat Gelegenheit, das Beweisergebnis anders zu bewerten als bisher", erklärte die Verteidigung. Bundesanwalt Hemberger stieß sich daran, dass Becker keine Fragen beantworten wollte. "In allen Anklagepunkten sagen Sie, Sie seien unschuldig", bemängelte Nebenkläger Buback. "Verena Becker überlässt es der Öffentlichkeit, ob man ihr glauben kann oder nicht", bemängelte ein Vertreter der Nebenklage. Das letzte Wort wird der Senat haben.

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