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Migranten in Deutschland: Integration mit Hindernissen

Foto: Achim Scheidemann/ dpa

Regierungsbericht zu Migranten Deutsches Märchen Integration

Deutschland jubelt über seine Multikulti-Mannschaft - aber viele Migranten brechen die Schule ab, sind häufiger krank und brauchen ewig, um einen Job zu finden. Der Regierungsbericht zur "Lage von Ausländern" offenbart die Mängel der Integrationspolitik. Nur wenige Ergebnisse machen Mut.

Berlin - Mesut Özil, Sami Khedira, Jérôme Boateng sind Beispiele gelungener Integration. Sie sind Sinnbild für ein neues Deutschland. Sie gelten als "vorbildlich für die Gesellschaft", der deutsche Fußball sei ein "Integrationsmotor", heißt es.

Aber die Wahrheit sieht anders aus: In Deutschland ist die Lage von Migranten oft noch immer katastrophal.

Maria Böhmer

Das zeigt der achte Bericht der Bundesregierung zur Lage der "Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland", den die Staatsministerin für Integration, (CDU), am Mittwoch in Berlin vorstellte. Wie leben Migranten in Deutschland? Welche Berufe üben sie aus, welche Schulabschlüsse haben sie? Sind sie in Sportvereinen aktiv? Wie lange dauert es für sie, einen Beruf zu finden?

Darauf will der Bericht eine Antwort geben - auf über 600 Seiten werden die faktischen Lebensbedingungen von Deutschlands Einwanderern dokumentiert. Von der Krippe bis zum Altenheim.

Integrationspolitik

Das Papier offenbart das Versagen von Eltern, Schulen - aber auch der : So sind Migranten nicht häufiger kriminell als Deutsche, wenn sie einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Aber die Bundesregierung hat beim Bleiberecht noch keine langfristige Regelung gefunden. Und vor allem im Bildungsbereich ist die Lage von Einwanderern in Deutschland nach wie vor erschreckend. Die Zahl der Schulabbrecher ist unter Migranten noch gestiegen, sie sind fast doppelt so oft arbeitslos. Andere Ergebnisse machen Mut - immer seltener sind Einwanderer kriminell. Immer öfter werden sie beruflich selbst aktiv und gründen Unternehmen.

"Deutschland muss sich zum Land der Aufsteiger entwickeln - in allen gesellschaftlichen Bereichen", sagte Staatsministerin Böhmer bei der Vorstellung des Berichts. Aber: "Wir können längst nicht zufrieden sein." Noch könne von Chancengleichheit der Migranten keine Rede sein.

SPIEGEL ONLINE dokumentiert die wichtigsten Ergebnisse des Regierungspapiers.

  • Bevölkerung: Etwa 82 Millionen Menschen lebten 2008 in Deutschland, 15,6 Millionen von ihnen kommen aus Einwandererfamilien - also 19 Prozent der Gesamtbevölkerung. 7,3 Millionen sind Ausländer. Mehr als ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren hat einen Migrationshintergrund - in Großstädten sind es deutlich mehr. In Frankfurt am Main kommen mehr als 65 Prozent der unter Sechsjährigen aus einer Zuwandererfamilie. Die größte Religionsgruppe unter den Einwanderern sind Muslime - etwa 4 Millionen. Von ihnen haben 45 Prozent einen deutschen Pass.
  • Krippe und Kindergarten: Mehr Einwanderer vertrauen ihre Kinder einem Kindergarten an - trotzdem liegt die Betreuungsquote von Kindern mit Migrationshintergrund deutschlandweit im Durchschnitt um neun Prozent niedriger als bei Kindern deutscher Herkunft. In den alten Bundesländern (ohne Berlin) gingen im Jahr 2008 84 Prozent der Einwandererkinder zwischen drei und sechs Jahren in den Kindergarten. 2007 waren es indes nur 73,5 Prozent. Von den unter dreijährigen Kindern mit Migrationshintergrund besuchten 2008 in Westdeutschland nur etwa neun Prozent eine Krippe. Bei den Kindern, deren Eltern in Deutschland geboren wurden, waren es doppelt so viele.

  • Schule: Die gute Nachricht: Migranten holen bei Schulabschlüssen langsam auf. Immer mehr Kinder aus Einwandererfamilien machen die mittlere Reife oder das Abitur. Aber 43 Prozent der Migranten beenden die Schulzeit mit dem Hauptschulabschluss. Bei den deutschen Altersgenossen sind es dagegen 31 Prozent. Verheerend ist die Lage in einem anderen Aspekt: 2008 hatten 13,3 Prozent der 15- bis 19-jährigen Einwanderer keinen Schulabschluss - doppelt so viele wie bei den Deutschstämmigen. Die Anzahl der Schulabbrecher unter den Migranten ist im Vergleich zu 2007 noch deutlich gestiegen - damals waren es nur 10 Prozent.

