Sebastian Fischer

Merkel nach Kauders Sturz Abschied von der Macht

Welch ein Autoritätsverfall: Die Kanzlerin verliert ihren wichtigsten Vertrauten Volker Kauder und den Zugriff auf das Zentrum ihrer Regierungsmacht. Die Große Koalition hat keine Zukunft mehr.
Angela Merkel

Angela Merkel

Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpa

Die Erosion von politischer Macht wird immer dann offenbar, wenn die Anführer das Gespür für die Einstellungen ihrer Gefolgsleute verlieren. Der Verlust von Autorität kommt ja auch schleichend. Vertrauensschwund, Enttäuschung, Ärger staut sich erst eine ganze Weile auf, dann bricht sich all das Bahn.

Der Bundeskanzlerin ist das in den vergangenen fünf Tagen gleich zwei Mal passiert. Das ist bemerkenswert.

Die Niederlage ihres Vertrauten Volker Kauder bei der Wahl zum Unionsfraktionschef an diesem Dienstag hat Angela Merkel gänzlich unvorbereitet getroffen. Auf die Gegenkandidatur des jenseits der Fraktionsgrenzen kaum bekannten Ralph Brinkhaus hatte sie verständnislos reagiert.

Angela Merkel im Video: "In der Demokratie gibt es auch Niederlagen"

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Nur wenige Tage zuvor hatte die beabsichtigte Weglobung des Verfassungsschutzchefs Maaßen eine Empörungswelle in den Regierungsparteien ausgelöst. Merkel hatte das völlig unterschätzt, musste im Nachhinein ihren Fehler eingestehen.

Zwei Mal massive Fehleinschätzungen. Zwei Belege für den Autoritäts- und Kontrollverlust der einst so mächtigen Kanzlerin.

Kauders Wiederwahl hätte Merkel nach dem Tohuwabohu der letzten Wochen wieder etwas stabilisiert. Sein Sturz nun bewirkt das Gegenteil, und jeder in der Unionsfraktion wusste das bei Stimmabgabe.

In diesen Tagen wird Merkels Abschied von der Macht eingeläutet. Denn was ist jetzt noch übrig von der einstigen Großen Koalition?

Mit dem Zugriff auf die Unionsfraktion hat Angela Merkel das verlässlichste Herrschaftsinstrument von CDU-Kanzlern verloren. An ihrer Seite regiert mit der SPD ein Koalitionspartner, der aufgerieben ist und so schnell als möglich halbwegs aufrecht aus dieser Koalition herauskommen will. Und die CSU? Unterläuft seit drei Jahren die Autorität Merkels, wo sie nur kann.

Es gibt ein Leben jenseits der GroKo

Der Verlust des Machtzentrums Unionsfraktion wiegt am schwersten. Wahrlich, Brinkhaus ist kein Anti-Merkelianer, sondern ein Haushalts- und Finanzfachmann der eher leisen Töne, kritisch in Sachen Reform der Eurozone. Rasch nach seiner Wahl stellt er zudem klar: "Die Fraktion steht ganz fest hinter Angela Merkel", zwischen ihn und die Kanzlerin passe "kein Blatt Papier".

Die Halbwertszeit solcher Aussagen in der Politik ist bekannt. Und selbst wenn es im Moment ehrlich gemeint ist: Allein durch seine Wahl gegen den Willen der Kanzlerin steht Brinkhaus für eine neue Souveränität der Unionsparlamentarier und für die Entkopplung vom Kanzleramt.

Ähnlich wie die SPD ihrer Vorsitzenden Andrea Nahles in der letzten Woche überraschende Eigenständigkeit vorgeführt hat, so macht das nun die Mehrheit der Unionsparlamentarier. SPD und CDU/CSU-Fraktion senden damit auch ein Zeichen des eigenen Überlebenswillens. Es gibt ein Leben jenseits der GroKo. Ja, es gibt innerparteiliche Demokratie.

Und während sich Merkel 13 lange Jahre stets auf ihren treuen Kauder verlassen konnte, wird sie nun jedes Mal um die eigenen Mehrheiten kämpfen müssen. Das mutet fast schon an wie eine Minderheitsregierung.

Das Symbolische kommt hinzu: Ausgerechnet die Unionsfraktion geht Merkel von der Fahne - nach dem Ende der Deutschen Mark wohl der letzte Hort altbundesrepublikanischer Stabilität. Passé. Andere, impulsivere Kanzler hätten in dieser Situation möglicherweise den Stecker gezogen.

Merkel aber tritt nach der Schlappe vor die Kameras, allein, vielleicht bewusst ohne Brinkhaus an ihrer Seite, und sagt: Das sei eine "Stunde der Demokratie" gewesen und in der Demokratie gebe es "auch Niederlagen". Dann geht sie.

Tatsächlich münden manche Niederlagen in den Machtverlust.

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