

Berlin - Malu wer? Als am Freitag die ersten Meldungen über Kurt Becks nahenden Rücktritt die Runde machten, mischte sich ihr Name schnell in die Nachfolge-Spekulationen: Malu Dreyer, bisherige Sozialministerin im Kabinett Beck, soll in Rheinland-Pfalz die Regierungsgeschäfte vom strauchelnden Landesvater übernehmen. Außerhalb des Bundeslandes ist die SPD-Politikerin wenig bekannt, in ihrer Heimat um so populärer.
Die 51-Jährige, deren Vorname für eine Kurzform von "Marie Luise" steht, arbeitet seit zehn Jahren als Ministerin unter Kurt Beck. Beobachter beschreiben sie als unprätentiös, sympathisch, klug, kompetent und herzlich. "Sie ist beliebt wie Hitzefrei und Freibier", sagt der rheinland-pfälzische SPD Generalsekretär Alexander Schweitzer laut "Süddeutscher Zeitung" über sie.
Ungewöhnlich für eine Spitzenpolitikerin ist, dass sie ihr neues Amt trotz einer chronischen Krankheit in Angriff nehmen wird. Dreyer leidet seit vielen Jahren unter Multipler Sklerose, einer unheilbaren Störung des zentralen Nervensystems, die in Schüben auftritt. 2006 machte sie die Erkrankung publik. "Mir geht es unheimlich gut. Ich kann nur nicht gut laufen", sagte sie. Wegen ihrer MS-Erkrankung lässt sich Dreyer bei längeren Fußwegen im Rollstuhl schieben. Auf Pressereisen zeigt sie sich unbeschwert und fröhlich. Die Juristin, verheiratet mit dem Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen, demonstriert bei öffentlichen Auftritten ihr Lebensmotto, das ihr Facebook-Profil verrät: "Carpe Diem - Lebe den Tag".
Geschickte Entscheidung, aus mehreren Gründen
Malu Dreyer wird neben Christine Lieberknecht, Hannelore Kraft und Annegret Kramp-Karrenbauer nun wahrscheinlich die vierte amtierende Ministerpräsidentin in Deutschland. Ihre Berufung ist trotz ihrer Popularität eine Überraschung. Als aussichtsreichste Kandidaten für Becks Nachfolge kursierten in den vergangenen Monaten vor allem die Namen von Innenminister Roger Lewentz und Fraktionschef Hendrik Hering.
Dreyers großer Vorteil dürfte sein, dass sie als Ressortchefin für Soziales und Gesundheit weitgehend unbelastet vom Nürburgring-Debakel ins Amt starten kann. Mitbewerber Lewentz, der sich auch um Infrastrukturprojekte im Bundesland kümmert, wird schon eher mit dem beispiellosen Pleite-Projekt verknüpft: Als Verkehrsminister ist er für die Rennstrecke zuständig, und Hering war sein Vorgänger. Lewentz soll Beck nun immerhin als SPD-Landeschef nachfolgen, so die Absprache, die am Freitagabend offiziell verkündet werden soll.
Malu Dreyer muss sich zudem nicht den unterschwelligen Vorwurf der Königsmörderin gefallen lassen. Sie verhielt sich stets loyal gegenüber Beck, als andere schon öffentlich um die Nachfolge des dienstältesten Ministerpräsidenten stritten, heißt es. Aus dem Machtpoker zog sich Dreyer offenbar geschickt heraus. Erst in den vergangenen Wochen mehrten sich Spekulationen, dass die 51-Jährige Beck als Ministerpräsidenten beerben könnte.
Duell Klöckner gegen Dreyer
Ihre Berufung ist auch aus einem anderen Grund clever: Becks schärfste Konkurrentin, die CDU-Landeschefin Julia Klöckner, attackiert die rot-grüne Landesregierung seit Monaten pausenlos, wirft Beck und seinen politischen Gefährten "Macho-Gehabe aus der alten Republik" vor. Wenn jetzt eine kompetente Frau das SPD-Urgestein beerbt, bietet das der forschen Klöckner viel weniger Angriffsfläche. Dreyer könnte einen Imagewechsel einleiten, den die schwer gebeutelte SPD in Rheinland-Pfalz nach dem Beck-Desaster bitter nötig hat.
Im Laufe des Tages sollen die Personalien um die Nachfolge Becks festgezurrt werden. Lewentz könnte auf einem Landesparteitag am 10. November zum neuen Parteichef gewählt werden. Zur Wahl Dreyers zur Regierungschefin hieß es aus Mainz lediglich, dies könne in den nächsten Wochen und Monaten geschehen. Dass Dreyer im Parlament durchfällt, gilt als ausgeschlossen - sowohl SPD als Grüne haben kein Interesse an Neuwahlen.
Läuft alles wie geplant, ist die nächste Landtagswahl für 2016 gesetzt - dann wäre Malu Dreyer die direkte Gegenspielerin von Klöckner. Es dürfte ein spannendes Duell werden.
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Die 51-jährige Malu Dreyer soll Anfang 2013 als erste Frau der Landesgeschichte von Rheinland-Pfalz an die Spitze der Regierung rücken und die rot-grüne Koalition weiterführen.
Deutschlands dienstältester Ministerpräsident Kurt Beck hatte am Freitag seinen Rückzug verkündet.
