Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden Mehr als nur Einzelfälle

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
Foto: Fabrizio Bensch/ AFPErst geriet ein rechtsextremer Bundeswehroffizier unter Terrorverdacht. Dann mischten Polizisten bei einer radikalen Prepper-Gruppe mit, die sich auf den "Tag X" vorbereitete. Zuletzt flogen gleich mehrere Chatgruppen auf, in denen Polizisten rassistische oder antisemitische Hetze verbreiteten. Möglicherweise haben Beamte auch etwas mit der neonazistischen Drohserie unter dem Kürzel "NSU 2.0" zu tun.
Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten und Jahren rechtsextreme Vorfälle in den Sicherheitsbehörden bekannt.
Seit diesem Dienstag nun liegt ein erster Lagebericht über "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" vor - verfasst vom Inlandsgeheimdienst. Auf 98 Seiten listet das Bundesamt für Verfassungsschutz in dem Papier Zahlen zu rechtsextremen Verdachtsfällen auf. Und beschreibt, was die Behörden unternehmen, um eine Unterwanderung durch Extremisten zu verhindern.
Insgesamt geht es um knapp 380 Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, die meisten von ihnen bei der Polizei, seltener bei den Geheimdiensten.
Häufig fielen dabei Beamte durch rassistische, antisemitische oder nationalsozialistische Chats auf. Das sei ein Phänomen, das leider um sich greife, sagte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang bei der Vorstellung des Berichts: "Offenkundig gibt es nicht akzeptable Fälle von Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden, die über Einzelfälle hinausgehen."
Der Bericht ist ein erster Schritt, immerhin. Allerdings hatte das Bundesamt nur begrenzte Einblicke. Es durfte nicht selbst in die Akten schauen, sondern war darauf angewiesen, dass andere Behörden ihre Fälle zulieferten.
Hinter den Kulissen regt sich deshalb Unmut. Manche Länder, die in der Rangliste der Fallzahlen relativ weit oben gelandet sind, hegen den Verdacht, dass andere Länder nicht so genau hingeschaut haben wie sie.
Auch der Bericht selbst macht deutlich, dass das Dunkelfeld wohl noch größer ist. "Wir sind noch keineswegs am Ziel", sagte Verfassungsschutzchef Haldenwang.
Tatsächlich sind manche der Zahlen bereits mit Erscheinen des Lagebilds überholt: Nordrhein-Westfalen hatte dem Bund zunächst 45 Verdachtsfälle gemeldet - nach Auffliegen einer rechtsextremen Chatgruppe im Polizeipräsidium Essen spricht das Land inzwischen von 100 Fällen seit Anfang 2017.
Auch in Berlin, Thüringen und Sachsen wurden in den vergangenen Tagen neue Verdachtsfälle bekannt.
Seehofer: Kein "strukturelles Problem"
Bundesinnenminister Horst Seehofer gab bei der Vorstellung des Lageberichts den Einerseits-Andererseits-Minister. Jeder einzelne Fall sei eine "Schande" und gehöre "rigoros" verfolgt, sagte Seehofer: "Auch passives Mitläufertum ist nicht erlaubt." Einerseits.
Andererseits sei die Zahl der erwiesenen Rechtsextremismus-Fälle in dem Bericht sehr gering im Vergleich zur Zahl der fast 400.000 Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden. Ein "strukturelles Problem" erkenne er jedenfalls nicht, "über 99 Prozent" der Beamten stünden "fest auf dem Boden des Grundgesetzes", sagte der CSU-Politiker.
Verdachtsfälle Rechtsextremismus/Rassismus in den Sicherheitsbehörden des Bundes
Behörde | Verdachtsfälle | Gesamtpersonal ca. |
Verfassungsschutz | 1 | 3.900 |
Bundesnachrichtendienst | 2 | 6.500 |
Bundespolizei | 44 | 48.700 |
Bundeskriminalamt | 6 | 6.400 |
Bundestagspolizei | 1 | 200 |
Zoll | 4 | 43.000 |
Quelle: Lagebericht "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" / Bundesamt für Verfassungsschutz
Seehofers Botschaft lautete: Wenn es ein Problem gibt, dann ist es überschaubar, jedenfalls nicht groß genug, um von einer "Katastrophe" zu sprechen oder "Alarm" auszurufen.
Eine zusätzliche Rassismus-Studie unter Polizisten, die zuletzt immer wieder gefordert wurde, lehnt der Innenminister denn auch weiterhin ab. Er wolle nicht einzelne Berufsgruppen wissenschaftlich untersuchen lassen, sondern eine breit angelegte Studie über Rassismus in der Gesellschaft anstoßen, so Seehofer.
Hierzu gibt es allerdings bereits zahlreiche wissenschaftliche Erhebungen. Studien zur Verbreitung rassistischer Vorurteile in der Polizei sind hingegen rar. Die letzten größeren Untersuchungen stammen aus den Neunzigerjahren.
"Seehofer muss seine Verweigerungshaltung aufgeben und eine wissenschaftliche Studie zu Rassismus bei der Polizei in Auftrag geben, um eine echte Bestandsaufnahme zu erhalten", forderte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle.
Ähnlich äußerten sich die Grüneninnenexperten Irene Mihalic und Konstantin von Notz. "Die vorgelegten Zahlen sind schon jetzt veraltet, die Dunkelziffer extrem groß", teilten sie mit. Man benötige "schnellstmöglich eine unabhängige wissenschaftliche Studie, die ein verlässliches Lagebild zeichnet".