Übergriffe auf Migranten Entsetzen in Chemnitz

Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen sind Hunderte Rechtsextreme durch Chemnitz gezogen, es soll zu Rangeleien und Übergriffen auf Migranten gekommen sein. Die Stadt reagiert schockiert, die Polizei war offenbar überfordert.
Polizisten vor dem Marx-Monument in Chemnitz

Polizisten vor dem Marx-Monument in Chemnitz

Foto: Sebastian Willnow/ dpa

In Chemnitz sind nach einem tödlichen Streit am Sonntag spontan Hunderte Menschen durch die Innenstadt gezogen. Lokalen Medienberichten zufolge waren unter den Demonstranten auch Menschen, die gegen Ausländerkriminalität protestierten und Sprüche wie "Wir sind das Volk" skandierten. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete von Rangeleien. Videos in sozialen Medien zeigten Übergriffe auf Migranten. Die Stadt beendete aus Sicherheitsbedenken vorzeitig ihr Stadtfest.

"Wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt", sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig dem MDR . "Dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen - das ist schlimm." Zunächst hatten die Veranstalter Pietätsgründe für den Abbruch des Fests angegeben.

"Wir sind erschrocken über die Menschenansammlungen, die passiert sind", sagte Stadtsprecher Robert Gruner. Man habe friedlich das Jubiläum der Stadt feiern wollen. Es habe sich jedoch gezeigt, dass es richtig war, das Stadtfest vorzeitig abzubrechen; statt um 20 Uhr endete das Fest bereits um 16 Uhr. Die Geschehnisse vom Sonntag müssten nun ausgewertet werden, sagte der Stadtsprecher.

Die gesamte Nacht über waren verstärkt Einsatzkräfte im Stadtgebiet unterwegs. "Es war ruhig. Es gab keine besonderen Ereignisse in der Nacht", sagte ein Sprecher der Polizei.

Barbara Ludwig und Jörg Kubiessa (Leitender Polizeidirektor)

Barbara Ludwig und Jörg Kubiessa (Leitender Polizeidirektor)

Foto: Jan Woitas/ dpa

Laut der Polizei hatte es am Sonntag zunächst einen Aufruf der AfD für eine Demonstration gegeben. Dafür hätten sich gegen 15 Uhr etwa hundert Menschen versammelt, die Aktion sei störungsfrei verlaufen. Dem folgte eine weitere Versammlung um 16.30 Uhr mit etwa 800 Personen, wie die Polizei mitteilte .

Der freie Journalist Johannes Grunert war während des Aufmarsches vor Ort, er berichtet regelmäßig über die rechte Szene. Eine Gruppe von 800 bis 1000 Personen sei vom Karl-Marx-Monument aus in Richtung Innenstadt marschiert, sagte er. Dabei seien immer wieder Parolen wie "Wir sind das Volk", "Ausländer raus" und "Das ist unsere Stadt" gefallen.

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In der Nähe der Chemnitzer Zentralhaltestelle sei der harte Kern des Aufmarsches dann plötzlich losgesprintet, sagte Grunert. "Sie sind auf jeden losgestürmt, der nicht deutsch aussah." Eine Gruppe von ausländisch aussehenden Menschen sei mit Flaschen attackiert worden, habe aber flüchten können. Am Karl-Marx-Monument habe sich der Aufmarsch schließlich wieder aufgelöst.

Auch die "Bild"-Zeitung und der MDR hatten von Angriffen auf Migranten berichtet. Videos, die auf Twitter kursieren und in Chemnitz aufgenommen worden sein sollen, zeigen ebenfalls aggressives Verhalten einiger Menschen. In einem Video ist zu sehen, wie eine Gruppe von Männern zwei dunkelhaarigen Männern hinterherläuft und nachtritt. Aus der Gruppe sind Rufe zu hören: "Haut ab" und "Ihr seid hier nicht willkommen". Ob das Video tatsächlich am Sonntagabend in Chemnitz aufgenommen wurde, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.

Bisher vier Anzeigen bei Polizei eingegangen

Die Polizei war eigenen Angaben zufolge zunächst mit zwei Einsatzzügen vor Ort. "Das war in der Situation nicht ausreichend", es habe sich ein "deutliches Missverhältnis" ergeben, sagte eine Polizeisprecherin dem SPIEGEL. Die Lage sei sehr dynamisch gewesen, man habe versucht, den Aufmarsch zu lenken, das sei nicht immer gelungen. Die Stimmung sei zum Teil aggressiv gewesen.

Berichte, wonach es zur Jagd auf Migranten gekommen sei, wollte die Polizeisprecherin weder dementieren noch bestätigen. Es habe aber "sicherlich Kontakt" zwischen den Aufmarschierenden und Unbeteiligten gegeben. Zurzeit würden die Beamten befragt und Videos gesichtet.

Es sei wahrscheinlich, dass im Laufe des Montags weitere Anzeigen eingehen werden, sagte die Sprecherin. Bisher hätten zwei Menschen - ein Deutscher und ein Syrer - Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Eine weitere Person bulgarischer Nationalität habe Anzeige erstattet, weil sie bedroht worden sei. Eine weitere Anzeige werde wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bearbeitet.

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Hintergrund für den Aufmarsch war ein Streit in der Nacht zum Sonntag: Dabei starb in Chemnitz ein 35-jähriger Mann. Zwei weitere Personen im Alter von 33 und 38 Jahren wurden verletzt, zum Teil schwer, wie die Polizei Chemnitz mitteilte . Alle drei sind laut den Ermittlern Deutsche. Bei dem Streit sollen Messer zum Einsatz gekommen sein.

Die Polizei hat zwei 22 und 23 Jahre alte Männer vorläufig festgenommen, die sich vom Tatort entfernt hätten. Zu deren Nationalität wollten die Beamten zunächst keine Aussage machen, da noch geprüft werde, ob und wie diese in die Auseinandersetzung involviert gewesen seien. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln wegen Totschlags. An dem Streit mit nach ersten Ermittlungen maximal zehn Personen sind laut Polizei Männer mehrerer Nationalitäten beteiligt gewesen.

Gerüchte, wonach dem Streit eine Belästigung von Frauen vorausgegangen sein soll, bestätigten sich nach ersten Ermittlungen der Polizei nicht. Die Polizei rief auf Twitter dazu auf, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen.

slü/aar/dpa
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