Reform-Streit Oettinger rechnet mit Merkel ab

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger hat in bisher unbekannter Schärfe die Politik der Kanzlerin angegriffen. Insbesondere ihre Strategie bei der Gesundheitsreform sei verfehlt. Auch sein Kollege Jürgen Rüttgers stellt das Projekt grundsätzlich in Frage.

Hamburg - In einer vertraulichen Runde auf Einladung der Dräger-Stiftung prophezeite Oettinger nach Informationen des SPIEGEL: "Das nächste Jahr wird die Koalition noch halten, da ist die EU-Ratspräsidentschaft und der G8-Gipfel, da werden viele Bilder produziert". Doch man dürfe sich keine Illusionen machen, das werde der Union nicht helfen. Es sei unsinnig zu glauben, das relativiere die innenpolitischen Fragen: "Das funktioniert nicht." Oettinger hielt die Rede am vergangenen Sonntag bei einer Gesprächsrunde im Hotel Traube in Tonbach im Schwarzwald.

Oettinger sagte, es gebe in der Bevölkerung eine große Unzufriedenheit mit der Großen Koalition, "und die ist auch berechtigt". In vielen zentralen Bereichen seien gemeinsame Lösungen zwischen Union und SPD kaum zu finden.

Oettinger kritisierte auch die Strategie Merkels bei der Gesundheitsreform. "Es war von vorneherein abwegig, so große Erwartungen in Zusammenhang mit der Gesundheitsreform zu wecken", sagte er. "Die große Gesundheitsreform wird es nicht geben, höchstens einige Projekte. Die Probleme werden damit nicht gelöst." So wie es vereinbart sei, werde es höchstens drei bis fünf Jahre funktionieren, sagte er. "In der Großen Koalition gibt es keine Reform aus einem Guss und keine gemeinsame Richtung." Auf die Frage, ob es dann nicht besser sei, die Arbeit an der Gesundheitsreform einzustellen, sagte Oettinger: "Aus fachlicher Sicht und für die Gesellschaft wäre es vielleicht das Beste, aber nicht für die Union." Es sei naiv, zu glauben, es handele sich nur um eine Sachfrage, "das ist längst auch zur Machtfrage geworden".

Rüttgers stellt Gesundheitsreform in Frage

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat die Gesundheitsreform sogar grundsätzlich in Frage gestellt. Er vermisse einen klaren Kurs in der Reformdiskussion, sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Bei der Debatte über die Gesundheitsreform fehlt mir bisher die grundsätzliche Klärung, welches System wir überhaupt haben wollen. Noch weiß da keiner, wo es hinlaufen soll." Rüttgers erklärte weiter: "Wollen wir die Zweiklassenmedizin? Ich nicht. Wollen wir, dass jeder am medizinischen Fortschritt teilnimmt? Ich will das."

Erneut forderte Rüttgers die CDU auf, sich über die eigenen Grundwerte klar zu werden: "Die Volksparteien müssen für sich klären, wie sie zu ihren Grundwerten stehen. Die CDU muss sich an der Debatte über Bürgerlichkeit, Religiösität und konservative Grundhaltung beteiligen. Dieser Prozess ist bei der CDU noch keineswegs abgeschlossen." Der NRW-Regierungschef hatte im Sommer für Aufsehen gesorgt mit der Aufforderung an seine Partei, sie müsse sich von einer Reihe von "Lebenslügen" verabschieden.

Auch der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) forderte einen grundsätzlichen Neuanfang bei der Reform. "Ich würde da jetzt nicht das eine oder andere Schräubchen drehen, sondern die Eckpunkte beiseite legen und einen grundsätzlichen Neuanfang versuchen", sagte Teufel dem "Focus". Dass der Bund jetzt die Beiträge für die Krankenkassen festlegen wolle und dies nicht mehr den Selbstverwaltungsorganen überlasse, sei der "Gipfel" und werde mit absoluter Sicherheit zu steigenden Ausgaben im Bundeshaushalt und zu neuen Steuererhöhungen führen.

Struck fordert mehr Führung von Merkel

Auch beim Koalitionspartner verstummt die Kritik an der Kanzlerin nicht. Der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Peter Struck, hat deutliche Zweifel an den Führungsqualitäten von Bundeskanzlerin Angela Merkel geübt. In einem Gespräch mit dem SPIEGEL bemängelte er, dass die Kanzlerin "es bisher jedenfalls nicht geschafft hat, Stoiber dazu zu bringen, sich an die getroffenen Vereinbarungen zu halten".

Er forderte Merkel in der Gesundheitsreform auf zu erklären, "was sie will und auch, dass sie es zur Not gegen den Widerstand einiger Ministerpräsidenten durchsetzen will". Struck erinnerte an die Merkel-Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder: Ein Kanzler müsse "an irgendeiner Stelle sagen: So will ich das haben. So wird das gemacht."

Anders als die Kanzlerin, die sich neben dem Kongo gegen ein zusätzliches Engagement im Sudan ausgesprochen hatte, ließ Struck einen Bundeswehreinsatz im sudanesischen Darfur offen: "Wenn uns der Uno-Sicherheitsrat bittet, müssen wir das ernsthaft prüfen." Die Zahl der Länder, in denen Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind, habe sich dramatisch erhöht. Struck: "Wir können dieser Entwicklung doch nicht einfach tatenlos zusehen. Ein schroffes Nein zu Darfur gibt es von mir nicht."

Mit Zurückhaltung reagierte Struck auf den Merkel-Vorschlag, bei günstiger Steuer- Entwicklung im Gegenzug die Krankenkassen-Prämien zu senken. Struck: "Wenn der Finanzminister Ende des Jahres Spielräume sieht, können wir darüber reden."

cai/dpa/ddp

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