Viele in der SPD halten die als kompetent und warmherzig geltende Politikerin für am besten geeignet, der forschen und redegewandten CDU-Landeschefin Julia Klöckner (39) bei der Landtagswahl 2016 Paroli zu bieten.
Dreyer bei einem Flashmob zur Inklusion in Mainz. Die Juristin leidet seit vielen Jahren an Multipler Sklerose, einer chronischen Entzündungserkrankung des zentralen Nervensystems. 2006 machte sie die Erkrankung publik. "Mir geht es unheimlich gut. Ich kann nur nicht gut laufen", sagt sie.
Seit 1994 stand Kurt Beck an der Spitze der rheinland-pfälzischen Landesregierung, seine Amtsgeschäfte übergibt er jetzt an Sozialministerin Malu Dreyer. Das Bild zeigt Beck im August 2012 nach gescheitertem Misstrauensvotum. Die CDU hatte die Abstimmung wegen der Nürburgring-Pleite beantragt, durch die Beck unter Druck geraten war.
Ernster Blick: Beck hört am 28. August im Mainzer Landtag vor dem von der CDU beantragten Misstrauensvotum der Rede von Oppositionsführerin Julia Klöckner zu. Das fragwürdige Finanzierungsmodell für den neu gestalteten Nürburgring und eine Serie von Pannen wurden für Beck zu einer großen politischen Niederlage.
Leutseliger Landesvater: Beck feiert im März 2011 beim Karneval in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz.
Beck und Dreyer im Mai 2005 bei der Ernennung der SPD-Politikerin zur Gesundheitsministerin - die 51-Jährige soll jetzt neue Regierungschefin in Rheinland-Pfalz werden.
Pleite in der Bundespolitik: Beck tritt im September 2008 auf einer SPD-Klausurtagung am Schwielowsee in Brandenburg als SPD-Chef zurück. Als Vorsitzender der Sozialdemokraten hatte er keine glückliche Hand: Der provinzielle Charme, der in seinem Heimatland immer zog, wurde in Berlin zum Problem. Beck fremdelte mit dem Hauptstadtbetrieb, die Presse beäugte ihn kritisch. Als er mit einer rot-rot-grünen Koalition in Hessen liebäugelte, sank sein innerparteiliches Ansehen. Beck zog sich frustriert zurück.
Vielen Dank für die Blumen: Beck lässt sich im Mai 2006 als neuer SPD-Chef feiern - aber die Amtszeit des Mannes aus Bad Bergzabern währt nicht lang.
Und jetzt wird geschunkelt: Beck hat sich im Februar 2003 bei der Landtags-Fastnacht in Mainz als Napoleon verkleidet.
Zwei Spitzengenossen auf dem Loreley-Felsen: Bundeskanzler Gerhard Schröder und Beck genießen im Februar 2001 den Blick auf den Rhein - zwischen den beiden steht Loreley-Darstellerin Manuela Setzer.
Mein Freund, der Kanzler: Zu Gerhard Schröder hat Beck ein gutes, aber nicht immer reibungsfreies Verhältnis. Weil Beck nach dem rot-grünen Wahlsieg im Bund 2002 auf Steuererhöhungen beharrt, gibt es Knatsch mit dem Kanzler. Der Streit währt nicht lange: 2004 wird Beck zu einem von vier stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden auf Bundesebene gewählt.
Hohe Ehrung: 1999 wird der "Facharbeiter für Leutseligkeit" ("Süddeutsche Zeitung") von Bundespräsident Roman Herzog mit dem Verdienstorden ausgezeichnet. Es ist der Zeitpunkt, zu dem auch sein Einfluss in der Bundespartei wächst. Im Jahr 2000 wird er in Mainz erneut zum Spitzenkandidaten der SPD gewählt, holt bei der Landtagswahl 2001 knapp 45 Prozent.
Bürgernähe und das direkte Gespräch mit den Menschen auf der Straße - das war immer ein Trumpf von Beck. Hier informiert er sich Ende 1998 in Koblenz-Neuendorf über die Lage im Hochwassergebiet. Rhein und Mosel lagen damals mehrere Meter über dem Normalstand.
Als Pfälzer mag man den 1. FC Kaiserslautern: Beck freut sich im Mai 1998 über einen Sieg der Fußballmannschaft gegen den VfL Wolfsburg.
Beck spricht im November 1998 auf einem außerordentlichen Parteitag vor den Delegierten: Als sonderlich großer Redner galt Beck allerdings nie.
Gemütlicher Landesvater: Auf einem Sechsertandem radelnd eröffnet Beck 1997 den "Erlebnistag Deutsche Weinstraße". Durch Auftritte wie diesen erwirbt sich Beck rasch den Ruf, ein volksnaher Regierungschef zu sein, selbst Gegner bescheinigen ihm Bodenständigkeit. Seine sozialliberale Koalition, mit der er das Land von 1994 bis 2006 regierte, rückt vor allem die Mittelstandspolitik in den Fokus - ein Ansatz, der im Land der Rüben und Reben gut ankommt.
Geordnete Übergabe: 1979 wird Beck, der seinen Realschulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg an einer Abendschule nachholt, in den Mainzer Landtag gewählt. Er profiliert sich erst als sozialpolitischer Sprecher, dann als Fraktionsgeschäftsführer, übernimmt schließlich 1991 die Führung der Landtagsfraktion. Als Ministerpräsident Rudolf Scharping 1994 in die Bundespolitik wechselt, schlägt er Beck als seinen Nachfolger vor.