Reform des Gesundheitssystems Röslers Mission Impossible

Philipp Rösler steht vor seiner schwersten Aufgabe: Gemeinsam mit sieben Kabinettskollegen soll der FDP-Nachwuchsminister die Gesundheitsreform samt Pauschale austüfteln. Was aber ist konkret zu erwarten? SPIEGEL ONLINE analysiert, wie das Gesundheitssystem bald aussehen könnte.
Gesundheitsminister Rösler: Von der CSU vor "Salamitaktik" gewarnt

Gesundheitsminister Rösler: Von der CSU vor "Salamitaktik" gewarnt

Foto: Bernd Thissen/ dpa

Berlin/Hamburg - In den nächsten Monaten wird die Republik beobachten können, wie drei Regierungspartner aus drei Gesundheitskonzepten ein gemeinsames machen und die Finanzierung für die Zukunft sichern. Oder daran scheitern.

Es ist ein ziemlich ehrgeiziges Projekt. Mehr noch: Für Schwarz-Gelb könnte es eine Mission Impossible werden.

Philipp Rösler

Am Mittwochnachmittag kommt Gesundheitsminister (FDP) erstmals mit sieben seiner Kabinettskollegen in der für die Gesundheitsfrage eingerichteten Regierungskommission zusammen. Mit dabei sind die CDU-Minister Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen, Kristina Schröder, die CSU-Ministerin Ilse Aigner sowie die FDP-Vertreter Rainer Brüderle und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Aufbruch ins neue System

Als Einstieg in eine Systemumstellung soll Rösler Zeitungsberichten zufolge eine Teilpauschale von rund 29 Euro im Monat erwägen. Dafür würde dann der bei einer der letzten Reformen eingeführte Krankenkassensonderbeitrag der Arbeitnehmer von 0,9 Prozent des Bruttoeinkommens entfallen.

Horst Seehofer

Zwar dementiert man im Gesundheitsministerium, doch nimmt die CSU - deren Vorsitzender die Pauschale prinzipiell ablehnt und Röslers Pläne schon mal als "völligen Nonsens" bezeichnet - die Gerüchte offenbar ernst. Die Kopfpauschale werde nicht dadurch besser, dass Herr Rösler sie scheibchenweise einführen will. Unser Gesundheitssystem sei keine "Versuchsanstalt für Salamitaktik", poltert CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt via "Welt".

Man werde sich "sehr genau anschauen", ob die Ergebnisse der Regierungskommission Vorteile für die Patienten bringen. Ein "Komplettumbau unseres Gesundheitswesens zur Kopfpauschale" sei weder in der Koalition vereinbart worden, noch sei er finanzierbar. Meint die CSU. In der FDP dagegen träumen sie von einer Komplettumstellung des Arbeitnehmerbeitrags auf ein Prämienmodell.

Streit über die Gesundheitsreform

Der trübe Anfang der schwarz-gelben Koalition - er ist maßgeblich geprägt vom anhaltenden . Beim letzten Dreiergipfel im Kanzleramt Ende Februar einigten sich die Parteichefs Merkel, Seehofer und Westerwelle noch, jetzt erst einmal die Kommission konkrete Vorschläge erarbeiten zu lassen.

Doch der Waffenstillstand ist längst wieder gebrochen.

Im Interview mit SPIEGEL ONLINE müht sich CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe deshalb um Beruhigung. Niemand solle überfordert werden bei einem "festen Beitrag" für die Zusatzkosten, es werde einen "weitgehend automatisierten Sozialausgleich aus der Staatskasse" geben. Die bayerische Schwesterpartei ruft er zur Mäßigung auf: "Wir sollten nicht eine Kommission zerreden, bevor sie das erste Mal zusammengekommen ist." Er jedenfalls finde sich "in vielem, was Philipp Rösler sagt, sehr gut wieder".

Der CDU-Politiker Peter Altmaier dagegen, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, schließt eine Kopfpauschale für die laufende Legislatur aus: "Es wird in dieser Wahlperiode keine Gesundheitsprämie geben." Hierzu werde Röslers Kommission noch vor der Landtagswahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen tagen, "damit die Leute sehen, dass wir nichts verheimlichen oder verschieben wollen, sondern die Arbeit machen, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist", so Altmaier zu "Phoenix".

Wie aber könnten am Ende konkrete Lösungen aussehen?

