Mainzer Wahlsiegerin Dreyer Die SPD jubelt ihre Probleme weg

Mainzer Wahlsiegerin Dreyer: Die SPD jubelt ihre Probleme weg
Foto: Boris Roessler/ dpaAls sich Malu Dreyer durch die Reihen drängt, kocht der Saal - im wahrsten Sinne des Wortes. Schon bevor die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmern, herrschen bei der SPD im Mainzer Abgeordnetenhaus derart hohe Temperaturen, als habe die Partei vorsorgen wollen: Emotionen anheizen auf den letzten Metern. Doch das ist gar nicht nötig. Die Stimmung ist von Anfang an gut, bei Bockwurst und Bier freuen sich die Genossen über die Aufholjagd der vergangenen Wochen.
Um 18 Uhr dann schnellt der rote Balken in die Höhe: doch wieder stärkste Partei. Arme fliegen in die Luft, "Malu"-Rufe, Ekstase. Der Sieg in Rheinland-Pfalz ist eine Befreiung für die Sozialdemokraten. Noch vor wenigen Monaten lag die Partei der Ministerpräsidentin elf Prozentpunkte hinter der CDU mit Herausforderin Julia Klöckner. Jetzt sind sie deutlich vorne, viele hätten das nicht mehr für möglich gehalten.
Dreyer klettert auf die kleine Bühne, schnappt sich ein Mikrofon, breites Grinsen, die Stimme zittert. "Die Partei war wie elektr…" Das Wort will der Ministerpräsidentin nicht über die Lippen. "Ach, die Partei war super drauf." Dreyer schmunzelt, das Parteivolk jubelt.
Es scheint, als wollten die Sozialdemokraten an diesem Tag einfach alle Probleme wegfeiern. Den Absturz der Landesverbände in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg, unangenehme Fragen nach Sanierungsstau oder Lehrerstellen. Und die Tatsache, dass die Koalition mit den Grünen in Rheinland-Pfalz futsch ist - der bisherige Partner muss dramatische Verluste hinnehmen. Auch das gehört zur Wahrheit an diesem Wahlsonntag.
Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin keinen völlig verkorksten Abend erlebt, hängt vor allem mit ihr zusammen: Malu Dreyer. In Rheinland-Pfalz haben die Sozialdemokraten ihren Wahlkampf ganz auf die beliebte Ministerpräsidentin zugeschnitten.
Malu hier, Malu überall - im Nachhinein hätte der SPD nichts Besseres als der Wechsel von Kurt Beck zu Dreyer vor zwei Jahren passieren können. Die frühere Sozialministerin mistete nach den Skandalen um Nürburgring und Flughafen Hahn aus, räumte die Regierung auf, zeigte, dass sie durchgreifen kann. Ansonsten ist sie das Gegenteil des testosterongesteuerten Politikertypus Beck: ruhig, besonnen - und damit deutlich populärer als Herausforderin Klöckner.
Sekt, Fleischwurst und gespenstische Stille
Ein paar Hundert Meter von der SPD-Party entfernt herrscht gespenstische Stille. "Mein Gott" und "Waterloo" stöhnen CDU-Mitglieder im Mainzer Stadtschloss, wo eigentlich alles für eine große Feier mit Sekt, Wein und viel Fleischwurst gerichtet war.
Die Stimmen seien an AfD und FDP gegangen, da sind sich hier alle schnell einig. Aber warum? War die Kanzlerin schuld oder nicht auch die Spitzenkandidatin im Land, Julia Klöckner? Die sah lange wie die sichere Siegerin aus, in der Flüchtlingsfrage trieb sie die Landesregierung gar vor sich her.

Rheinland-Pfalz: SPD feiert siegreiche Malu Dreyer
Doch als der Gegenwind stärker wurde, setzte sie sich zunehmend von der Kanzlerin ab. Sie hofierte Merkel-Kritiker Horst Seehofer im Wahlkampf, brachte mit ihrem "Plan A2" eine nur mäßig gut getarnte Alternative zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ins Spiel. Dazu kamen zwei steife Auftritte in TV-Runden. Der Zwist kam bei den konservativen Wählern offenbar nicht gut an. Sie hat im Wahlkampf wohl überdreht - und damit den Endspurt der SPD erst möglich gemacht.
Für Klöckner stellt sich nun die Frage, wie es weitergeht. Nach 2011 ist sie zum zweiten Mal in Rheinland-Pfalz gescheitert. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass sie einen dritten Anlauf unternimmt - doch dem Landesverband mangelt es an Alternativen. Aus Klöckners Umfeld heißt es, die 43-Jährige werde auf jeden Fall CDU-Landesvorsitzende bleiben, vermutlich auch Fraktionschefin im Landtag. Zumindest vorerst.
Und die SPD? Auf Malu Dreyer warten nun harte Wochen. Sie muss eine neue Koalition schmieden - und das dürfte nicht einfach werden. Zwei Optionen bleiben nach dem Wahlabend:
Große Koalition: Die stabilste Variante. In vielen Fragen, zum Beispiel bei Infrastrukturprojekten, liegen beide Parteien gar nicht so weit auseinander. Doch in Teilen der SPD gibt es eine tiefe Abneigung gegen die Klöckner-Union - das erreicht mitunter auf die persönliche Ebene. Dreyer spricht am Wahlabend von einer "Ultima Ratio". Landeschef Roger Lewentz geht sogar noch einen Schritt weiter. "Eine Große Koalition", sagt er, "die schließe ich am heutigen Abend wirklich aus".
Die CDU wiederum befasst sich seit Monaten mit dem Modell GroKo - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Jetzt reicht es nicht für eine Ministerpräsidentin Klöckner. Wird sie auch in eine Dreyer-Regierung eintreten? Klöckner lässt die Frage am Wahlabend offen. Die Juniorrolle kann sie sich für ihre Partei aber offenbar vorstellen. "Schauen wir nach vorne, und das heißt auch, dass wir einen stabilen Landtag hinbekommen", sagt sie in Mainz.
Ampel: Bei der SPD-Wahlparty sind sich die meisten Sozialdemokraten einig: Ein Bündnis mit den Liberalen muss jetzt her. Das ist auch nicht verwunderlich, würde das doch auch die Grünen an Bord halten, die Stand Sonntagabend wohl knapp im Landtag bleiben. Außerdem erinnern sich viele SPD-Politiker noch gerne an die sozialliberale Koalition unter Kurt Beck.
Allerdings: Eine Mehrheit für Rot-Grün-Gelb wäre wohl nur hauchdünn. Bislang sträubten sich die Liberalen bundesweit außerdem immer, wenn es um ein Dreierbündnis mit Rot-Grün ging. FDP-Spitzenkandidat Volker Wissing sagt am Wahlabend jedoch: "Wenn andere mit uns über liberale Politik sprechen wollen, sind wir offen dafür." Eine deutliche Absage klingt anders.
Im zweiten Stock des Mainzer Abgeordnetenhauses wischen sich die Sozialdemokraten den Schweiß von der Stirn, das Pils fließt, irgendwann stimmt jemand ein Lied an: "So ein Tag, so wunderschön wie heute." Alle singen mit. Die SPD feiert das Hier und Jetzt. Am nächsten Morgen könnten ja schon wieder die Probleme warten.