Rechtsextremismus Raus aus dem braunen Sumpf
Berlin - Thomas war ein aufrechter Rechter: Springerstiefel, kurzgeschorener Schädel. Doch nicht nur sein Äußeres zeugte von seiner Gesinnung. Sieben Jahre war er aktives Mitglied der rechten Szene, plante Veranstaltungen, kümmerte sich um die technische Ausstattung der Kameradschaften. Jetzt ist er raus - aus der Szene und aus Deutschland. Im Ausland baute sich der ehemalige Rechtsextremist eine neue Existenz auf - fernab der alten Kameraden, fernab des braunen Mobs. Hilfe erhielt er von "Exit". Anders als die von Bundesinnenminister Otto Schily vorgestellte Initiative, die vor allem Führungspersonen ansprechen soll, wendet sich "Exit" bundesweit an alle, die dem Rechtsextremismus den Rücken zuwenden wollen.
"Den Prototyp des Aussteigers gibt es nicht. Die Gründe für einen Ausstieg sind sehr individuell", weiß Susanne Mitter*, Mitarbeiterin bei "Exit. Die Organisation ist seit September vergangenen Jahres in Berlin tätig . Seither betreuen Mitter und drei fest angestellte Kollegen in einem bundesweiten Netzwerk rund 40 Aussteigewillige - vom 16-Jährigen Mitläufer bis zum 50-Jährigen Ideologen und Vordenker. Genauso komplex wie die Lebensläufe sind auch die Motive der Betroffenen. "Bei vielen hat ein Nachdenken eingesetzt. Dabei spielt der gesellschaftliche Druck auch eine wichtige Rolle. Vor allem wird die von der Szene ausgeübte Gewalt nicht mehr akzeptiert."
Gefragt ist vor allem Eigeninitiative
Wichtig für die "Exit"-Mitarbeiter ist, dass die Betroffenen von sich aus aktiv werden und die Helfer kontaktieren. "Die Leute müssen auf uns zukommen und beweisen, dass es ihnen ernst ist", betont Mitter. Wenn jemand seinen Namen nicht nennen will, sei er nicht glaubwürdig. Hilfe gebe es nur für diejenigen, die sich an die Regeln hielten - also mit offenen Karten spielten.
Am Anfang wird für jeden Betroffenen ein individueller Maßnahmeplan erarbeitet. Nicht selten müssen Aussteiger ihr bisheriges Leben ganz aufgeben. Aus Sicherheitsgründen sind Wohnungs- oder Jobwechsel in einigen Fällen unvermeidlich. "Vor allem, wenn die Leute stark in die Strukturen involviert sind, ist ein langsamer Ausstieg eher schwierig", berichtet Mitter. Einige würden von der rechtsextremen Szene bedroht und müssten sich schnell aus deren unmittelbaren Dunstkreis in Sicherheit bringen.
"Exit" versteht sich nicht als Wohnungsvermittlungsagentur oder Unterabteilung des Arbeitsamtes. "Wir suchen keine Lehrstellen", stellt Mitter klar. Wir helfen vor allem, Kontakte zu vermitteln." Die Aussteiger müssten ihre Zukunft selbst aktiv in die Hand nehmen.
Lange Abnabelungsprozesse vom braunen Umfeld
Das Konzept ist offenbar erfolgreich: Auch wenn "Exit" erst seit rund sechs Monaten aktiv ist, seien einige Fälle schon abgeschlossen. Bei anderen ist es schwieriger - manchmal zieht sich der Ablösungsprozess Jahre hin. Wie lange es dauert, bis sich die braune Gesinnung aus den Köpfen verabschiedet, weiß Jörg Fischer aus eigener Erfahrung. Fischer ist ehemaliger Funktionär der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" , während seiner rechtsextremistischen Karriere betätigte er sich unter anderem auch als Gründungsmitglied der Deutschen Volksunion (DVU) . Nach neun Jahren schaffte der heute 31-Jährige Ende 1991 den Absprung. Seit 1996 tritt er öffentlich als Aussteiger aus der rechtsextremen Szene auf.
"Man ist ja kein Computer, der einfach neu programmiert werden muss. Es dauert Zeit, bis man sich ein neues Menschenbild erarbeitet", beschreibt Fischer den Abnabelungsprozess. Für ihn sei die Konfrontation mit den praktischen Auswirkungen von Gewalt mit entscheidend gewesen, sich aus dem braunen Sumpf zurückzuziehen, erzählt er. Als Schlüsselerlebnis bezeichnet Fischer die Geschehnisse 1991 im sächsischen Hoyerswerda. Damals attackierten Rechtsextreme tagelang Ausländer und Asylanten.
Ziel ist es, die Isolation des Aussteigers aufzufangen
Fischer hat sich seinen Ausstieg allein erkämpft. Dennoch hält er es für wichtig, potenzielle Aussteiger sensibel zu betreuen. Eine Anlaufstelle wie "Exit" sei sehr sinnvoll, da dort auch die psychologischen Folgen des Ausstiegs aufgefangen werden könnten, so der ehemalige Rechtsextreme. Mit dem Ausscheiden aus den politischen Strukturen falle manchmal der ganze Freundeskreis weg. Das müsse man erst einmal verarbeiten.
Genau hier setzt auch "Exit" an: "Viele sind froh, mit jemandem reden zu können", beschreibt Mitter die Gefühle der Aussteiger. Die Gespräche, für die auch eine Psychologin zu Verfügung steht, seien so etwas wie eine "moralische Unterstützung" auf dem Weg nach draußen.
Eine Statistik des Bundesinnenministeriums zeigt: Der Osten ist brauner als der Westen. So wurden im vergangenen Jahr (Januar bis November) in Ostdeutschland etwa dreimal so viele rechtsextremistische Gewalttaten verübt wie in Westdeutschland. Dennoch kommen die meisten Aussteigewilligen, die sich an "Exit" wenden, aus den alten Bundesländern. "Tatsächlich kommt der überwiegende Teil aus dem Westen", sagt Mitter. Die "Exit"-Mitarbeiterin glaubt auch den Grund zu kennen. Die gesellschaftliche Ausgrenzung rechter Gesinnungsgenossen sei im Westen größer als im Osten. Zugleich seien die rechten Strukturen im Osten fester. Entsprechend ist der Leidensdruck in den neuen Bundesländern viel geringer, den rechten Kameraden ade zu sagen.
*Name von der Redaktion geändert