Merkels Röttgen-Rauswurf Protokoll einer Demütigung

Röttgen, Merkel: Eine Nacht Bedenkzeit
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSBerlin - Es ist die größtmögliche politische Demütigung, sogar von einer politischen Exekution ist die Rede. Angela Merkel hat ihren Umweltminister Norbert Röttgen gefeuert, drei Tage nach der historischen CDU-Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen. Einen gesichtswahrenden Rücktritt lehnte der einstige Hoffnungsträger der Christdemokraten bis zuletzt ab, die Kanzlerin war sauer - und griff durch. Mit einer Härte, die sogar in den eigenen Reihen für Unbehagen sorgt.
Was ist zwischen Sonntag und Mittwoch passiert? Das Protokoll des Röttgen-Rauswurfs:
Sonntag, 13. Mai, 18 Uhr:
Nordrhein-Westfalen hat gewählt. Schon die ersten Prognosen zeigen: Es ist eine Katastrophe für die CDU. Am Ende stehen 26,3 Prozent - das mit Abstand schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Schon wenige Minuten nach 18 Uhr tritt Spitzenkandidat Norbert Röttgen vor die Presse. Er übernimmt die volle Verantwortung für die Niederlage, kündigt an, den Landesvorsitz niederzulegen. Röttgen wirkt tief getroffen. In der Berliner CDU-Zentrale herrscht Entsetzen. Aber der Merkel-Vertraute und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärt: "Ich bin ganz sicher, Norbert Röttgen wird die wichtige Arbeit als Bundesumweltminister mit ganzem Einsatz fortsetzen."
Montag, 14. Mai, 9 Uhr:
Wie nach jeder Landtagswahl treffen sich im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin die Führungszirkel der CDU, um 9 Uhr das Präsidium, anschließend der Bundesvorstand. Wie jedem Spitzenkandidaten, ob gescheitert oder erfolgreich, überreicht die Parteichefin Röttgen einen Blumenstrauß. Doch die Stimmung ist eisig. Hinter den verschlossenen Türen bekommt Röttgen noch einmal alle Fehler vorgehalten, die der Umweltminister auch schon im Wahlkampf zu hören bekam. Vor allem, dass er offen ließ, ob er auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde, hält man ihm vor. Verteidigungsminister Thomas de Maizière kritisiert den Kabinettskollegen dafür scharf, Unionsfraktionsvize Michael Meister wird mit den Worten zitiert: "Das Problem war Glaubwürdigkeit." Die Kanzlerin sieht das genauso. Und sie ist stinksauer auf Röttgen, weil der im Wahlkampfendspurt versuchte, sie für die drohende Niederlage in Mithaftung zu nehmen, indem er die NRW-Wahl zur Abstimmung über ihren Euro-Kurs hochstilisierte. In den Sitzungen hält sich Merkel jedoch zurück. Aus Röttgens Umfeld heißt es, es gehe ihm sehr schlecht: "Er leidet wie ein Tier."
Montag, 14. Mai, 11.30 Uhr:
In der Bundespressekonferenz wird Regierungssprecher Steffen Seibert nach der Zukunft Röttgens als Bundesumweltminister gefragt. "Norbert Röttgen ist Umweltminister und hat als solcher wichtige Aufgaben zu erfüllen", sagt Seibert. "Daran hat sich nach der Wahl nichts geändert." Röttgens Sprecherin ergänzt: "Er war wie immer hellwach und sieht den künftigen Aufgaben als Umweltminister mit großer Zuversicht und großem Engagement entgegen."
Montag, 14. Mai, 13 Uhr:
Nach den CDU-Spitzengremien treten Merkel und Röttgen im Adenauer-Haus gemeinsam vor die Journalisten. Wieder fragen die Reporter, ob der angeschlagene Minister im Amt bleiben kann. Röttgen sagt, er wolle seine Arbeit als Umweltminister "gut und engagiert" machen und denke nicht über einen "Wechsel aus der Politik sonst wohin nach". Die Kanzlerin schwurbelt: "Die Kontinuität der Aufgabenerfüllung ist notwendig, um die Energiewende vernünftig gestalten zu können." Ist das Unterstützung für Röttgen? Zumindest wird es von vielen so verstanden. Im Nachhinein klingen die Worte seltsam kühl, sie nimmt nicht einmal Röttgens Namen in den Mund. Aber Merkel sagt oft solche Sätze. Die Wahlschlappe versucht sie als regionales Ereignis abzutun. Kritik von CSU-Chef Horst Seehofer lässt sie an sich abprallen. Seehofer nennt das Wahlergebnis in der "Bild"-Zeitung eine politische Katastrophe und stellt indirekt Röttgens Eignung als Umweltminister in Frage: "Ich hoffe, dass der Bundesumweltminister mit dieser Herausforderung anders umgeht als mit dem Wahlkampf in NRW."
Montag, 14. Mai, 18 Uhr:
Seehofer legt nach, erst bei einem Auftritt im Allgäu, dann am Abend im Fernsehen. Das ZDF-"heute-journal" zeichnet mit Bayerns Ministerpräsident um 18 Uhr ein denkwürdiges Interview auf. "Ich bin nicht mehr bereit, einfach zur Tagesordnung überzugehen", sagt der CSU-Chef im offiziellen Teil des Gesprächs, das am Abend gesendet wird. Aber das ZDF verbreitet später - mit Seehofers Einverständnis ("Sie können das alles senden - machen S' a Sondersendung!") - auch noch das Nachgespräch. Und dort wird der CSU-Chef noch deutlicher, koffert gegen Röttgen und die aus seiner Sicht zu unentschlossene schwarz-gelbe Koalition im Bund.
