Stimmenfang - Der Politik-Podcast "Reden wir über rassistische Strukturen, auch wenn es unangenehm ist"
Ob es jetzt 15.000 Menschen waren, wie die Berliner Polizei meldete, oder doch 50.000, wie andere Beobachter meldeten - auf jeden Fall waren es sehr viele, die am vergangenen Wochenende am Berliner Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert haben. Und nicht nur in Berlin, auch in Hamburg, München, Köln und in vielen weiteren deutschen Städten gingen die Menschen auf die Straßen. Der Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd bei der Festnahme durch einen weißen Polizisten hat auch hierzulande das Problem des strukturellen Rassismus an die Oberfläche gespült.
Wie nimmt die schwarze Community in Deutschland die Proteste wahr? In der neuen Folge des "Stimmenfang"-Podcasts hören wir die Stimmen von schwarzen Politikern, Musikern, Sportler, Medienschaffenden. Sie erzählen, was ihnen gerade durch den Kopf geht, worüber sie sich ärgern und welche gesellschaftlichen Veränderungen sie fordern.
Zum Beispiel David Mayonga, Musiker und Autor. Er sagt im Podcast über die schwarze Gemeinschaft: "Wir haben uns innerhalb dieses Protests als unglaublich vielschichtige und wunderbare Masse erfahren. Und wir haben uns eine sehr laute, gemeinsame Stimme gegeben!" Aber er sagt auch, dass sich niemand die Illusion mache, dass der Kampf gegen Rassismus und strukturelle Diskriminierung vorbei sei: "Für uns geht es genauso weiter wie vorher."
Die Moderatorin Aminata Belli stellt fest: "Es ist ein großer Fehler unserer Gesellschaft, dass wir zu wenig schwarze Stimmen haben in Medien und Politik." Dadurch würden politische Entscheidungen beispielsweise oft aus rein weißer Sicht getroffen und die Anliegen der schwarzen Community in den Medien oft nicht ausreichend repräsentiert.
Und der DJ, Musikjournalist und -produzent Hubert Spangler warnt: "Es passiert gerade viel Symbolik, aber nur wenig Substanz. Und jeder fühlt sich gut, weil er beigetragen hat - aber es wird damit nicht weiter am eigentlichen Problem gearbeitet."
Außerdem kommen im Podcast die Politiker Aminata Touré und Karamba Diaby, der Ex-Basketballnationalspieler Marvin Willoughby, die Journalistinnen Thembi Wolf und Sarah Wiedenhöft sowie der Journalist Jean-Pierre Ziegler zu Wort.
Der ganze Podcast zum Lesen
[00:00:05] Matthias Kirsch Willkommen zu Stimmenfang, dem Politik-Podcast vom SPIEGEL. Ich bin Matthias Kirsch.
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[00:00:45] Matthias Kirsch Auch in Deutschland gehen nach dem Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd bei seiner Festnahme durch einen weißen Polizisten Tausende Menschen auf die Straßen. Sie protestieren nicht nur aus Solidarität, sondern auch, weil struktureller Rassismus hier in Deutschland ebenso ein Problem ist. In dieser Podcast-Folge hören wir deswegen die Stimmen von schwarzen Deutschen. Sie sind Politiker, Musiker, Sportler und Journalisten. Sie erzählen, was ihnen in diesen Tagen durch den Kopf geht, worüber sie sich ärgern und welche Veränderungen sie jetzt fordern.
[00:01:19] Aminata Touré Mein Name Aminata Touré. Ich bin 27 Jahre alt und Landtagsabgeordnete bei den Grünen Schleswig-Holstein und zuständig für das Thema Anti-Rassismus und außerdem die erste afro-deutsche Vizepräsidentin in Deutschland. Ich bin ehrlich gesagt sehr froh gewesen und voller Stolz, dass wir das in wenigen Tagen geschafft haben, als schwarze Community so viele Menschen auf die Straße zu bringen, um über dieses Thema zu diskutieren. Und da war ich sehr froh, dass am Ende der Woche quasi ein so solidarischer Protest stattgefunden hat bundesweit. In der deutschen Politik passiert das selten – überhaupt auch das Wort Rassismus in den Mund zu nehmen und überhaupt über das Thema zu sprechen.
