Rede von Peres "Die Schoa muss ein ewiges Warnzeichen bleiben"

Israels Präsident Schimon Peres: "Wie gelähmt kann ein ganzes Volk sein?"
Foto: Markus Schreiber/ APBerlin - Mit dem Kaddisch-Gebet begann Israels Staatspräsident Schimon Peres seine historische Rede vor dem deutschen Bundestag: "Der der Frieden in seinen Himmelshöhen stiftet, stifte Frieden unter uns und ganz Israel." Zum Gedenktag an die Holocaust-Opfer erinnerte der Friedensnobelpreisträger an die grausamen Verbrechen der Nationalsozialisten - und an die Gründung des Staates Israel.
Peres forderte Deutschland und die Welt auf, die noch lebenden Nazi-Verbrecher vor Gericht zu stellen. "Ich bitte Sie, tun Sie alles, um diesen Verbrechern ihre gerechte Strafe zu erteilen", sagte er. "In unseren Augen handelt es sich nicht um Rache. Es geht um Erziehung", sagte Peres vor allem mit Blick auf die junge Generation. Die Jugend müsse sich erinnern, dürfe nicht vergessen.
Überall auf der Welt gebe es immer weniger Überlebende des von den Nazis organisierten Mordes an den Juden, sagte Peres. Ihre Zahl nehme täglich ab. "Und gleichzeitig leben auf deutschem Boden, in Europa und anderswo auf der Welt noch immer Menschen, die damals dieses schrecklichste Ziel verfolgten: den Völkermord."
Peres sprach anlässlich einer Gedenkstunde für die Opfer des Holocaust. Vor 65 Jahren, am 27. Januar 1945, war das Vernichtungslager Auschwitz durch sowjetische Truppen befreit worden. "Blut und Asche bedeckten das Lager Auschwitz-Birkenau. Jetzt war es still auf dem Bahnsteig. Die 'Selektionsrampe' war menschenleer. Im Tal des grauenhaften Mordes breitete sich trügerische Ruhe aus", erinnerte Peres. Den Tag der Befreiung erklärten die Vereinten Nationen im Jahr 2005 zum internationalen Holocaust-Gedenktag.
Doch noch immer werfe die Schoa schwierige Fragen auf, sagte Peres: "Wie böse kann der Mensch sein? Wie gelähmt ein ganzes Volk? Zu welchen Gräueltaten ist der Mensch fähig? Wie kann er seinen moralischen Kompass abstellen?"
"Ich trage für immer den Stempel des Schmerzes"
Der 86-Jährige sprach auch von seinen persönlichen Erlebnissen und erinnerte an den Tod seines Großvaters, den er sehr bewundert habe. "Bleib immer ein Jude", habe dieser gesagt, als er ihm zum letzten Mal begegnet sei. Später trieben ihn die Nationalsozialisten in eine Synagoge und verbrannten ihn mit etlichen weiteren Menschen in dem Gebäude.
Als Jude trage er "für immer den Stempel des Schmerzes über den Mord an meinen Brüdern und Schwestern", sagte Peres. Die Schoa müsse den Menschen als ewiges Warnzeichen vor Augen stehen. Nie wieder dürfe es eine Rassenlehre, eine Berechtigung zur Hetze, zum Totschlag geben: "Um eine zweite Shoa zu verhindern, ist es an uns, unsere Kinder zu lehren, Menschenleben zu achten und Frieden mit anderen Ländern zu wahren. Die junge Generation muss lernen, jede einzelne Kultur, und die universellen Werte zu respektieren." Die bedeutendste aller Lehren sei: "Nie wieder".
Peres hielt als dritter israelischer Präsident nach Ezer Weizman und Mosche Katzav eine Rede vor dem Bundestag. Das Parlament begeht den Holocaust-Gedenktag jedes Jahr mit einer Feierstunde, zu der die höchsten Repräsentanten des Staates eingeladen sind. Dazu zählen neben dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin auch der Bundesratspräsident und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Der Traum vom Staat Israel
Zum Holocaust-Gedenktag hat der Zentralrat der Juden in Deutschland auch vor "Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des Anderen" gewarnt. Es sei nicht hinnehmbar, dass Rechtsextremisten 65 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft braunes Gedankengut verbreiteten, kritisierte Präsidentin Charlotte Knobloch.
Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel und die Verpflichtung der Bundesrepublik aufgrund des Holocaustes: "Wir Deutschen haben für die Existenz Israels eine historisch begründete Verantwortung."
Auch Peres, der sich zu einem dreitägigen Staatsbesuch aufhält, erinnerte in seiner Rede an die Gründung des Staates Israel. "Unseren ermordeten Brüdern und Schwestern haben wir ein lebendiges Mahnmal errichtet: Mit den Pflügen, die eine Wüste in fruchtbare Plantagen umwandeln. Mit Labors, die neues Leben entdecken. Mit Waffen, die unsere Existenz sichern. Und mit einer kompromisslosen Demokratie", sagte Peres. Er sprach sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus, Frieden in der Region sei möglich.
Gemeinsam werde man den Traum vom Staat Israel verwirklichen, das sei eine Verpflichtung an die junge Generation. "Während mein Herz zerreißt, wenn ich an Gräueltaten des Holocaust denke, blicke ich ihn die Zukunft einer Welt von Menschen, in der es keinen Platz für Hass gibt, in der die Worte Krieg und Antisemitismus nicht mehr existieren", sagte Peres.
"Friedensengel" Peres
Israels Präsident gilt als unermüdlicher Visionär einer Friedenslösung in Nahost. Für die Abkommen mit den Palästinensern wurde er 1994 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. In den vergangenen Jahren hat Israels dienstältester Politiker jedoch eng mit den rechtsorientierten Regierungen von Ariel Scharon und Benjamin Netanjahu sowie mit Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert kooperiert. In der arabischen Welt und bei den Palästinensern büßte "Friedensengel" Peres deshalb an Glaubwürdigkeit ein.
In Israel erfreut sich der 1923 als Sohn eines Holzhändlers im damaligen Ost-Polen geborene letzte Repräsentant der politischen Gründergeneration jedoch inzwischen großer Beliebtheit. Als Politiker der sozialdemokratischen Arbeitspartei war er noch eine kontroverse Figur, als Präsident gilt er heute als Versöhner zwischen Israels verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Seit seiner Amtsübernahme 2007 hat er als Verteidiger der oft umstrittenen israelischen Politik auch eine aktive Rolle in der internationalen Diplomatie übernommen.
Im Laufe der Jahrzehnte hatte Peres mehrere Ministerämter inne und war zweimal Ministerpräsident: Einmal von 1984 bis 1986 in einer großen Koalition mit dem Likud-Block von Jizchak Schamir und zum zweiten Mal nach der Ermordung seines Partners bei den Friedensvereinbarungen mit den Palästinensern, Jizchak Rabin, am 4. November 1995. Nur sechs Monate später unterlag er jedoch bei der Wahl, die Netanjahu gewann. Der Sprung ins Präsidentenamt gelang ihm erst im zweiten Anlauf.