Dienstag, 15. Mai, 13.30 Uhr:
In Düsseldorf hat die neue CDU-Landtagsfraktion Karl-Josef Laumann soeben zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Röttgen verlässt den Saal durch die Hintertür. Später wird er einsam vor dem Landtag gesichtet, er läuft Laumanns Fahrer in die Arme. Er solle unbedingt Umweltminister in Berlin bleiben, bittet ihn der Mann. Röttgen verspricht es ihm, gibt ihm die Hand. Dann macht er sich auf den Weg nach Berlin. Er hat um 17 Uhr einen Termin im Kanzleramt.
Dienstag, 15. Mai, 17 Uhr:
Röttgen kommt zur Kanzlerin in die Regierungszentrale. Merkel hat nachgedacht, abgewogen, kommt zu dem Schluss: Es geht nicht mehr. Ein derart geschwächter Minister, das dürfte ihr Kalkül sein, hat nicht mehr die nötige Autorität, um die Energiewende, eines der zentralen Projekte der Regierung, voranzutreiben. Ein Projekt, das zuletzt ohnehin immer wieder ins Stocken geraten ist. Sie legt Röttgen, dem einstigen Musterschüler der CDU, den Rücktritt nahe. Aber Röttgen will weitermachen. Und er geht zum Gegenangriff über: Laut "Rheinischer Post" beklagt er sich bei der Kanzlerin darüber, dass sie ihn nicht ausreichend gegen die Angriffe von CSU-Chef Horst Seehofer verteidigt. Die beiden streiten, heißt es. Am Ende gibt Merkel Röttgen eine Nacht Bedenkzeit.
Mittwoch, 16. Mai:
In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erscheint ein Interview mit dem Merkel-Vertrauten und Vorsitzenden der Unionsfraktion, Volker Kauder. Kauder sagt auf die Frage, ob Röttgen Umweltminister bleiben kann: "Er kann. Die Energiewende erfordert den vollen Einsatz. Den muss er jetzt zeigen." Kauder ist kein Freund Röttgens. Und er sagt auch nicht, das Röttgen Umweltminister bleibt oder bleiben muss.
Mittwoch, 16. Mai, 9.30 Uhr:
Im Kanzleramt kommt das Bundeskabinett zusammen. Auch Röttgen ist dabei. Mancher will später bemerkt haben, dass der Umweltminister extrem angeschlagen gewirkt habe. Von dem, was da folgt, ahnen die Ressortkollegen aber wohl noch nichts. Im Anschluss an die Kabinettssitzung nimmt Merkel Röttgen zum Vier-Augen-Gespräch zur Seite. Sie teilt ihm mit, dass sie ihn entlassen werde. Wenig später ruft sie Bundespräsident Joachim Gauck an, der in Italien im Urlaub weilt. Sie schlägt ihm gemäß Artikel 64 des Grundgesetzes vor, Röttgen als Bundesumweltminister von seinen Aufgaben zu entbinden.
Mittwoch, 16. Mai, 15.19 Uhr:
Das Bundespresseamt verschickt an die Hauptstadtpresse eine E-Mail mit der Überschrift: "Achtung Terminhinweis: Statement von Bundeskanzlerin Angela Merkel". Die Journalisten werden für 16.30 Uhr ins Kanzleramt eingeladen, eine ungewöhnlich kurzfristige Ansetzung. Doch Angaben zu den Gründen fehlen, Nachfragen im Bundespresseamt ergeben nichts. Regierungssprecher Steffen Seibert, der zur gleichen Zeit in der Bundespressekonferenz mit Journalisten zum Hintergrundgespräch über die bevorstehenden G-8- und Nato-Gipfeltreffen zusammensitzt, gibt keinen Kommentar ab.
Mittwoch, 16. Mai, 15.55 Uhr:
Als erste Nachrichtenagentur verschickt Reuters eine Eilmeldung: Röttgen trete als Umweltminister zurück. Die anderen Agenturen folgen kurz darauf, auch sie sprechen von Rücktritt. Im Kanzleramt trudeln die Journalisten ein, sie wissen jetzt, worum es geht - und werden doch noch überrascht werden. Vor der hellblauen Wand mit dem Bundesadler und den Europa- und Deutschlandfahnen an der Seite steht nur ein Rednerpult.
Mittwoch, 16. Mai, 16.30 Uhr:
Um kurz nach 16.30 Uhr kommt Merkel ins Foyer im ersten Stock der Regierungszentrale. Sie trägt einen blutroten Blazer und kommt gleich zur Sache. In kaum mehr als anderthalb Minuten verkündet sie nicht den Rücktritt, sondern den Rauswurf von Röttgen und schlägt ihren Vertrauten Peter Altmaier, bisher Parlamentarischer Geschäftsführer, als Nachfolger vor. "Es ist offensichtlich, dass die Umsetzung der Energiewende noch große Anstrengungen erfordert", sagt Merkel. "Und deshalb hat das Bundesumweltministerium in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu spielen." Diese Rolle traut sie Röttgen nicht mehr zu. Am Ende rufen die Journalisten der Kanzlerin noch Fragen hinterher, doch Merkel verschwindet strammen Schrittes. Die politische Demütigung ist vollzogen. Norbert Röttgen hat bisher keine Erklärung abgegeben. Er ist seitdem abgetaucht.