[00:02:00] Es gibt immer wieder Akteure und Akteurinnen, die deutlich darauf hinweisen, sei es jemand wie Cem Özdemir – um jetzt ein Beispiel aus meiner eigenen Partei zu nennen oder auch Claudia Roth – und viele andere, die sich da immer sehr deutlich positioniert haben, aber ganz oft allein auf weiter Flur waren. Das heißt, wir sind definitiv an einem Punkt, an dem wir überhaupt erst einmal eine offene Debatte darüber führen in Deutschland, derzeitig. Und ich habe das in den letzten Jahren immer wieder so erlebt, dass, wenn man angefangen hat, über dieses Thema zu sprechen, es immer erstmal pauschal zu einer Abwehrhaltung kam. Und das finde ich so indifferent, weil, um das mal beispielhaft darzustellen: In Schleswig-Holstein spreche ich sehr offen und ehrlich mit der Polizei, und auch mit den Gewerkschaften der Polizei, darüber, dass es so etwas wie Anti-Rassismus-Trainings braucht oder wie man zum Beispiel da eine Sensibilisierung hinbekommen kann, also die Institutionen selbst erlebe ich offener in der Debatte als die politischen Parteien. Und das finde ich ehrlich gesagt total absurd, weil es nicht dazu führt, dass es die tatsächlichen Probleme löst. Und da bin ich eigentlich immer eher verwundert, wenn man einfach nur die Augen davor verschließen möchte und sagt: "Nee, mit Rassismus hat das Ganze nichts zu tun". Natürlich kann man die Situation in den USA nicht eins zu eins gleichsetzen mit Deutschland. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass der gemeinsame Nenner Rassismus ist, und man kann einfach nicht die Augen davor verschließen, dass so viele Menschen weltweit deshalb auf die Straße gehen. Das machen Menschen ja nicht, weil denen langweilig ist. Das heißt, man kann natürlich einfach sagen: "Ist mal alles völlig wurscht, finde ich total übertrieben". Aber das führt nur dazu, dass unsere Gesellschaft sich weiter spaltet, wenn man nicht ernst genommen wird in der Frage Rassismus-Erfahrungen auch in Deutschland zu machen.
[00:03:39] Und diese Erfahrung machen viele Menschen. Und dann ist da auch immer dieser Irrglaube zu denken, nur weil ich das nicht beabsichtige, tut das nicht weh, führt dazu, dass wir eigentlich zu einer ungewollten Frontenverhärtung kommen. Was ich damit deutlich machen möchte, ist, wenn ich irgendwie irgendwo unvorsichtig langgehe und jemanden schubsen und dann hinfällt, da mag das nicht beabsichtigt sein, aber trotzdem trägt die Person dann eine Schramme davon. Und genau um diese Schrammen, um diese Verletzungen geht es, die man immer wieder Macht, weil man sehr oft aus Versehen geschubst wird. Und deswegen wünsche ich mir, so ein bisschen die Perspektive zu verändern: nicht aus der Position der Mehrheitsgesellschaft zu denken – "das ist doch gar nicht so böse gemeint" –, sondern aus der Perspektive der Minderheiten, sich zu fragen: Ja, okay, es ist vielleicht für euch nicht böse gemeint, aber was könnt ihr tun, um achtsamer hier lang zu gehen und mich nicht mehr zu schubsen?
[00:04:32] Jean-Pierre Ziegler Ich bin Jean-Pierre Ziegler und ich arbeite als Redakteur beim SPIEGEL. Als Schwarzer in Deutschland ist man es gewohnt, der Einzige zu sein. Wenn man da jedes Mal zusammenzucken würde, dann könnte man das Haus, glaube ich, nicht mehr verlasse, weil es natürlich im Vergleich zu anderen Ländern es sehr wenig schwarze Menschen gibt in Deutschland. Umso schöner ist es aber, wenn man tatsächlich auch dann Kollegen trifft oder auch im Alltag auf Leute trifft, die schwarz sind. Das ist ein bisschen so, wie wenn lange nicht die Sonne geschienen hätte. Man gewöhnt sich an den Regen, man gewöhnt sich an die grauen Tage und merkt gar nicht mehr, dass die Sonne fehlt. Und wenn sie dann da ist, dann merkt man erst, was einem all die Tage, was nicht da war, was gefehlt hat. Und so ist es ein bisschen auch mit schwarzen Kollegen. Es gibt schon so eine Art Verbundenheit, ohne dass ich jetzt, glaube ich, jeden grüßen würde, den ich sehen würde. Aber man hat schon den Eindruck, der oder sie hat gewisse Erfahrungen gemacht, die ich auch gemacht habe und es gibt so einen gewissen Grundkonsens. Also deswegen, wenn Schwarze von Brüdern und Schwestern sprechen, das hat schon einen gewissen Grund, weil man schon annehmen kann, dass die Personen gewisse Erfahrungen gemacht hat, dass die einen versteht, ohne dass man es groß erklärt. Und ich glaube, das ist das, was dieser Begriff Bruder und Schwester ausdrücken will.
