
Krisenkosten Die Verantwortung der Besserverdienenden


Mutmaßlich Vermögende mit Helikopter
Foto: Oliver Rossi / Stone RF / Getty ImagesViel ist von der Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 28. Oktober nicht hängen geblieben – und dann auch noch das Falsche. Sprengkraft besaß nicht der wiederholte Vorschlag zu einer Dienstpflicht für junge Menschen, sondern sein Appell an einen anderen, bisher völlig übersehenen Teil der Gesellschaft. »Und schließlich trifft diese Krise auch auf viele wohlhabende, reiche Menschen in unserem Land. Menschen, die viel haben und mehr tragen können. Sie müssen jetzt helfen, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen überhaupt stemmen zu können. Sie müssen jetzt beitragen, um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden«, sagte Steinmeier . Der Bundespräsident macht keine Gesetze, schon klar, aber indirekt kann man das schon als Arbeitsauftrag an die Ampel interpretieren, höhere Steuern oder Abgaben nicht weiter auszuschließen.
Auch von einer anderen, weit ungewöhnlicheren Stelle kommt angesichts der massiv gestiegenen Ausgaben der Bundesregierung die Forderung nach höheren Steuern oder einem Energie-Soli. Und zwar ausgerechnet vom Sachverständigenrat Wirtschaft der Bundesregierung – in den vergangenen Jahrzehnten ein Hort des Neoliberalismus. Die sogenannten Wirtschaftsweisen fordern in ihrem neuesten Bericht zeitlich begrenzte höhere Steuern für Besserverdienende oder einen Energie-Soli, um die gestiegenen Ausgaben der Bundesregierung zu finanzieren. »Irgendwer muss das auch bezahlen, das können wir nicht alles unseren Kindern überlassen«, sagte am Mittwoch die Ökonomin Monika Schnitzler bei der Vorstellung des Berichts des Sachverständigenrats.
Sofort wurde versucht, die Vorschläge zu diskreditieren und den Experten Unfähigkeit zu unterstellen. »Beim Sachverständigenrat musste der ökonomische Sachverstand dem Zeitgeist weichen«, polterte der Politikchef des »Handelsblatts«, Thomas Sigmund auf Twitter. Die »FAZ« bangt : »Fällt jetzt eine der letzten Bastionen des ordnungspolitischen Denkens dem Zeitgeist zum Opfer?« Der Kommentator begründet die Ablehnung eines erhöhten Steuersatzes mit dem Satz: »Irgendwann sind auch Grenzen für Besserverdienende erreicht.« Dabei sind die Abgaben für Besserverdienende in Deutschland historisch und auch im internationalen Vergleich gesehen vergleichsweise niedrig.
Der gefährliche Zeitgeist, der da beschworen wird, das soll wahrscheinlich nach Flatterhaftigkeit klingen, einer Unstetigkeit, die sich je nach Mode mal nach hier und mal nach da bewegt. Und ist es ein Zufall, dass dieser Vorwurf ausgerechnet zu einer Zeit kommt, in der der Sachverständigenrat erstmals überwiegend von Frauen besetzt wird? Als ob der Neoliberalismus, erdacht von Männern wie Milton Friedman und Friedrich Hayek, kein Produkt des Zeitgeists gewesen wäre! Als ob sich das Pendel zwischen freiem Markt und den Schutzbedürfnissen der Gesellschaft nicht ständig bewegte.
In Zeiten von Kanzler Helmut Kohl – ganz klar kein Sozialist – betrug der Spitzensteuersatz 53 Prozent, erst unter seinem SPD-Nachfolger Gerhard Schröder – und dem neoliberalen Zeitgeist – wurde er gesenkt. Inzwischen beträgt er 42 Prozent.
Es ist doch absurd, dass trotz der massiv steigenden Ausgaben des Staats ökonomische und steuerungspolitische Fragen aus dem politischen Gespräch ausgeklammert werden sollen. Es passt aber zum neurotischen deutschen Verhältnis zu Geld. Es ist leichter, einen Menschen nach seinem Intimleben zu befragen als nach dem Verdienst, der jüngsten Erbschaft oder dem Preis, den er oder sie für eine Immobilie bezahlt hat. Die Einzigen, die über Geld reden, sind diejenigen, die wenig haben.
