Erdogan gegen Merkel Nur nicht provozieren lassen

Erdogan, Merkel in Berlin (im Jahr 2014)
Foto: © Tobias Schwarz / Reuters/ REUTERSDer gemeine Nazi-Vergleich ist ein politischer Klassiker, der für den Anwender im Regelfall übel zu enden pflegt. Dennoch wird er weltweit immer wieder gern von jenen eingesetzt, denen die Argumente ausgegangen sind. Ihnen bleibt nur noch die Provokation, so glauben sie. Das Gegenmittel ist so simpel wie anspruchsvoll: sich nicht provozieren lassen.
Genau dieser politische Kampf läuft gerade zwischen dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und der deutschen Regierung ab.
Auf Erdogans Nazi-Vergleich vom Wochenende hat Angela Merkel am Montag geradezu schulbuchmäßig reagiert: "Solche deplatzierten Äußerungen kann man ernsthaft eigentlich gar nicht kommentieren", hat die Kanzlerin gesagt: Sie disqualifizierten sich von selbst, da sie nationalsozialistische Verbrechen verharmlosten.
Punkt für Merkel.
Nur: Der dahinterliegende Streit um die Auftritte türkischer Minister oder Erdogans in Deutschland ist damit keineswegs gelöst. Gerade wurde ja der für Dienstag geplante Auftritt des türkischen Außenministers Cavusoglu in Hamburg untersagt. Der Brandschutz reiche nicht aus, begründete das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte die Entscheidung.
Ankaras Vertreter werben um die Stimmen der rund 1,4 Millionen in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türkeistämmigen für die Volksabstimmung im April. Es geht um den Umbau des Staats in eine weitgehende Erdogan-Alleinherrschaft. Die Mehrheit ist dem Präsidenten keineswegs sicher, laut Umfragen lehnt selbst ein Drittel der Wähler seiner AKP-Partei die Reform ab.
Deshalb wohl unter anderem seine Attacken auf Deutschland. Deshalb wohl der Versuch, ein Feindbild zu etablieren, Gegenreaktionen zu provozieren und damit die türkischen Wähler hinter sich zu scharen.
Video: Erdogan und sein "Aufstand"
Erdogans Ansinnen also mag durchschaubar sein, schwer erträglich ist es dennoch. Das war am Montag auch in den Beratungen der CDU-Spitze mit Merkel spürbar. Teilnehmer beschrieben die kontroverse Debatte später als Kampf zwischen Ratio und Bauch, zwischen scharf reagieren und cool bleiben.
Hatte man nicht jene deutschen Kommunen allein gelassen, die in den vergangenen Tagen Auftritte türkischer Minister aus Sicherheitsgründen untersagten? Was tun, wenn jetzt Erdogan selbst seinen Besuch ankündigt - was, so die Auskunft des Auswärtigen Amts, bisher noch nicht geschehen ist? Und muss man nicht irgendwie auch eingehen auf die wachsende Empörung an der Parteibasis?
Merkel wies auch in diesem Rahmen Erdogans Nazi-Vergleich nach Teilnehmerangaben "entschieden" zurück. Jedoch beharrte sie darauf, dass Auftritts- oder Redeverbote für türkische Politiker keinen Sinn machten. So würde das angespannte deutsch-türkische Verhältnis nur noch weiter aufgeheizt.
CDU-Vize Julia Klöckner sagte, es sei nicht klug, "die Türkei in die Märtyrerrolle zu bringen": "Unsere Demokratie hält Meinungsfreiheit aus, Herr Erdogan kann kommen, aber willkommen ist er nicht." Aber wenn er "auf unserem Boden" für die Todesstrafe werbe und den Nazi-Vergleich aufrechterhalte, "dann sollten wir ihm die politischen Auftritte in Deutschland untersagen".
Ihren Regierungssprecher ließ Merkel zeitgleich vor Journalisten betonen, man arbeite nicht "an irgendwelchen Einreiseverboten". Und sie selbst machte es später am Nachmittag noch einmal öffentlich deutlich: Auftritte türkischer Regierungsmitglieder seien in Deutschland "innerhalb des Rechts und der Gesetze, die bei uns gelten, möglich, soweit sie ordnungsgemäß, rechtzeitig und mit offenem Visier angekündigt und genehmigt sind".
"Wäre mal gespannt, wie die Antwort ist"
Merkel hat ihre Partei an diesem Montag noch einmal auf ihren zurückhaltenderen Kurs eingeschworen. Das ist vorm Hintergrund des auch in Deutschland startenden Wahlkampfs kein leichtes Unterfangen. Auch SPD-Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel befand sich am Montag mit Merkel auf einer Linie, sprach vom Prinzip der freien Meinungsäußerung. Erdogan habe bereits in der Vergangenheit häufig in Deutschland geredet, sagte Gabriel am Rande eines Außenministertreffens in Brüssel. Bei Veranstaltungen müsse allerdings gewährleistet sein, dass Emotionen nicht so hochgeschaukelt würden, dass hinterher die Sicherheit gefährdet sei.
Die Idee des österreichischen Kanzlers Christian Kern, Wahlkampfauftritte türkischer Politiker EU-weit zu verbieten, findet somit keine Unterstützung in Deutschland. Der Sozialdemokrat allerdings hat in dieser Frage auch nicht den eigenen Koalitionspartner ÖVP hinter sich.
Bleibt noch der Vorschlag von Grünen-Chef Cem Özdemir eines Auftritts deutscher Politiker in der Türkei: "Ich wäre bereit, dorthin zu gehen und eine Kundgebung zu machen, wenn Ankara für meine Sicherheit garantiert", so Özdemir in der ARD: "Ich wäre mal gespannt, wie die Antwort ist."
Klar, auch Özdemir ist längst im Wahlkampfmodus. Aber gut ist seine Idee nichtsdestotrotz.