[00:05:44] Für mich war es aber sehr wichtig zu wissen, dass es schwarze Menschen gibt, die das geschafft haben. Das klingt vielleicht abstrakt, aber die Rolle von Vorbildern ist für mich ein sehr wichtiger Umstand. Ich weiß noch im Jahr 2008, als Obama gewählt wurde, da hat in der "Süddeutschen Zeitung" ein Journalist einen Text geschrieben, und er hat auch darüber geschrieben, dass er schwarz ist. Und für mich war das sehr wichtig für meine weitere Karriere, einfach um die Vorstellung zu haben, ja, das gibt es tatsächlich. Das ist der erste Schwarze, der mir begegnet ist, der Journalist geworden ist. Und ich glaube, ich wurde nicht diskriminiert auf meinem Weg in den Journalismus, aber man braucht quasi das Wissen darum, dass es möglich ist. Ich glaube, da waren für mich Vorbilder sehr wichtig.
[00:06:28] Ich glaube, es ist halt leider wie bei vielen Themen – aber besonders beim Rassismus, weil es halt ein sehr unangenehmes Thema ist – so, dass es immer wieder ausbricht und dann wird berichtet, und dann ist es auch wieder verschwunden. Und dann ist es fast so, als gäbe es gar keinen Rassismus. Und ich glaube, da ist es wichtig, dass man als Medium sich immer wieder entscheidet, quasi gegen den Trend, so einen Artikel zu platzieren, der jetzt nicht den Aufhänger hat, jetzt ist gerade der NSU passiert, jetzt ist der Mord an Lübcke passiert, jetzt kommen gerade viele Flüchtlinge... Und das, finde ich, führt eben dazu, dass man so ein bisschen in der Debatte immer wieder von vorne anfängt und es keine Kontinuität gibt. Daran können wir arbeiten.
[00:07:10] Aminata Belli Ich bin Aminata Belli, ich bin 28 Jahre alt und Reporterin und Moderatorin. Und ich denke, dass ein großer Fehler unserer Gesellschaft ist, dass wir zu wenig schwarze Stimmen haben in – zum Beispiel – Medien oder Politik. Denn ich glaube, wenn es in der Politik mehr schwarze Stimmen gäbe, dann würde man gewisse Dinge einfach nicht entscheiden oder sie aus einem aus einer anderen Perspektive einfach entscheiden. Also, wenn ein AfD-Politiker z.B. klagt, das "N-Wort" sagen zu dürfen und nur weiße Menschen darüber entscheiden, ob er das dann darf oder nicht, haben wir ein Problem. Gleiches auch bei Medien: Wir haben sehr viel weiße Themen, wir haben weiße Sichtweisen und deshalb ein Problem von Repräsentation. Ich glaube auch, dass deshalb Rassismus runter geredet wird oder falsch beleuchtet wird. Vielleicht zu einem außenpolitischen Problem gemacht wird, das man nicht auf die Strukturen von Rassismus eingeht, weil viele weiße Menschen, die eventuell noch gar nicht so hinterfragt haben. Was schwarze Menschen wiederum schon mal gemacht haben, weil sie es einfach müssen, weil sie nicht das Privileg haben, sich dem nicht zu stellen, weil sie ständig damit konfrontiert werden. Deshalb glaube ich, dass Repräsentation ein wichtiger Punkt ist, der dafür sorgte oder immer noch sorgt, dass Fehler gemacht werden, wenn es um das Thema Rassismus geht. Dass Rassismus strukturell in unserer Gesellschaft verankert ist, ist, glaube ich, noch nicht so ganz bei allen angekommen, weil viele Menschen Rassismus als etwas sehen, das mit Springerstiefeln daherkommt, als radikales Problem und nicht als Konstrukt, auf das unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Aber ich glaube, dass das halt eine Auseinandersetzung fordert. Man muss sich mit dem System auseinandersetzen, um es zu verstehen. Und warum setzt man sich damit auseinander? Entweder, weil man Interesse hat oder weil man betroffen ist. Aber wenn man es nicht muss, dann kann man das natürlich von sich wegschieben, was, ja, einfacher ist. Wenn man diese verschiedenen Rassismen erkennt und entschlüsseln kann und versteht, dann kann man, glaube ich, auch dagegen angehen, sei es im Freundeskreis, im Büro, beim Bäcker: Dinge ansprechen und dafür sorgen, dass Rassismus sichtbar gemacht wird. Man sucht sich nicht aus, ein Rassist zu sein. Man wird in dieses System geboren, und das muss man erkennen. Wenn ich jemanden seine Rassismen aufzeige oder sage, dieses oder jenes Verhalten ist problematisch, dann sollte man das nicht als einen persönlichen Angriff sehen, sondern man sollte verstehen, dass es sich um ein System handelt und nicht um eine Beleidigung. Man sollte nicht mit Abwehr reagieren, sondern zuhören, verstehen und dann etwas daran ändern.
