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Razzia gegen »Reichsbürger«-Szene Schütze von Reutlingen durfte mit Sprengstoff hantieren

Er hatte bei einer Razzia im »Reichsbürger«-Milieu auf einen Polizisten geschossen: Der mutmaßliche Täter besaß nach SPIEGEL-Informationen neben Waffen auch eine behördliche Erlaubnis zum Umgang mit Explosivstoffen.
aus DER SPIEGEL 13/2023
Polizeieinsatz am Mittwoch in Reutlingen

Polizeieinsatz am Mittwoch in Reutlingen

Foto: Marijan Murat / dpa

Der Mann, der bei einer Razzia im »Reichsbürger«-Milieu am vergangenen Mittwoch einen Polizeibeamten angeschossen hat, durfte nicht nur legal Waffen besitzen. Er war auch Inhaber einer Erlaubnis nach dem Sprengstoffgesetz.

Darin sind Besitz, Umgang, Handel und Import von explosionsgefährlichen Stoffen geregelt. Vo­raussetzung für die Erteilung ist neben dem Nachweis von Fachkenntnis auch eine persönliche Zuverlässigkeitsprüfung.

Wie eine Sprecherin der Stadt Reutlingen auf SPIEGEL-Anfrage bestätigte, hatte der mutmaßliche Täter Markus L. seit Oktober 2019 eine behördliche Genehmigung zum »nichtgewerblichen Umgang mit Sprengstoff«. Demnach war es ihm erlaubt, mit Schwarzpulver, Böllerpulver und Nitrozellulose umzugehen. Einen entsprechenden Antrag an die Behörden hatte L. demnach offenbar damit begründet, dass er das »Schießen mit Schwarzpulver« als Sportdisziplin beitreibe und die Sprengstoffe zum »Wiederladen von Patronenhülsen und Böllerschießen« benötige.

»Schießen mit Schwarzpulver« als Sportdisziplin

Zuvor hatte L. den Angaben zufolge bereits 2009 und 2014 Sprengstoffgenehmigungen beantragt und entsprechende Sachkunde- und Bedürfnisnachweise vorgelegt – die Teilnahme an einem zweitägigen Lehrgang und eine Bestätigung seines Schützenvereins.

Aus: DER SPIEGEL 13/2023

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Um L.s Eignung zum Umgang mit Sprengstoff zu prüfen, seien Auskünfte beim Bundeszentralregister, bei der Polizeidirektion Reutlingen und dem baden-württembergischen Landeskriminalamt eingeholt worden. Erkenntnisse zu Verbindungen L.s zur »Reichsbürger«-Szene hätten nicht vorgelegen.

Markus L. war bei Ermittlungen gegen eine mutmaßliche rechtsterroristische Vereinigung rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß ins Visier des Generalbundesanwalts geraten. Als Beamte eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei in L.s Wohnung in Reutlingen eindrangen, hatte er bereits eine großkalibrige Waffe im Wohnzimmer aufgebaut und auf die Beamten gerichtet.

Ermittlungen wegen des Verdachts auf mehrfachen versuchten Mord

Einer der Polizisten wurde bei dem Schusswechsel in den Arm getroffen. Danach ergab L. sich. Nach SPIEGEL-Informationen besaß L. legal 22 Waffen. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des mehrfachen versuchten Mordes.

Die Verteidigung von L., der inzwischen in Untersuchungshaft  sitzt, war für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zunächst nicht erreichbar. In dem Terrorverfahren der Bundesanwaltschaft war L. bislang nur als Zeuge geführt worden.

Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen die Gruppe unter ihrem mutmaßlichen Anführer Prinz Reuß wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Ermittler vermuten, dass sich die Gruppe zum Ziel gesetzt hatte, »die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden«. Dabei soll auch der »Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten« geplant gewesen sein.

Neben Prinz Reuß, dessen Anwalt sich bislang gegenüber dem SPIEGEL nicht zu den Vorwürfen äußern wollte, gibt es in dem Ermittlungskomplex mehr als 50 weitere Beschuldigte sowie zahlreiche Zeugen.

Einer von ihnen ist Ralph Thomas Niemeyer, ein russlandaffiner Politaktivist und Ex-Ehemann der Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht. Den Ermittlungen zufolge hatte die Gruppe um Prinz Reuß Niemeyer gebeten, Kontakte zum Kreml herzustellen. Entsprechende Schreiben, die an Russlands Staatschef Wladimir Putin gerichtet waren, leitete Niemeyer jedoch offenbar nicht nach Moskau, sondern an den deutschen Verfassungsschutz weiter. Niemeyers Wohnräume in München waren bei der Razzia am Mittwoch ebenfalls durchsucht worden.

gud/srö/fis
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