Nikolaus Blome

Rechte und linke Tabus Was »Reichsbürger« und »Letzte Generation« unterscheidet – und was nicht

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Ja, man kann über den Putschprinzen lachen, ohne die Gefahr von rechts zu verharmlosen. Und es ist auch möglich, sich über »Klimakleber« und »Reichsbürger« zugleich zu empören.
Heinrich XIII. Prinz Reuß bei seiner Festnahme am vergangenen Mittwoch

Heinrich XIII. Prinz Reuß bei seiner Festnahme am vergangenen Mittwoch

Foto:

Boris Roessler / dpa

Als ich vergangene Woche die Bilder von Heinrich XIII. sah, der König von Deutschland werden wollte , dachte ich im ersten Augenblick nicht an eine größere Gefahr für die deutsche Demokratie. Ich dachte: Oh, so ein Tweedjackett hab’ ich auch. Ob ich das noch mal anziehen soll?

Im Laufe des Tages gab es noch viele Witze über das Jackett , die Breitcordhose und andere Codes des deutschen Klischee-Adeligen, die Prinz Reuß so genau erfüllt, wie Kinder Bilder ausmalen. Irgendwann ist mir das Lachen indes vergangen: Rund um das Ereignis hat das Messen mit zweierlei Maß schier hemmungslos überhandgenommen, es ist degoutant.

Rechts der Mitte wird hartnäckig die Lächerlichkeit des präsenilen Putschprinzen auf die gesamte »Reichsbürger«-Szene übertragen. Weil dessen Träume vom neuen deutschen Königreich irreal und fern der Realisierung sind, will man auch Vorbereitungen und Vorbereiter nicht so ernst nehmen: Ein Umsturz habe ja nie gedroht. Das stimmt natürlich, aber den IS oder die RAF haben wir aus gutem Grund alle sehr ernst genommen, obwohl das weltweite Kalifat oder der Aufstand der Arbeitermassen ebenso bloß feuchte Träume waren.

Für meinen Teil habe ich auch nichts gegen eine Machtdemonstration des Staates. Im Rahmen der geltenden Gesetze und Regeln dürfen die Behörden verhaltensauffälligen Gruppen links und rechts, oben und unten oder auch kriminellen Clans durchaus zeigen, wo der Hammer hängt. Aber auch das wird neuerdings rechts der Mitte infrage gestellt: Der Staat habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen, das Ganze sei eine PR-Show.

Wenn jedoch voll aufgemantelte SEK in einschlägige Shishabars einrücken und gucken, ob die Seifenspender richtig hängen, kommt aus demselben Milieu viel Applaus. Da kann die staatliche Machtdemonstration nicht krass genug sein, und ich finde, das sollte dann auch für »Reichsbürger« gelten . Um das Parlament zu stürmen und Abgeordnete als Geiseln zu nehmen, braucht es nur ein paar irre, entschlossene, trainierte Waffennarren. Und das beschreibt einen Teil dieses Milieus ganz gut.

Links der Mitte geht es freilich ähnlich kraus zu. Da gilt oftmals schon das Schmunzeln über den Putschprinzen als gefährliche Relativierung der Gefahr von Rechtsaußen. Dabei war es wirklich lustig: Heinrich XIII. hatte seinen Lobesteiner Bürgern zum Beispiel eines Tages mitgeteilt, dass sie keine Deutschen seien, weil sie keine deutschen Pässe hätten, denn die gebe es ja nicht, weil es Deutschland nicht gebe. Beim Reuß’schen Amt könnten sie aber ein deutsches Abstammungszeugnis erhalten.

Das kann man sich nicht ausdenken. Vielleicht fehlt mir aber auch nur die Fantasie, dass Terroristen Tweedjacketts tragen wie ich auch, Einstecktücher und Breitcordhosen in Sherry- und Cognacfarben (ich nicht). Aber so einer hätte die Macht in Deutschland nie und nimmer übernommen, weshalb ich mich schwertue, den Mann einen »Terroristen« zu nennen.

Nicht nachvollziehbar finde ich, dass ich mich jetzt nicht mehr über die Klimaaktivisten der »Letzten Generation« aufregen soll, die ich im Übrigen auch nicht »Terroristen« nennen würde. Links der Mitte wird aus den »Reichsbürger«-Razzien eilfertig abgeleitet, dass man sich über die eskalierenden Blockaden nicht mehr empören könne, weil sie im Vergleich zu einem »Umsturz« oder »Staatsstreich« harmlos zu nennen seien. Seit die Innenministerin über den »Abgrund an Terrorismus« spricht, in den sie geblickt habe, mag sie zur »Letzten Generation« vorerst keine Fragen mehr beantworten, so mein Eindruck. Aber, Himmel, was soll das denn für eine Korrelation sein? Sonntags fährt die Straßenbahn schneller als bergab?

Derzeit gibt es nun einmal mehr als nur eine Herausforderung für Recht und staatliche Ordnung in Deutschland. Die Klimaaktivisten stehen auch für einen Generationenkonflikt, das wird man von den »Reichsbürgern« nicht sagen. Diese wiederum sind in moderne Schusswaffen und gestrige Fahnen verliebt, was man den Klimaklebern nicht vorhalten kann.

Gemeinsam ist ihnen gleichwohl das Sektenhafte, das hermetisch Abgeschlossene ihrer Welt- und Moralbilder, der Drang zu Selbstwirksamkeit und Rettung aus höchster Not. Trotzdem überfordert die Koinzidenz von kriminellen Flughafenblockaden der »Letzten Generation« und der Razzien gegen »Reichsbürger« größere Teile der veröffentlichten Meinungsbildung. Bei manchen reicht es jeweils nur für einen Gedanken, das ist ein Armutszeugnis.

Es muss aber möglich sein, über den Prinzen zu lachen und die »Reichsbürger« ernst zu nehmen. Es muss auch möglich sein, sich über Klimakleber und »Reichsbürger« zugleich zu empören, ohne diese gleichzusetzen. Doch die besonders laut Überzeugten auf der Rechten wie der Linken sind außerstande, diese Gleichzeitigkeit zuzulassen oder auch nur zu ertragen. Diese Einseitigkeit und das damit einhergehende Gelassenheitsverbot stiften ihnen Sinn und Identität. Und darum scheint es zuvorderst zu gehen; alles wird für dieses Muster passend gemacht.

Ob man über den Prinzen lachen darf oder ob die »Reichsbürger« Spatzen sind, auf die der Staat mit Kanonen schießt: Diese Fragen werden zu Identitätspolitik, die alles erst verengt und alsbald vergiftet. Identitätspolitik und Doppelmoral: Diese Kombination ist wirklich schwer zu ertragen.

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