[00:10:05] David Mayonga Mein Name ist David Mayonga, andere kennen mich als Roger Rekless. Ich bin Musiker, Moderator und Buchautor. Wenn ich ein Statement abgeben soll zur momentanen Situation, dann könnte ich das adressieren an die weiße Hörerschaft, und ich könnte sagen, das und das ist zu tun, lest die Bücher von schwarzen Autoren, informiert euch über die eigenen rassistischen Denkstrukturen. Aber was ich viel wichtiger finde, worauf ich viel mehr Zeit aufwenden möchte, ist, zu den schwarzen Brüdern und Schwestern zu sprechen, zu den PoCs [People of Color], zu den Menschen mit Migrationshintergrund. Für uns geht der Kampf schon lange. Wir sind nicht erst seit den letzten Wochen dabei, wir haben seit den letzten Wochen unseren Kampf gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung intensiviert. Ich weiß, wie viele von euch wirklich auf dem Zahnfleisch daher gehen und trotzdem weitermachen. Und wir haben alle, nicht nur wir deutschsprachigen, sondern alle auf der ganzen Welt eine Sache erreicht: Wir haben uns eine sehr laute, gemeinsame Stimme gegeben, und wir haben uns innerhalb dieses Protests und dieser Bewegung auch als unglaublich vielschichtige, unglaublich inhomogene und wunderbare Masse erfahren. Ich habe so vielen Leuten geschrieben die, die sich engagiert haben und dann meinten: Ich brauche eine Pause. Und ich habe geschrieben: Wir sind da, ruhe du dich aus. Keiner von uns soll in der eigenen Hitze verglühen. Keiner von uns macht sich die Illusion, so denke ich, dass der Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung, Polizei, Brutalität und strukturelle Diskriminierung zu Ende ist, weil jetzt weltweit so viele Leute auf die Straße gegangen sind. Keiner von uns, glaube ich, macht sich die Illusion, dass man jetzt aufatmen könnte, jetzt durchschnaufen könnte. Für uns geht es genauso weiter wie vorher. Der Unterschied ist aber: Es wird sich etwas verändern an der Art, wie wir diskutieren. Der Kampf geht weiter, und er ändert sich. Nicht, weil auf einmal mehrere Weiße an der Seite stehen, sondern weil wir zusammenstehen, weil wir als Community zusammengewachsen sind. Das Gefühl habe ich. Ich habe mich ausgetauscht über die unterschiedliche Sozialisierung von uns, wie ich zum Beispiel in einem absolut weißen Umfeld aufgewachsen bin und bis heute mit meiner schwarzen Identität – nicht zu kämpfen habe –, aber mit meiner schwarzen Identität arbeite, an meiner schwarzen Identität arbeite. Ich habe mich mit Leuten ausgetauscht, die in Communitys großgeworden sind, die starke schwarze Identitäten entwickelt haben. Davon kann ich lernen. Diese Stärke, diese Kraft, diese Überzeugung von: Das was ich bin, ist richtig.