  • Berufsausbildung: Migranten müssen viel länger nach einem Ausbildungsplatz suchen. 17 Monate lang warten sie auf eine Lehrstelle, ihre Altersgenossen deutscher Herkunft finden schon nach durchschnittlich drei Monaten einen Platz. Sehr viele Ausländerinnen in Deutschland haben überhaupt keine Ausbildung - bei denen, die selbst aus ihrer Heimat in die Bundesrepublik eingewandert sind, liegt der Anteil bei 44,5 Prozent. "Es darf niemand wegen seiner Herkunft aussortiert werden", sagte Böhmer.

  • Arbeitslosigkeit: Düster sieht es weiterhin auf dem Arbeitsmarkt für Migranten aus - sie waren 2008 doppelt so häufig arbeitslos wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. 12,4 Prozent der Einwanderer hatten keinen Job. Besonders hoch ist die Quote der Arbeitslosen bei Migranten ohne deutschen Pass, die selbst eingewandert sind - von ihnen hatten 2008 14,7 Prozent keine Arbeit. 2005 waren es allerdings laut Bericht in dieser Gruppe noch 20,7 Prozent.
  • Um sich selbst aus der Misere zu helfen, werden Migranten aber oft selbst aktiv und gründen immer häufiger selbst Unternehmen. 2008 waren 11,5 Prozent der Migranten selbständig - das sind doppelt so viele wie Anfang der neunziger Jahre.

  • Berufe: Ausländer aus den klassischen Anwerbeländern, also der Türkei, Griechenland und Italien, sind in der Gastronomie oder im Handel überproportional stark vertreten. Bei den selbständigen Einwanderern sind nur sehr wenige im handwerklichen Bereich tätig. "Unternehmensnahe, wissensintensive sowie freiberufliche Dienstleistungen werden häufiger von Migrantinnen und Migranten mit deutschem Pass als von Ausländerinnen und Ausländern ausgeübt", heißt es in dem Bericht unter Berufung auf verschiedene Studien.

Immer seltener werden Migranten kriminell

  • Kriminalität: Als hessischer Ministerpräsident machte Roland Koch (CDU) Anfang 2008 Wahlkampf gegen kriminelle Einwanderer - der Bericht der Bundesregierung zeigt, dass Migranten immer seltener kriminell sind. 1993 lag laut polizeilicher Kriminalstatistik der Anteil der "nichtdeutschen Tatverdächtigen" noch bei 33,6 Prozent, 2009 hingegen nur noch bei etwa 21 Prozent. Der Bericht zeigt eines ganz deutlich: Wer sich in Deutschland nicht willkommen fühlt, wer keinen sicheren Aufenthaltsstatus hat, der wird häufiger straffällig. Einwanderer, die in Deutschland bleiben dürfen, sind nicht krimineller als Einheimische.

  • Illegale Ausländer: Wie viele Menschen illegal in Deutschland leben, kann naturgemäß nur geschätzt werden. Laut des Weltwirtschaftsinstituts in Hamburg waren Ende 2007 zwischen 200.000 und 460.000 Menschen ohne Erlaubnis in Deutschland.
  • Gesundheit: Migranten sind häufiger krank - das ist ein Ergebnis des Papiers. "Allerdings ist es nicht die Migration als solche, die krank macht. Neben gesundheitsriskanten Verhaltensweisen sind es vielmehr Gründe und Umstände der Migration sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund, die zu einem schlechteren Gesundheitszustand führen können. Häufig kommen Faktoren, die mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status zusammenhängen zum Tragen", heißt es in dem Bericht - also etwa schlechte Ernährung und wenig Bewegung, wenig Möglichkeiten für ein gesundes Leben.
  • Situation von Frauen: Sehr viele Frauen aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion sind oft Opfer von familiärer Gewalt. Das haben mehrere Studien aus den vergangenen Jahren ergeben, die in dem Regierungsbericht ausgewertet werden. "Bei Gewalt in Paarbeziehungen fällt vor allem die hohe Betroffenheit türkischer Frauen auf, die deutlich über dem Durchschnitt der weiblichen Bevölkerung in Deutschland liegt", heißt es dort.

  • Sport: 2,8 Millionen Migranten sind Mitglieder in Sportvereinen. Das sind 10 Prozent aller Sportvereinsmitglieder - dabei sind 19 Prozent aller Menschen in Deutschland Einwanderer. Ehrenamtlich werden Migranten in Sportvereinen nur sehr selten aktiv. Ein großes Problem, das der Bericht aufzeigt: Sehr wenige Migrantinnen machen in Vereinen Sport.

Was sind die Lehren der Bundesregierung aus den Ergebnisse? Vor allem bei der Bildung und der Sprachförderung sieht Staatsministerin Böhmer Handlungsbedarf: Es müsse an Schulen mehr Sozialarbeiter geben, mehr Lehrer, die selbst aus Einwandererfamilien kommen. Außerdem müsse das letzte Kindergartenjahr verpflichtend werden, damit Migrantenkinder besser Deutsch lernen, forderte die CDU-Politikerin.

Integrationskurse, in denen Einwanderer seit dem Jahr 2007 verpflichtend Deutsch sowie die Grundlagen der deutschen Politik und Gesellschaft lernen, seien ein "großes Erfolgsmodell". Dafür soll es noch mehr Geld geben: Böhmer kündigte zusätzliche 15 Millionen an.

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