CDU-Verluste bei Europawahl Der Rezo-Effekt - echt oder nur gefühlt?

Surfer schaut das Rezo-Video
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesAnfang Dezember schien die Welt für die CDU noch in Ordnung. Nach dem Rückzug Angela Merkels vom Vorsitz vermittelte sie das Bild einer Partei im Aufbruch. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ließ über den künftigen Kurs diskutieren - und in den Umfragen ging es spürbar aufwärts. Auf bis zu 32 Prozent stiegen die Werte für CDU/CSU bei der sogenannten Sonntagsfrage.
Doch dieses zwischenzeitliche Hoch ist längst verflogen. Bei der Europawahl erlebten die Unionsparteien ein Debakel, kamen gemeinsam nur noch auf 28,9 Prozent. Das Minus hatte die CDU zu verbuchen, die auf 22,6 Prozent abrutschte, während die CSU sogar leicht zulegte und auf 6,3 Prozent kam.
Immer wieder werden die CDU-Verluste mit den Debatten um Fridays for Future erklärt, den Protesten gegen das neue EU-Urheberrecht - und mit dem 55-minütigen CDU-Verriss des YouTubers Rezo .
Doch spiegelt sich dieser Erklärungsversuch tatsächlich in Umfragen wider? Oder ist das eher eine gefühlte Wahrheit?
Wir haben uns Daten des Online-Umfrageinstituts Civey genauer angeschaut. Eindeutige Antworten sind schwierig, aber es gibt Indizien dafür, dass die fortlaufende Diskussion um Klimaschutz und die Politik der Union die Wähler beeinflusst hat.
Die Daten legen sogar nahe, dass das Rezo-Video zumindest Menschen unter 30 Jahren verstärkt zu Grünen-Wählern gemacht haben könnte. Der Rezo-Effekt existiert offenbar - auch wenn der YouTuber dies selbst bestreitet.
Schaut man sich die Umfragewerte von CDU/CSU und Grünen aus den letzten Monaten an, ist dort ein gegenläufiger Trend erkennbar: Von Dezember bis Anfang März ging es für die Union um fast sechs Prozentpunkte nach oben. Die Grünen verloren im gleichen Zeitraum etwa vier Prozentpunkte.
Vorteil für die Grünen
Doch Mitte März wendete sich das Blatt - und zwar für beide Parteien. CDU/CSU rutschten bei der Sonntagsfrage von fast 32 Prozent auf heute nur noch 28 Prozent ab. Die Grünen hingegen kletterten von 16 auf fast 23 Prozent.
Damals, im Frühjahr, erreichte die Bewegung "Fridays for Future" hierzulande ihren ersten Höhepunkt: Am 15. März demonstrierten bundesweit Zehntausende Schüler für mehr Klimaschutz. Politiker sahen sich genötigt, Position zu beziehen.
Eine Woche später - am 23. März - versammelten sich in Berlin Zehntausende vor allem junger Menschen, um gegen die EU-Reform des Urheberrechts zu protestieren. Für viel Empörung sorgte zu diesem Zeitpunkt der geplante Artikel 13, der den Einsatz von sogenannten Uploadfiltern für Plattformen wie YouTube zur Folge haben könnte.
Die Schwächen von Umfragen
Natürlich lässt sich nicht beweisen, dass die Schulstreiks, der Streit ums neue Urheberrecht und das Rezo-Video hinter den Verschiebungen bei den Meinungsumfragen stecken. Doch ein solcher Zusammenhang liegt nahe, wenn man sich anschaut, wie stark diese Themen die politischen Debatten in den letzten drei, vier Monaten bestimmt haben.
Die Veränderungen der Stimmanteile bei Union und den Grünen liegen deutlich über dem statistischen Fehler von 2,5 Prozent, der sich bei der Civey-Online-Befragung von rund 10.000 Menschen ergibt. Und sie finden sich in nahezu identischer Form auch in den Umfragedaten der Forschungsgruppe Wahlen.
Rezo-Video im Vorher-Nachher-Check
Bei der Frage aber, ob es einen Rezo-Effekt gegeben hat oder nicht, geraten Umfragen an ihre Grenzen - zumindest, wenn man die traditionelle Sonntagsfrage als Basis nimmt. Deshalb muss man hier mehr ins Detail gehen.
Das Rezo-Video wurde am 18. Mai auf YouTube veröffentlicht - das war ein Samstag. Die Diskussion darüber nahm jedoch erst einige Tage später richtig Fahrt auf - etwa am 23./24. Mai. Wir haben daher Civey-Umfragedaten vom 10. bis 17. Mai und vom 24. bis 31. Mai miteinander verglichen.
Schaut man auf die Gesamtbevölkerung, hat sich zwischen diesen beiden Zeiträumen vor und nach der Veröffentlichung des Rezo-Videos nicht allzu viel getan. Die Union verlor 1,6 Prozentpunkte - die Grünen gewannen einen Prozentpunkt. Beide Veränderungen sind bei einem Fehler von plus/minus 2,5 Prozent zu klein, um als relevant zu gelten.
Einen größeren Sprung sieht man jedoch, sobald man die Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren gesondert untersucht. Und zwar ausschließlich beim Stimmanteil der Grünen - siehe Diagramm oben. Dieser erhöht sich nämlich um knapp vier Prozentpunkte.
Ein solcher Anstieg liegt zwar etwa im Bereich des hier geltenden Fehlers von 3,5 bis 4,1 Prozent. Er ist dennoch ein Indiz für eine tatsächliche Erhöhung. Denn selbst bei sich etwa zur Hälfte überlappenden Fehlerintervallen ist die Wahrscheinlichkeit relativ klein, dass beide Werte tatsächlich im Bereich der Überlappung liegen.
Deutlich größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide Werte nicht gemeinsam in diesem Intervall zu finden sind - dass also letztlich der größere Umfragewert wirklich für einen höheren Stimmanteil steht.
Heißt: Offenbar hat es den Rezo-Effekt gegeben - als positiven Effekt für die Grünen in der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre. Bei der Union hat sich durch das Video nicht allzu viel verändert, folgt man den Umfragewerten. Wird dieser Effekt länger anhalten? Der Trend zumindest spricht gegenwärtig für die Grünen, deren Umfragewerte haben in den letzten Tagen noch einmal um mindestens drei Prozentpunkte zugelegt.
Das Meinungsforschungsinstitut