[00:13:04] Thembi Wolf Mein Name ist Thembi Wolf, ich bin Journalistin und arbeite für vice.com. Die Frage, wo mir im Alltag und Beruf Rassismus begegnet, kann eigentlich nur von einer weißen Person kommen. Ich glaube nämlich, dass vielen weißen Menschen gerade in Deutschland das Bewusstsein dafür fehlt, wie sehr Rassismus und rassistische Strukturen in alle Alltagsbereiche hineinwirken. Ich bin schwarz, wenn ich morgens aufstehe und in den Spiegel gucke, und ich bin schwarz, wenn ich auf die Straße gehe und ins Büro, und wenn ich abends mit der Bahn wieder nach Hause fahre. Und Rassismus begleitet mich eigentlich, wo immer ich hingehe. Natürlich habe ich auch diese Geschichten, die ich immer wieder erzähle, wenn wieder jemand bezweifelt, dass es Alltagsrassismus noch gibt in Deutschland: Wenn ich zwölfmal mal gefragt werde, wo ich herkomme, wenn ich bei der Wohnungssuche meinem afrikanischen Vornamen weglasse oder wenn ich mit meiner schwarzen Tante zum Mittagessen verabredet bin und ich das Restaurant betrete und man uns erst mal den Blick zur Küche weisen will, zum Abwaschen.
[00:14:09] Ich finde aber tatsächlich: Gerade ist das Timing daneben. Ein rassistischer Mord und die Frage, ob es rassistische Polizeigewalt auch bei uns gibt, ist kein Anlaß, eigentlich über Alltagsrassismus zu sprechen, sondern es geht eigentlich gerade – oder sollte gehen – um strukturellen Rassismus, also die Frage, wo Diskriminierung von schwarzen Menschen, von People of Color System hat. Ich habe so ein bisschen Angst, dass wir gerade diesen Moment verpassen, darüber zu reden. Zum Beispiel finde ich, das wäre der ideale Zeitpunkt, um mal darüber zu sprechen, wie das eigentlich mit Rassismus im deutschen Rechtssystem ist. Also warum wird Rassismus so selten erwähnt in deutschen Gerichtssälen? Warum zählt es so selten als Tatmotiv? Warum konnte es so selten in Urteilen vor, die in Deutschland gesprochen werden? Was ist da das Problem? Müssen wir da etwas reformieren? Müssen wir da irgendwie Awareness schaffen? Ich frage mich, warum das Wort "Rasse" im deutschen Grundgesetz steht, obwohl klar ist, dass dieser Begriff bei uns eine rassistische Tradition und Konnotation hat. Ich finde, man könnte mal fragen: Wie viele Richterinnen und Richter of Color gibt es eigentlich? Wie viele schwarze Richterinnen und Richter? Wird das erhoben? Und wenn nicht, warum nicht? Brauchen wir da vielleicht mal eine Quote, um etwas zu ändern? Ich habe das Gefühl, dass wir, wenn wir jetzt über Alltagsrassismus sprechen, wir verpassen, über diese Strukturen zu sprechen und verpassen, die wichtigen Diskussionen zu führen, die am Ende den strukturellen Rassismus bekämpfen, also das, was dahinter liegt, neben den individuellen Geschichten. Und ich glaube, dass diese Themen oft unbequemer sind als Menschen, bei ihren Alltagsrassismus-Erfahrungen zuzuhören, aber ich glaube, man bekämpft eben strukturellen Rassismus, nicht nur durch Zuhören.
[00:15:57] Karamba Diaby Hallo, ich bin Karamba Diaby, bin SPD-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Halle an der Saale. Machen wir uns nichts vor: Rassismus gegen schwarze Menschen gibt es auch hier in Deutschland. Fakt ist: Wir haben ein Rassismus-Problem und das nicht erst seit gestern. 1990 wurde ich selbst Opfer eines rassistischen Angriffs, meine Brille zerstört. Das ist eine Erinnerung, die ich nie vergessen werde, die aber im Vergleich noch harmlos war. Ich denke an Alberto Adriano, der am 11. Juni 2000 bei einem rassistischen Angriff durch drei Neonazis im Stadtpark von Dessau tödlich verletzt wurde. Oury Jalloh verbranntes 2005 im Polizeirevier Dessau. Bis heute sind seine Todesumstände unaufgeklärt. Fakt ist: Wir haben ein Rassismus-Problem und nicht erst seit gestern. Wir müssen gemeinsam handeln.
