Republik 21 Scheitert die deutsche Klimapolitik an Lobby-Interessen?
Annalena Baerbock als Moses mit zehn »Verboten«: Mit diesem Motiv hat die Lobbyorganisation »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) kurz vor dem Grünen-Parteitag am vergangenen Wochenende provoziert. In mehreren großen Medien erschienen Anzeigen, darin legte die INSM der Kanzlerkandidatin teils irreführende Aussagen in den Mund: »Du darfst nicht fliegen« oder »Du darfst kein Verbrennerauto fahren«.
Dass das nicht den Forderungen der Grünen entspricht, stört die INSM nicht. Pressesprecher Florian von Hennet sagt im Stimmenfang-Interview, es handle sich um eine »werbliche Zuspitzung«.
Schmerzhafter als die inhaltliche Kritik dürften für die INSM aber die Reaktionen auf den Stil der Kampagne sein. Noch am vergangenen Freitag distanzierte sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände von der Anzeige: »Persönliche Herabsetzungen und eine misslingende Verwendung christlicher Symbolik sind kein angemessener Umgang im notwendigen Wettstreit um politische Inhalte«, hieß es in einer Mitteilung.
Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie finanzieren die INSM. Die Geldgeber stünden weiter fest an der Seite der Lobbyorganisation, sagt Sprecher von Hennet. Auch den schärfsten Vorwurf, die Verwendung antisemitischer Stereotype, weist er zurück: »Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass diese Anzeige nichts Antisemitisches beinhaltet.« Die INSM wolle aber künftig stärker darauf achten, »dass nicht die leisesten Zweifel daran aufkommen, welche Abscheu wir für jegliche Form von Antisemitismus oder Antijudaismus haben«.
Dennoch ist auffällig, mit welcher Schärfe die Industrielobby die Kanzlerkandidatin der Grünen attackiert. »Das musste jetzt kommen von dieser ›Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft‹, weil die eigentlich seit Jahrzehnten den Klimaschutz bekämpfen«: Das dachte die Investigativjournalistin Annika Joeres, als sie die Anzeige gegen Baerbock gesehen hat.
Joeres zählt die INSM zu den mächtigsten Bremsern der deutschen Klimapolitik. Zusammen mit der SPIEGEL-Redakteurin Susanne Götze hat sie vergangenes Jahr ein Buch über die »Klimaschmutzlobby« veröffentlicht. Im Podcast berichtet sie, wie die Lobbyisten arbeiten und warum sie etwa im CDU-geführten Wirtschaftsministerium so viel Gehör finden.
Die marktradikale INSM wird übrigens jährlich vom Arbeitgeberverband Metall, also der Autoindustrie, mit jährlich 7 Millionen Euro finanziert.
— Annika Joeres (@AnnikaJoeres) June 11, 2021
Mit @susannegoetze haben wir sie in unserem Buch "Die Klimaschmutzlobby" als die mächtigsten Bremser bezeichnet - ihre Botschafter 1/4 pic.twitter.com/oNu9tn68sz
Auch die Agrarwirtschaft übt Einfluss auf die Klimapolitik der Bundesregierung aus, etwa über den Deutschen Bauernverband. Dessen Generalsekretär Bernhard Krüsken sieht seine Branche allerdings in einer Sonderrolle: Die Landwirtschaft stoße Treibhausgase aus, sei aber auch Leidtragende der Klimakrise. Außerdem könne sie durch sogenannte Kohlenstoffsenken dazu beitragen, CO2 zu binden. Dass der Sektor bei den Klimazielen vergleichsweise glimpflich wegkommt , hält er für gerechtfertigt.
Annika Joeres kritisiert, in der Landwirtschaft könne deutlich mehr getan werden, um die Treibhausgasemissionen zu senken. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) habe daran jedoch allem Anschein nach kein Interesse. Das sei ein »Riesenerfolg« der Agrarlobby, sagt Joeres.
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