S.P.O.N. - Der schwarze Kanal Meisterin des Zeigefingers

Grünen-Fraktionsvorsitzende Künast: Erhöhte Entrüstungsgeschwindigkeit
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaEs ist schon eine ziemlich vertrackte Sache, diese Plagiatsgeschichte der Forschungsministerin. Nicht nur, dass der Vorgang 32 Jahre zurück liegt und damit in einem Bereich, in dem selbst ein Totschlag verjährt. Bei vielen Stellen, die nun neben der Düsseldorfer Universität diverse Privatgutachter beschäftigen, ist nur schwer zu sagen, ob hier abgeschrieben oder paraphrasiert wurde. So brauchte es einige Tage, bis man sich in der Opposition zu einer Meinung durchgerungen hatte.
Nur eine Politikerin in Deutschland wusste gleich, was zu fordern ist, nämlich den sofortigen Rücktritt Schavans, auch ohne langwierige Textvergleiche. Es sei "beschämend, dass sie die Sache aussitzen will", befand Renate Künast in einer Ad-hoc-Stellungnahme. Noch habe die Ministerin ihr Amt formal inne, "aber die Glaubwürdigkeit, die sie für eine gute Amtsführung braucht, die hat sie schon verloren".
Wenn es in der deutschen Politik die Position des erhobenen Zeigefingers zu vergeben gäbe, dann wäre Renate Künast die ideale Besetzung. Wann immer jemandem auf der anderen politischen Seite ein Missgeschick oder Fehler unterläuft, ist die Fraktionsvorsitzende der Grünen mit der größtmöglichen Indignation zur Stelle, darauf kann man geradezu blind vertrauen. Was die Entrüstungsgeschwindigkeit angeht, nimmt es in der Hauptstadt mit ihr niemand so leicht auf.
755.000 Google-Treffer für "Künast fordert Rücktritt"
Künast hat schon den Rücktritt von Guido Westerwelle verlangt und den von Wolfgang Schäuble, sie hat Cornelia Pieper und Ilse Aigner aufgefordert, unverzüglich das Amt zu verlassen, Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff natürlich, Hartmut Mehdorn, Bischof Mixa und Thilo Sarrazin. Eigentlich fehlt in dieser Reihe nur der Papst, aber vielleicht habe ich den in der Eile auch übersehen. Wer bei Google die Worte "Künast fordert Rücktritt" eingibt, erhält 755.000 Treffer. Das ist sicher übertrieben, aber die Liste ist in jedem Fall beeindruckend.
Man kann lange darüber spekulieren, was wohl schief gelaufen ist, dass die Grüne andere aus Prinzip in den Senkel stellen muss. Ein Parteifreund hat einmal im kleinen Kreis die Vermutung angestellt, dass seine Fraktionskollegin Angst habe, im Verurteilungsreigen zu spät zu kommen, also sei sie immer die erste. In den Medien, die den Grünen prinzipiell wohlgesonnen sind, gilt Künasts Biestigkeit bis heute irgendwie als frech und unangepasst. Ich würde allerdings einwenden wollen: Was mit 30 charmant ist, ist das nicht zwangsläufig auch noch bei jemandem, der auf die 60 zusteuert.
Tatsächlich stand Renate Künast immer schon für das Experiment, wie weit man es mit schlechter Laune in der Politik bringen kann. In einer Umgebung, in der bereits die Wahl der falschen Kaffeesorte einen Verrat an den eigenen Idealen bedeutet, mag das gut gehen. In der normalen Welt, also dort, wo man zum Regieren solide Mehrheiten braucht, punktet man mit Umerziehungsprogrammen als Wahlversprechen schon sehr viel weniger, wie ihre missglückte Bewerbung um das Amt des Berliner Regierenden Bürgermeisters gezeigt hat.
Selbstgerechtigkeit als höchste Form der Gerechtigkeit
Die Berliner sind Härten gewohnt, so ist es nicht. Sie haben die Luftbrücke durchgestanden, den Bau der Mauer und Wowereits Spaßregierung. Nicht einmal die aufgeschobene Öffnung des neuen Flughafens konnte sie aus der Ruhe bringen; jetzt fliegt man eben weiter von Tegel und verschuldet ist man eh. Aber auch in Berlin erwarten die Leute von einem Politiker, dass er sie umwirbt und nicht abkanzelt.
Das kann man für furchtbar rückständig halten, aber so ist nun einmal das Leben. Die Zahl der Menschen, die freiwillig für eine tägliche Dauersozialkundestunde votieren, ist doch geringer, als in Kreuzberg und Umgebung angenommen.
Vielleicht wäre man mit Renate Künast versöhnter, wenn sie die Ansprüche, die sie an andere erhebt, für sich selber gelten lassen würde. Leider gehört sie zu den Menschen, die Selbstgerechtigkeit für die höchste Form der Gerechtigkeit halten. Mein Kollege Alexander Neubacher hat die Fraktionsvorsitzende neulich für einen Film über die Ökowelt dazu zu befragen versucht, wie sie heute über ihren Kampf für den Biodiesel denkt. Erst mochte sie nicht antworten und fand schon die Frage unverschämt; dann konnte sie von Neubacher nicht mehr ablassen und fuchtelte ihm heftig mit ihrem Zeigefinger vor der Nase herum.
Da die ganze Zeit eine Kamera mitlief, kann man sich das Schauspiel demnächst im Fernsehen ansehen. Der Film soll Ende Dezember bei SPIEGEL TV laufen. Da hat man dann ausnahmsweise bei Renate Künast mal etwas zu lachen.
PS: Weil viele Leser selber googeln: "Künast fordert Rücktritt" mit Anführungsstrichen ergibt 14.500 Treffer, auch das ein Spitzenwert. Zu ernst sollte man Google in diesem Zusammenhang allerdings dann auch nicht nehmen.