[00:17:12] Sarah Wiedenhöft Ich heiße Sarah Wiedenhöft. Ich arbeite als Journalistin unter anderem für den SPIEGEL und schreibe gerade meine Doktorarbeit. Ich bin Mutter eines schwarzen Kindes, das jetzt fast zehn Jahre alt ist. Als erstes, muss ich ehrlicherweise sagen, habe ich auch schon häufiger darüber geschrieben, dass mir der Rassismus gar nicht so bewusst war, bevor ich ein schwarzes Kind bekam. Mir war nicht klar, an wie vielen Stellen schwarze Menschen weißen Menschen gegenüber benachteiligt sind – dass es strukturell so ist, in der Schule so ist, dass es in der Öffentlichkeit so ist, dass es bei Polizeikontrollen so ist, dass es bei Kontrollen vor Clubs so ist. Das war mir gar nicht so klar, auch wenn es traurig ist, dass es mir nicht so klar war, es war tatsächlich so. Als mein Sohn geboren wurde, fing es tatsächlich schon eigentlich an im Krankenhaus, dass Krankenschwestern mich darauf ansprachen, dass er ja relativ hell ist dafür, dass er einen ganz schwarzen Vater hat. Und dann kamen auch gleich Vergleiche mit verschiedenen Lebensmitteln, Schokolade, Kaffee, Mokka. Weiße Babys würde man nicht mit Essen vergleichen, glaube ich. Und das zog sich dann aber so durch. Auch im Kindergarten kam es zum Beispiel zu der Situation, dass es Schwimmunterricht gab und wir echt diskutieren mussten, weil die Erzieherinnen ein bisschen Angst hatten, dass die Haare von meinem Sohn zu langsam trocknen würden.
[00:18:45] Und ich versuche ihm immer zu erzählen, dass es Menschen gibt, die so denken, und dass die das einfach falsch gelernt haben. Rassismus ist strukturell einfach etwas, was falsch gelernt wurde. Dass es aber auch ganz, ganz viele Menschen gibt, die sich dagegen wehren – schwarze Menschen, aber auch weiße Menschen, die sich dagegen wehren und sich zusammenschließen und versuchen, das zu ändern. Es ist für ihn erschreckend normal, weil es nicht anders kennt leider. Ich würde ihn eigentlich gerne schützen, und das kann ich einfach nicht. Das ist, glaube ich, das größte Problem. Ich würde gerne dafür sorgen können, dass er in der Schule oder eigentlich überall genauso behandelt wird wie alle anderen Kinder auch. Und das kann ich nicht. Das ist, glaube ich, das größte Problem.
[00:19:28] Ich würde mir sehr wünschen, dass diese ganzen Proteste jetzt dazu führen, dass zum Beispiel Kinderbücher und Schulbücher weiter überarbeitet werden. Da ist es auch oft so – gerade in den Erdkunde-Büchern zum Beispiel –, dass Afrika noch als ein Land gesehen wird, während in europäischen Ländern zum Beispiel einzelne Städte beschrieben werden sogar oder eben die Kultur in den einzelnen Ländern. Es ist so, dass Afrika praktisch eine Masse ist. Oder dass es vielleicht auch so ist, dass es mehr Vorbilder gibt, also mehr schwarze Literatur, schwarze geschichtlich-bedeutende Personen, die einfach mehr im Unterricht besprochen werden neben weißen Personen.