Zumindest im Grundsatz sind sich die drei Regierungsparteien an einigen zentralen Punkten einig: So will die Regierung die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung abschaffen, indem der Arbeitgeberanteil von derzeit sieben Prozent festgeschrieben wird. Kostensteigerungen im Gesundheitswesen müssen die Arbeitnehmer deshalb künftig wohl allein tragen. Gut möglich, dass die Beiträge deshalb bald um mehr als fünf Prozent pro Jahr steigen.

Würde die jetzige Regelung einer beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartnern und Kindern beibehalten, läge die Pauschale bei einer kompletten Umwandlung des Arbeitnehmerbeitrags nach heutigem Stand bei rund 140 Euro im Monat. Allerdings hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die schwarz-gelbe Gesundheitsreform die Parole "Evolution statt Revolution" ausgegeben. Das heißt: Die Umstellung auf eine Prämie wird nach und nach erfolgen - und nicht mit einem Mal.

Hartz IV dagegen ein geradezu niedliches Problem

Offen ist allerdings, wie die christlich-liberale Evolution aussehen wird. Denkbar ist, dass nur künftige Ausgabensteigerungen durch eine Pauschale finanziert werden. Dieser Weg entspräche weitgehend dem Modell der Zusatzprämie, die viele Krankenkassen bereits ab diesem Jahr erheben wollen.

Übersichtlicher würde die Finanzierung des Gesundheitswesens damit nicht. Es gäbe auf Dauer vier Quellen, aus denen sich die Versicherungen finanzieren: fixer Arbeitgeberanteil, einkommensabhängiger Arbeitnehmeranteil, Zusatzbeitrag der Versicherten und Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt.

Systematischer wäre eine Reform nach dem Motto "Wenn schon Gesundheitsprämie, dann richtig". In diesem Fall könnte jedes Jahr ein Teil des bisher prozentualen Beitragssatzes in einen fixen Bestandteil überführt werden - etwa ein halber bis zu einem Prozentpunkt. Die Übergangsfrist würde dann schnell zehn Jahre betragen.

Politisch eine Ewigkeit - und damit ein mehr als ausreichend langer Zeitraum, um eines der zentralen Probleme der schwarz-gelben Gesundheitspläne zu lösen: die Finanzierung des Sozialausgleichs. Schließlich sind sich die Koalitionäre einig, dass im neuen System niemand finanziell schlechter dastehen soll als heute.

Weil die Gesundheitsprämie aber nur für Gutverdiener eine Entlastung gegenüber dem Status quo bedeutet, Gering- und sogar Teile der Normalverdiener belastet werden, müssten diese Beitragszahler einen Zuschuss vom Staat bekommen. Der Sozialausgleich verschlingt, das zeigen mehrere Berechnungen, somit schnell einen zweistelligen Milliardenbetrag.

Noch größer als die Geldbeschaffung ist allerdings das Problem, den Sozialausgleich so zu organisieren, dass ihn niemand richtig mitbekommt: Denn alle Menschen, die auf einen Zuschuss vom Staat angewiesen sind, werden automatisch zu Bittstellern. In den Niederlanden, wo es eine ähnliche Finanzierung des Gesundheitswesens gibt wie von Union und FDP geplant, sind 70 Prozent der Haushalte auf einen Steuerzuschuss zur Kopfpauschale angewiesen.

Für Deutschland hieße das: Fast 30 Millionen Haushalte bekämen Geld von der Regierung. Dagegen wäre Hartz IV ein geradezu niedliches Problem. Entsprechend groß ist vor allem bei der Union die Angst, dass die Kopfpauschale für sie zu dem wird, was Hartz IV für die SPD war: der Anfang vom Ende als Volkspartei.

Am einfachsten wäre es wohl, dem niederländischen Modell zu folgen: Dort bekommen die Versicherten, die vom Sozialausgleich profitieren, einen monatlichen Abschlag ausgezahlt, der am Jahresende unbürokratisch vom Finanzamt überprüft wird. Allerdings sind die deutschen Steuerbehörden für ein solches Verfahren nicht vorbereitet. Erst einmal würde es mehr Verwaltungsaufwand und zusätzliche Kosten geben.

Keine Frage: Die größten Probleme der Kopfpauschale - Finanzierung und Organisation des Sozialausgleichs - sind lösbar. Allerdings bergen sie enormen politischen Sprengstoff.

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