Rentenstreit Der Ton wird schärfer
Hamburg - Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU)verurteilte die Vorhaben von Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) als Improvisation. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) meldete Widerstand der Unionsländer im Bundesrat gegen die Rentenvorhaben im Sparpaket an.
Riester selbst kündigte unterdessen im "Focus" an, er wolle das bisher gescheiterte Konzept einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge in das Bündnis für Arbeit einbringen. "Man kann die Eigenvorsorge fördern, indem die Regierung steuerliche Vergünstigungen gibt oder die Rahmenbedingungen für die Altersvorsorge in anderer Weise verbessert", sagte Riester. Der Parlamentarische Staatssekretär im Arbeitsministerium, Gerd Andres, erläuterter der "Bild am Sonntag", Riester wolle im Bündnis für Arbeit erreichen, daß sich die Tarifpartner verpflichteten, einen Teil der Lohnsteigerung künftig in einem Kapitalstock zur Altersvorsorge anzulegen.
Die Deutsche-Angestellten-Gewerkschaft (DAG) warnte insbesondere vor einem Mißbrauch der beschlossenen Grundsicherung. Das Element der bedarfsorientierten Absicherung könne sich im betragsorientierten, auf dem Versicherungsgedanken beruhenden Rentensystem ausbreiten "wie ein Ölfleck", sagte das für Sozialpolitik zuständige Vorstandsmiglied Lutz Freitag der "Osnabrücker Zeitung". "Und mit einem Mal ist man ganz schnell bei einer Grundrente für alle ... Das wollen wir nicht."
Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag des Senders n-tv findet mehr als die Hälfte der Deutschen (54 Prozent), daß die Regierung nicht genug zur Sicherung der Renten tut. Nur 40 Prozent der Befragten seien zufrieden mit den politschen Entscheidungen auf diesem Sektor.
Schäuble und Merkel kritisierten insbesondere, daß die Angleichung der Ost-Renten an das West-Niveau weiter verschoben werden solle. Der Arbeitsmarktexperte des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Hilmar Schneider, hielt dagegen Sonderregelungen für die Renten in Ostdeutschland für nicht gerechtfertigt.
Schäuble schrieb in der "Leipziger Volkszeitung", mit der Begrenzung der Rentenerhöhung auf den Inflationsausgleich in den nächsten beiden Jahren "verläßt die Bundesregierung den ein halbes Jahrhundert bestehenden Rentenkonsens ... Wer mit derartigen Hau-Ruck-Aktionen diese lange und stabil gewachsene Vertrauensbasis untergräbt, legt die Axt an eine der entscheidenden Säulen, auf denen der soziale Frieden in unserem Land ruht." Auf lange Sicht werde zudem die Möglichkeit jeder vernünftigen Rentenreform erschwert.
Teufel nannte die Abkehr von der lohnbezogenen Rente in der Freiburger "Badischen Zeitung" einen "beispielloser sozialer Rückschritt". Merkel sagte, Riesters Reformpläne seien "die blanke Willkür". Biedenkopf sagte der "Bild am Sonntag": "Bisher liegt noch kein Rentenkonzept vor, sondern lediglich eine Einsparmaßnahme." Für eine private Altersversorgung bedürfe es auch nicht der Aufforderung des Staates. "Die heute 45jährigen und Jüngeren haben doch längst zusätzliche private Vorsorge getroffen, weil sie an die staatliche Rente nicht mehr glauben."
Politiker und Gewerkschafter hatten wiederholt gefordert, die Renten im Osten von den geplanten Kürzungen auszunehmen. Der Arbeitsmarktexperte Schneider wies in einem jedoch darauf hin, daß bei Rentnerhaushalten im Osten im Gegensatz zum Westen auch die meisten Frauen einen gesetzlichen Rentenanspruch hätten. Dies bedeute einen Vorteil. "98 Prozent der ostdeutschen Frauen über 65 haben Anspruch auf eine gesetzliche Rente, weil zu DDR-Zeiten fast alle Frauen durchgehend erwerbstätig waren", sagte Schneider. Deren durchschnittlicher Rentenanspruch liege mit monatlich 1041 Mark um fast 40 Prozent über dem von westdeutschen Rentnerinnen. Nur bei den Männern ergebe sich ein leichter Nachteil. Renter im Osten bekämen im Schnitt 1826 Mark, im Westen 1991 Mark.