[00:20:13] Marvin Willoughby Mein Name ist Marvin Willoughby, ich bin Geschäftsführer und Sportliche Leitung der Hamburg Towers [Basketball-Verein]. Wenn man in Deutschland über Polizeigewalt gegen Migranten oder Minderheiten spricht, dann kommt sofort: "Generalverdacht. Die Diskussion wird sofort im Keim erstickt. Wenn ein Spieler oder Sportler oder Mannschaften ihre Meinung sagen wollen, wird gesagt: "Ah, das ist politisch, wir sollten nicht politisch sein", obwohl es absolut nichts mit Politik zu tun hat, sondern mit Grundwerten und Grundrechten zu tun hat. Der Reflex bei der Masse, die das Problem vielleicht nicht so erlebt im Alltag ist immer sehr schnell, ich möchte nicht darüber sprechen, weil es natürlich unangenehm ist. In Amerika ist es unangenehm, in Deutschland ist es unangenehm über dieses Thema zu sprechen, sich einzugestehen, dass wir Strukturen haben, die rassistisch sind, dass es Situationen gibt, die nicht fair sind. Es ist unangenehm darüber zu sprechen und ein normaler Reflex ist, erstmal irgendwie ein Vorwand zu finden, warum wir es nicht tun. Ich finde es menschlich, das ist nichts Schlimmes. Aber ich freue mich sehr darüber, dass sehr, sehr viele Leute auf die Straße gehen und sagen: Nein, wir müssen darüber sprechen, und wir müssen jetzt darüber sprechen. Und wir müssen nicht darauf warten, dass wir einen Grund wieder finden, der so schlimm ist, dass man dann gezwungen ist, es wieder auf den Tisch zu tun.
[00:21:11] Natürlich verstehe ich grundsätzlich die Aussage, dass man nicht den Sport nutzen möchte, um politische Kämpfe auszutragen oder religiöse Kämpfe oder sonst irgendwas. Sport sollte Sport sein. Das ist absolut richtig. Aber jeder Mensch, jeder Bürger, jede Mannschaft hat natürlich das Recht, seine Meinung zu sagen und vor allen Dingen haben die das Recht, ihre Meinung zu sagen über etwas, was nicht politisch ist. Nochmal: Meine Meinung nach ist Rassismus nicht politisch. Unsere Spieler, von denen sich ja viele geäußert haben aus unseren Reihen werden nicht bestraft, sondern wir motivieren die, wir fordern die heraus und ihre Meinung zu sagen. Aber nicht nur auf dieser großen Ebene. Es ist nicht entscheidend, was LeBron James oder Schweinsteiger oder sonst welche Sportstars sagen würden. Es ist wichtig, was bei Ihnen zu Hause, bei Ihnen jetzt wirklich zu Hause passiert, wie Sie reagieren, wie Sie ihre Kinder erziehen, wie Sie irgendwie mit dem Umfeld umgehen, wie im Freundeskreis darauf reagiert wird, wenn ein rassistischer, blöder Spruch kommt; wenn Kommunikation negativ ist. Wenn ich jetzt kommen oder wir als Sportler kommen und sagen, das ist doof, wir verbieten das, dann funktioniert das nicht. Nur wenn jeder das für sich zum Problem macht in seinem kleinen Umfeld mit seinen Peers, die ihm vertrauen, das zum Problem gemacht wird und da gesprochen wird und diskutiert wird darüber, wenn das dort ein Thema ist und klar gemacht wird, wir müssen jetzt hier anfangen, anders miteinander zu reden und uns anders zu behandeln, dann wird es Wechsel geben. Es wird nicht Wechsel geben, wenn die Führung jetzt irgendwie jemand bestraft dafür oder die Polizeigewerkschaft die Polizisten bestraft, das wird nicht funktionieren, sondern nur wenn ein breiter Konsens in der Bevölkerung ist, dass das nicht geht, dass wir das nicht machen können.
[00:22:43] Hubert Spangler Ich bin der Hubert Spangler, ich bin 23 Jahre alt, DJ, Musikproduzent, Musikjournalist und ich betreibe einen Community-Radiosender in Berlin. Ich bin in einem 1.500 Seelen-Dorf in Bayern groß geworden, das in Sachen Inklusion noch einiges zu lernen hat. Und dieses Dorf hat meiner Mutter und mir jahrelang das Leben ziemlich schwer gemacht.
[00:23:07] Es gab da eine Familie, die die es ganz besonders auf uns abgesehen hat. Ich nenne sie für die Geschichte mal "die Bäckers". "Die Bäckers" hatten extreme Statuskomplexe, und das hat sich in unzähligen Gerüchten über meine Familie geäußert, sodass Eltern ihren Kindern abgeraten haben oder sogar untersagt haben, sich mit mir abzugeben. Ich hatte ein, zwei Schuljahre lang private Mathe-Nachhilfe, die ich nach jeder Stunde in bar bezahlt habe. Und irgendwann hat meine Nachhilfe-Lehrerin mir gesagt, dass die Stunden ab nächster Woche drei Euro mehr kosten. Ich habe in dem Moment nicht ganz verstanden, weshalb, aber sie haben mir erklärt, dass "die Bäckers" uns nicht mehr unterstützen wollen. Das habe ich nicht verstanden. Sprich: Ich habe zwei Jahre lang – ohne zu wissen – nicht den vollen Preis bezahlt, damit "die Bäckers" im Dorf rumerzählen konnten, wie arm meine Familie sei und wie heldenhaft sie uns aus der Patsche geholfen haben. Was ich mit dieser Episode sagen will, ist: Wenn jemand helfen will, dann ist es ehrenwert, wenn dahinter ehrenwerte Motive stecken. Aber in jedem Fall ist es diskriminierend und verkehrt und äußerst oberflächlich, von jemandes Hautfarbe auf seinen Wohlstand oder seine Armut zu schließen.