Reichtum ist ein Tabu, selbst sehr reiche Menschen rechnen sich gern arm, wie der heutige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Er sagte in einem »Bild«-Interview 2018, er zähle sich zur gehobenen Mittelschicht. Damals arbeitete er für die Investmentgesellschaft Blackrock und verdiente nach eigenen Angaben eine Million Euro brutto pro Jahr. Mittelschicht, dass ich nicht lache.
Es kann doch nicht sein, dass sich die politischen Steuerungsmaßnahmen in der Krise auf Duschtipps und wildes Herumschenken an alle beschränken, während man die wachsenden ökonomischen Ungleichheiten systematisch ausblendet und staatliche Institutionen und Infrastruktur weiter ausgehöhlt werden. Genau diese Verweigerung von Politik führt dazu, dass die Menschen in ihrer Ratlosigkeit und ihrer Wut und auch in ihrer Überforderung rechtsautoritäre Parteien wählen.
Der König der Verweigerer heißt Finanzminister Christian Lindner (FDP). Seine Reaktion auf die Vorschläge des Sachverständigenrats erinnern an das Kind, das sich die Ohren zuhält und laut »lalala« singt, während man es bittet, seine Hausaufgaben zu machen. Es werde keine Steuererhöhungen geben, denn so steht es im Koalitionsvertrag, basta, und überhaupt seien die armen Bürger schon so gebeutelt, dass ihnen keine weiteren Belastungen zuzumuten sind.
»Die Bürger«?
Meint er die Bürger, die dieses Jahr keine Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder kaufen können (jeder Dritte laut Umfrage ). Oder meint er die Bürger, die nicht mehr warm duschen oder nicht mehr heizen, während Energiekonzerne wie Gazprom oder RWE Rekordgewinne einfahren? Meint er die Führungskräfte dieser Konzerne?
Man muss doch vielleicht auch einmal feststellen, dass es sehr vielen Bürgern im Land sehr gut geht. Ich stelle das schon in meinem Mittelschichtsumfeld fest, was Frequenz der teuren Auslandsreisen sowie Immobilien- und E-Autokäufe angeht. Die Belastungen scheinen noch erträglich zu sein.
Die privaten Geldvermögen der Bundesbürger sind auf 7,6 Billionen Euro gestiegen. Selbst in der Coronapandemie – die viele Menschen auch schon gebeutelt hat – wuchs der Klub der Reichen, wie die Vermögensstudie der Schweizer Bank Credit Suisse zeigt. In Deutschland lebten demnach 2,95 Millionen Dollar-Millionäre, über 633.000 mehr als im Jahr zuvor. Das sind Menschen, die mehr als eine Million Dollar Vermögen in Bargeld, Aktien und Immobilien besitzen. Sie brauchen keinen Tankrabatt, keinen Gaspreisabschlag.
Es gab mal eine Zeit, da bedeuteten Eigentum und Reichtum auch Verantwortung und Verpflichtung für ein Gemeinwesen. Inzwischen sind es Mittel zur Abschottung und Abgrenzung. Inzwischen ist dem Millionär die kaputte Schule egal, er kauft sich selbst eine, wenn er eine braucht. Wie gehen ein Kanzler und seine SPD mit der wachsenden Ungerechtigkeit um, das ist die große Frage. Das ist eine größere Frage als die Einführung des Bürgergelds. Lässt sich die SPD weiter von einer Sechs-Prozent-Partei (da liegt die FDP laut Forsa im Moment) und Christian Lindner die Politik vorgeben?
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version der Kolumne hieß es, die privaten Geldvermögen der Bundesbürger seien auf 7,6 Milliarden Euro gestiegen. Die richtige Zahl lautet jedoch 7,6 Billionen. Wir haben den Fehler entsprechend korrigiert.