Reaktionen auf Neonazi-Terror Koalition fürchtet um Deutschlands Ansehen

Wie kann eine Neonazi-Zelle mordend durchs Land ziehen? Und warum gibt es kaum öffentliche Solidarität mit den Opfern? Regierung und Opposition fürchten, dass der Ruf Deutschlands nachhaltig leidet - und wollen nun mit öffentlichkeitswirksamer Trauerarbeit gegensteuern.
Westerwelle, Botschafter Acet auf dem Weg zur Türkischen Gemeinde: Akt der Solidarität

Westerwelle, Botschafter Acet auf dem Weg zur Türkischen Gemeinde: Akt der Solidarität

Foto: Sebastian Kahnert/ dpa

Berlin - Der Deutschland-Korrespondent von "El Pais", der wichtigsten Tageszeitung Spaniens, wundert sich: Wie könne es sein, dass eine Gruppe von Neonazis 13 Jahre lang die Justiz an der Nase habe herumführen können - in einem Land, "wo es selbst für das Radfahren ohne Licht Strafen gibt?"

Das fragt sich nicht nur das linksliberale Blatt aus Madrid.

Auch in anderen Medien Europas finden die Taten der Zwickauer Zelle breiten Niederschlag. In der Online-Ausgabe der französischen "Le Monde" werden sogar die Standbilder der DVD gezeigt, auf denen sich die mutmaßlichen Täter der Hinrichtung von acht türkischstämmigen Männern und eines Griechen rühmen. "Die mögliche Existenz einer Gang von Neonazi-Mördern schockiert Deutschland", schreibt das Blatt.

Britische und US-Zeitungen berichten ebenfalls über die Neonazi-Täter, türkische Zeitungen vergleichen die Umtriebe der Rechtsterroristen und die offenen Fragen über ihre Kontakte zu V-Leuten mit der Verschwörergruppe Ergenekon - dabei sollen Gewalttäter von Helfern im türkischen Behördenapparat gedeckt worden sein.

Es sind keine guten Schlagzeilen, keine guten Bilder für Deutschland. In Berlin sorgt sich die Bundesregierung um Deutschlands Ruf. Außenminister Westerwelle hatte das bereits am Montagabend am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel festgestellt: "Das ist nicht nur furchtbar für die Opfer, das ist nicht nur schlimm für unser Land, es ist vor allen Dingen auch sehr, sehr schlimm für das Ansehen unseres Landes in der Welt."

Kanzlerin Merkel spricht von einer "Schande für Deutschland"

Zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Leipzig von einer "Schande" für Deutschland gesprochen, auch ein neues NPD-Verbotsverfahren ins Spiel gebracht. Am Dienstag dann tat Westerwelle das einzig Richtige: Zusammen mit dem türkischen Botschafter in der Bundesrepublik, Ahmet Acet, besuchte er in Berlin das Büro der Türkischen Gemeinde in Deutschland, der größten Interessenvertretung.

Deren Vorsitzender Kenan Kolat war verärgert über die schleppenden Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit. Ihm fehle die menschliche Anteilnahme, hatte er beklagt. Angesichts der Morde an neun Männern - acht Türken und einem Griechen, die zwischen 2000 und 2006 von den mutmaßlichen Tätern hingerichtet wurden - blieb es in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend ruhig. Es gab spontan keine größeren Demonstrationen - wie sonst bei Attacken von Rechtsextremisten gegen Minderheiten.

All das wird von den Migrantenorganisationen genau registriert. Wie auch die Tatsache, dass die Polizei jahrelang an Taten aus dem kriminellen Milieu geglaubt hatte - die bis 2008 agierende Sonderkommission trug bezeichnenderweise den Titel "Bosporus". Der fehlende angemessene Umgang mit den Taten zeige sich auch im Namen der zuständigen Sonderkommission, hatte bereits am Montag der Grünen-Chef Cem Özdemir moniert, der Name "Bosporus" dürfte viele Türkischstämmige vor den Kopf stoßen.

SPD-Politiker Oppermann plädiert für Trauerfeier

Einzig der Zentralrat der Juden stellte sich sofort an die Seite der Türkischen Gemeinde. Dafür sei er dankbar, erklärte Kolat, doch selbst von Kirchen und Gewerkschaften habe es keine Reaktionen gegeben. "Es ist eine sehr technische Diskussion, die jetzt wieder geführt wird. Aufklärung ist das eine, aber ich erwarte auch eine Geste der Regierung für die Hinterbliebenen", so das SPD-Mitglied Kolat in der "Frankfurter Rundschau".

Westerwelles Besuch im Büro der Gemeinde in Berlin war ein deutliches, schnelles Zeichen, eine kleine Geste an die Gruppe von Menschen, die offenkundig in erster Linie von der Terrorzelle ins Visier genommen worden waren: Türken und türkischstämmige Deutsche. In Ankara reagieren nicht nur die Medien auf die alarmierenden Meldungen aus Deutschland, auch das Außenministerium schaltete sich mahnend ein. Die Türkei erwarte, dass der Serie der sogenannten Döner-Morde auf den Grund gegangen werde, "was immer dahinterstecken mag", erklärte das Außenministerium. Zudem solle Deutschland alles tun, um "radikale Strömungen" einzudämmen.

Die Taten der Neonazi-Gruppe, das ganze Ausmaß des Falls, hat die Republik kalt erwischt. Zwischen dem Dauerthema Euro-Krise und den CDU- und FDP-Parteitagen wird erst jetzt vielen in Berlin klar, was für eine Blutspur die rechtsextremen Täter jahrelang durch Deutschland zogen.

Nun sucht die Politik nach einer starken Geste. Für die neun Männer, für die Polizistin aus Heilbronn, bislang jene bekannten Opfer, deren Tod sich die Neonazi-Gruppe rühmt.

Es sei an der Zeit zu trauern, so der Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann. Er werde sich daher für eine zentrale Trauerfeier einsetzen, versprach der Sozialdemokrat. Und darüber mit der CDU/CSU in den nächsten Tagen sprechen.

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