[00:24:19] Es war nicht besonders schwer, mich aus dieser Umgebung loszureißen und halte mich im Moment in Berlin auf. Die Berliner Kreativszene zehrt von schwarzer Kultur mehr, als sich die Leute darüber bewusst sind oder eingestehen wollen. All die Musik in Clubs läuft, Clubkultur überhaupt, wie wir sie heute kennen, hat ihre Ursprünge darin, dass Schwarze sich einen Fluchtraum geschaffen haben, indem sie für ein paar Stunden ungeniert sie selbst sein konnten und dem Frust der weißen Unterdrückung weichen konnten. Aber es ist ab dem Punkt problematisch geworden, an dem sich ganze Industrien aus diesem Fundament entwickelt haben, von denen – plakativ gesagt – im Moment nur Weiße sich eine goldene Nase verdienen. Ich muss darüber schockiert sein, dass, wenn ich einen Redaktionssitzung von Publikationen teilnehme, die die relevantesten für elektronische Musik weltweit sind, dass ich der einzige Schwarze an einem Tisch bin. Das hat nichts mit Inklusion zu tun. Das hat nichts mit Diversität zu tun. Und vor allem sitzen 90 Prozent Menschen an diesen Tisch, die - und damit will ich niemanden angreifen-, aber nur bis zu einem gewissen Ausmaß mit dem Grundkonzept, auf dem die gesamte Szene basiert, mitfühlen können. Und das ist ein Problem.
[00:25:35] Matthias Kirsch An dieser Stelle wollen wir uns noch einmal bei all unseren Gesprächspartnerinnen und -Partnern bedanken, dafür, dass sie ihre Meinungen und Gedanken mit uns und Ihnen, unseren Hörerinnen und Hörern, geteilt haben. Wir wollen aber auch noch etwas anderes ansprechen, nämlich dass wir in der Entstehung dieser Folge auch viel gelernt haben. Zum Beispiel haben auch wir einige von unseren Gesprächspartnern nach ihren eigenen rassistischen Erfahrungen gefragt. Und zu Recht haben uns einige von ihnen darauf aufmerksam gemacht, dass das zu kurz gedacht ist, dass es eben nicht die Aufgabe der Betroffenen ist, uns durch das erneute Durchleben von schlimmen Erfahrungen zu beweisen, dass es Rassismus wirklich gibt. Nein, struktureller Rassismus ist definitiv auch in Deutschland ein Problem. Und wie Thembi Wolf es in dieser Folge gesagt hat: Um wirklich etwas zu ändern, reicht Zuhören einfach nicht, dafür müssen wir handeln.
[00:26:39] Das war Stimmenfang, der Politik-Podcast vom SPIEGEL. Die nächste Episode von Stimmenfang hören Sie am nächsten Donnerstag auf spiegel.de, bei Spotify, Apple Podcasts und in den gängigen Podcast-Apps. Wenn Sie uns Feedback schicken möchten, schreiben Sie uns einfach eine Mail an stimmenfang@spiegel.de oder nutzen Sie unsere Stimmenfang-Mailbox unter 040 380 80 400. An die gleiche Nummer, also 040 380 80 400, können Sie uns auch eine WhatsApp-Nachricht schicken. Diese Folge wurde produziert von Yasemin Yüksel und mir, Matthias Kirsch. Danke für die Unterstützung an Philipp Fackler, Johannes Kückens, Wiebke Rasmussen, Sebastian Spallek, Matthias Streitz und Philipp Wittrock. Die Stimmenfang-Musik kommt wie immer von Davide Russo.
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