Rechtsextreme als Volkszähler Wenn der NPD-Mann zweimal klingelt

Millionen Deutsche werden bei der bundesweiten Volkszählung im Mai Besuch von Fragestellern bekommen. In Sachsen könnten auch Rechtsradikale unter den Interviewern sein: Die NPD ermuntert ihre Sympathisanten, sich als Freiwillige zu melden - um politische Gegner auszuforschen.
NPD-Flagge: Die Partei fordert Anhänger auf, bei der Volkszählung mitzuhelfen

NPD-Flagge: Die Partei fordert Anhänger auf, bei der Volkszählung mitzuhelfen

Foto: Michael Sohn/AP

Berlin - Es wird eine riesige Datensammlung: Im kommenden Mai sollen 80.000 Helfer in ganz Deutschland ausschwärmen und zehn Prozent aller Haushalte einen Besuch abstatten. Im Rahmen der Volkszählung sollen sie grundlegende Daten wie Familienstand, Wohnverhältnis, Religion, Ausbildung und Arbeitssituation von Millionen Bundesbürgern erfassen - siehe Infokasten:

Großinventur der Republik

Es ist eine große logistische Herausforderung für die Behörden in den Bundesländern. Allein Sachsen benötigt dafür 6000 Volkszähler - und sucht noch Freiwillige.

Die NPD sieht darin offenbar eine Chance: Die rechtsextreme Partei ruft ihre Mitglieder und Sympathisanten im Internet dazu auf, sich bei einer der 39 Erhebungsstellen in Sachsen zu melden und bei der Befragung mitzuhelfen. Mit Hintergedanken: Der "besondere Reiz" liege darin, "Eindrücke von den persönlichen Lebensverhältnissen des einen oder anderen 'Antifaschisten' bekommen" zu können, schreibt die Partei. Außerdem will die NPD "nationaldemokratische 'Marktforschung' zur idealen Wähleransprache" betreiben, wie es in dem Aufruf des sächsischen NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel heißt.

Ein Gesetz verpflichtet Bundesbürger zur Teilnahme an der Zählung - wer sich weigert, riskiert Strafen. Beim Statistischen Landesamt in Sachsen ist der Aufruf der NPD bekannt. Man sei sensibilisiert, sagt die zuständige Referentin, Mandy Hillig. Die 39 im Land verteilten Erhebungsstellen würden bei der Auswahl der Freiwilligen auf Zuverlässigkeit und Auftreten achten. Es gebe aber "keinen Anlass, einem NPD-Mitglied die Tätigkeit als Interviewer zu verwehren". Sollte einer der Freiwilligen seine Tätigkeit für politische Arbeit oder auch für Verkaufsgespräche missbrauchen und Informationen weiterreichen, habe das rechtliche Konsequenzen.

Politikerin vermutet PR-Aktion

NPD-Mann Gansel spricht gleichwohl von einer "vordergründigen juristischen Grauzone". Die Interviewer würden bei den Befragungen persönliche Eindrücke erhalten, die dann Anhaltspunkte für künftige Wahlwerbung sein könnten. "Eine juristische Grenzüberschreitung wird es nicht geben." Offenbar sieht er in dem Zensus aber gute Chancen für seine Partei. Die Behörden in Sachsen suchten "verzweifelt" nach Freiwilligen, schreibt er.

Dagegen zeigt sich das Statistische Landesamt zuversichtlich: Man werde genügend freiwillige Helfer für die Zählung finden, die Suche habe schließlich gerade erst begonnen. Bis die Schulungen für die Fragesteller im März und April beginnen, soll mit Zeitungsanzeigen nach weiteren Helfern gesucht werden. Pro Hausbesuch erhalten diese 7,50 Euro.

Unter Abgeordneten wird der Aufruf der NPD kritisch beäugt: "Wir müssen jetzt sehr genau überlegen, ob wir das an die große Glocke hängen", sagt Kerstin Köditz, die für die Linke im sächsischen Landtag sitzt und sich gegen Rechtsextremismus engagiert. "Es ist doch völlig unklar, ob die NPD überhaupt genug Leute mobilisieren kann."

Einfache Lösung: Per Post antworten

Rund 1000 Mitglieder hat die NPD in Sachsen, der Verfassungsschutz zählte 2009 rund 2700 Rechtsextreme. Den Rechtsextremen gelang 2009 zum ersten Mal in der Parteigeschichte der wiederholte Einzug in einen Landtag. Doch die Zahl der Wähler hatte sich halbiert, die Partei kam auf 5,6 Prozent und stellt nur noch acht Abgeordnete. Im Landesparlament fiel die Fraktion unter Vorsitz von Holger Apfel bisher mehr durch Provokationen als durch Politik auf.

Mit ihrem bürgerlichen Anstrich, dem "Sächsischen Weg", ist der Landesverband in der NPD isoliert, die Bundesspitze drängt auf Radikalisierung. Im Februar 2010 geriet der jährliche Aufmarsch von Rechtsextremen in Dresden zum Desaster. Tausende Demonstranten verhinderten mit Blockaden die größte Nazi-Aktion in Europa.

In der Vergangenheit hatte die NPD in Sachsen mit der Ankündigung für Aufsehen gesorgt, dass Mitglieder und Sympathisanten sich künftig verstärkt bei den Freiwilligen Feuerwehren oder als Schöffen engagieren würden. Das Engagement fiel aber mangels zuverlässiger Freiwilliger weniger bedeutsam aus.

Nun trommelt die NPD also unter ihren Anhängern zur Volkszählung - ein erneuter Versuch, sich als "Kümmerpartei" darzustellen, wie der sächsische Verfassungsschutz feststellt. Der Behörde erscheint es "durchaus wahrscheinlich", dass Rechtsextremisten vereinzelt versuchen könnten, als Interviewer neue Kontakte zu knüpfen.

Sollte zum Zensus 2011 trotz aller Sorgfalt der Erhebungsstellen ein Neonazi vor der Wohnung stehen, gibt es für die Bürger allerdings eine einfache Lösung: "Niemand muss mit den Leuten an der Tür reden", sagt Mandy Hillig vom Statistischen Landesamt. Wer ein Problem mit der persönlichen Befragung habe, könne den Fragebogen auch entgegennehmen, allein ausfüllen und per Post abschicken. "Außerdem können uns die ausgewählten Haushalte auch über das Internet antworten."

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