Rechtsextreme Die NPD schlägt Wurzeln in Sachsen
Berlin - Sachsens neuer Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) will das Ergebnis "genau analysieren", CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer kündigt "maßgeschneiderte Lösungen" für NPD-Hochburgen an, Linken-Chefin Cornelia Ernst konstatiert, die bisherige Auseinandersetzung mit den Rechtsradikalen sei nicht ausreichend gewesen und auch die Grünen sehen die Bekämpfung rechtsextremen Gedankenguts weiter "als langfristige Aufgabe oben auf der Tagesordnung".
Während die sächsische NPD auf ihrer Website genüsslich ihre zweistelligen Ergebnisse aus zwei Dutzend Wahlkreisen in Sachsen auflistet, herrscht bei den demokratischen Parteien im Freistaat nach der Kommunalwahl vom Sonntag eine Stimmung zwischen Ratlosigkeit und Entschlossenheit. 5,1 Prozent haben die Rechtsextremen landesweit erreicht, ihre absolute Stimmenzahl im Vergleich zur letzten Kommunalwahl damit vervierfacht. Mit 45 Abgeordneten werden sie in alle Kreistage des Landes einziehen. Das sind 45 Abgeordnete zu viel, da sind sich die Demokraten einig. Über die Konsequenzen noch nicht.
Der sächsische Verfassungsschutz warnt heute erst einmal vor einer Überbewertung des NPD-Erfolges. Verglichen mit der Landtagswahl 2004 sei sogar ein Verlust von Wählerpotential zu erkennen, das Gesamtergebnis von diesem Jahr entspreche in etwa den aktuellen Umfrageergebnissen für die NPD. Und die sind nicht besonders gut. Glaubt man den aktuellen Erhebungen der Meinungsforscher, müsste die braune Truppe derzeit um den Wiedereinzug in den Dresdner Landtag bangen.
Stimmenverluste im Vergleich zur Landtagswahl
In der Tat lassen sich die starken Ergebnisse der NPD vom Sonntag rechnerisch relativieren: So trat die Partei zur Kommunalwahl vor vier Jahren nicht in allen Regionen an und musste zudem mit anderen Parteien am rechten Rand konkurrieren. So kamen die Republikaner etwa in Chemnitz auf mehr als zehn Prozent - Stimmen, die die NPD jetzt zumindest teilweise abgegriffen haben dürfte. Im Vergleich zur Landtagswahl, die 2004 fünf Monate nach der Kommunalwahl stattfand und bei der die NPD 9,2 Prozent erreichte, verlor die Partei am Sonntag rund 31.000 Stimmen.
Den absoluten Stimmenzuwachs der NPD im Kommunalwahlvergleich führen die Verfassungsschützer denn auch insbesondere auf den diesmal flächendeckenden Antritt und die damit verbundene umfangreiche Wahlwerbung der Partei zurück. "Ohne die intensiven Plakatierungen vor den Wahlen wäre die Partei vermutlich in der Bevölkerung nicht in dem Maße wahrgenommen worden", heißt es in der Analyse der Behörde. Ein Grund zur Beruhigung ist diese Erkenntnis dennoch nicht. Denn auch der Verfassungsschutz warnt: "Die kommunale Verankerung der Partei konnte ausgebaut werden."
Tatsächlich hat die rechtsextreme Partei in vielen Gegenden tiefe Wurzeln geschlagen: In Gemeinden wie dem kleinen Reinhardtsdorf-Schöna wird die NPD längst als normale Partei akzeptiert. Jeder Vierte, der in dem 1600-Seelen-Dorf in der Sächsischen Schweiz in die Wahlkabine schritt, machte sein Kreuz bei der NPD - wie auch schon vor vier Jahren. Die Rechtsextremen sind die zweitstärkste Kraft im Ort, mit Ausnahme einer Freien Wählergemeinschaft haben sie alle anderen demokratischen Parteien deutlich hinter sich gelassen. Von einem "festen Wählerpotenzial" spricht der Verfassungsschutz für den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, wo die NPD auch im Gesamtergebnis noch vor den Sozialdemokraten liegt. "Die NPD ist hier eine echte Wahlalternative", sagt Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen. Dass die Partei nicht verboten ist, gelte für viele Wähler als "Persilschein".
Das Kulturbüro unterstützt seit sieben Jahren Gemeinden, Vereine, Netzwerke und Initiativen vor Ort im Kampf gegen Rechtsextremismus. Ausgestattet mit einem Etat von rund 400.000 Euro aus Bundes- und Landesmitteln sind drei jeweils zweiköpfige Mobile Beratungsteams (MBT) in ganz Sachsen unterwegs. Allein das Team aus Pirna betreut rund 250 Kommunen, darunter die Hochburgen der NPD.
Die Mehrheit schweigt
Auch in Reinhardtsdorf-Schöna hilft das MBT. Nachdem das Dorf wegen Übergriffen militanter Neonazis und starken Wahlergebnissen der NPD in die Schlagzeilen geraten war, ließ sich eine Demokratieberaterin mit Hilfe von Fördermitteln der Europäischen Union zeitweise sogar in dem kleinen Touristenörtchen nahe der tschechischen Grenze nieder: Hatten viele Bürger dem Treiben der Extremisten bis dahin mehr oder weniger tatenlos zugesehen, ließen sich nun immer mehr für das Problem sensibilisieren, die kleine Bürgerinitiative verschaffte sich Gehör.
Doch noch immer schweigt die Mehrheit des Dorfes lieber, als sich zu engagieren. "Es ist noch immer schwierig, die Leute zu erreichen", weiß Bringt. Die Familien der beiden NPD-Protagonisten leben seit Generationen im Ort, einer ist angesehener Handwerker, der andere war lange im Heimatverein aktiv. "Sich öffentlich mit deren ideologischen Hintergründen auseinanderzusetzen, heißt in einer Dorfgemeinschaft, sich mit seinen Nachbarn zu streiten", erklärt Bringt.
Dazu kommt, dass die NPD auf kommunaler Ebene neben den üblichen platten Parolen auch Themen besetzt, die originär nichts mit Extremismus zu tun haben. Was soll schlimm daran sein, wenn sich eine Partei gegen höhere Kosten für die Abwasserentsorgung einsetzt, fragt sich der Bürger - zumal, wenn es die anderen Parteien nicht tun? Das macht es nicht einfacher, den Menschen zu erklären, dass sich die NPD auch Themen wie Umweltschutz oder Landwirtschaft mit völkischer, rassistischer Ideologie nähert. Um die Bürger zu überzeugen, reicht es aber nicht aus, ihnen zu sagen, dass sie die NPD nicht wählen sollen, man muss ihnen auch sagen, warum sie sie nicht wählen sollen.
Dass die Arbeit in Reinhardtdorf-Schöna angesichts des erneut starken NPD-Abschneidens vergebens sein soll, davon möchte Friedemann Bringt nichts wissen. "Wir knüpfen zivilgesellschaftliche Demokratieentwicklungen nie an Wahlergebnisse", sagt der Projektleiter. Wenn es um politische Stimmungen gehe, seien die demokratischen Parteien gefragt. Die hätten, sagt Bringt, das Thema Rechtsextremismus im Kommunalwahlkampf "sträflich vernachlässigt".
Solche Versäumnisse auszubügeln, braucht Zeit: Die Einstellungen der Menschen zu verändern, dauere mitunter mehr als 15 Jahre, sagt Bringt. Immerhin, Reinhardtsdorf-Schöna lässt sich helfen. Selbstverständlich ist das nicht: Noch immer seien viele Gemeinden trotz offensichtlicher Probleme beratungsresistent.