Grünenchef Habeck geht auf Distanz zu Palmer "Der Satz von Boris war falsch, herzlos"

Boris Palmer (Grüne), Oberbürgermeister in Tübingen (Archivfoto)
Foto:Sebastian Gollnow/ dpa
Die Liste der verbalen Provokationen von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) ist lang:
Das Fehlverhalten eines Radfahrers assoziierte er mit dessen Hautfarbe und mutmaßte, es müsse sich um einen Asylbewerber handeln.
Über eine Werbekampagne der Deutschen Bahn, die ausschließlich Menschen mit Migrationsgeschichte zeigte, beschwerte er sich und fragte, welche Gesellschaft das abbilden solle.
Zuletzt sagte er über die Behandlung von älteren Covid-19-Patienten: "Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären."
Palmer provoziert damit die mediale Öffentlichkeit, aber vor allem auch seine eigene Partei. Trotzdem galt der politische Ziehsohn von Ministerpräsident Winfried Kretschmann lange als dessen Wunschnachfolger. Nun hat sich Parteichef Robert Habeck deutlich von Palmer distanziert. "Der Satz von Boris war falsch, herzlos. Und kann den Eindruck erweckt haben, vielleicht war es auch so gemeint, dass es sich nicht lohnt, um Menschenleben zu kämpfen. Ich will eindeutig sagen, er spricht damit weder für die Partei noch für mich", sagte er in der Sendung "Anne Will".
Grüne werfen Palmer "Sozialdarwinismus pur" vor
Habeck habe die Hoffnung gehabt, dass Palmer das einsehe und sich entschuldige - "aber nachdem er heute nachgelegt hat, muss ich sagen, dass meine Geduld wirklich erschöpft ist", sagte er. Auf die Frage, ob er die Forderung aus seiner Partei nach einem Parteiordnungsverfahren oder einem Parteiausschlussverfahren unterstütze, sagte Habeck: "Wir werden uns mit solchen Fragen beschäftigen."
In einem offenen Brief hatten Parteimitglieder zuvor Konsequenzen für das Verhalten von Palmer gefordert. Seine Geisteshaltung sei "Sozialdarwinismus pur" und mit allen Mitteln strikt abzulehnen. "Die jüngste Äußerung und viele der früheren Äußerungen des Oberbürgermeisters von Tübingen sind in keiner Weise mit den Grundsätzen und der Programmatik von Bündnis 90/Die Grünen vereinbar", schreiben die Autoren. Es sei unerheblich, dass Palmer sich nach parteischädigenden und teilweise menschenfeindlichen Äußerungen immer wieder als missverstanden verteidige oder sich zum Schein entschuldige, wenn der Druck zu groß werde.
Wie schwierig Parteiausschlussverfahren sind, hat der Fall Thilo Sarrazin in der SPD gezeigt - jahrelang versuchte die Partei, den ehemaligen Finanzsenator wegen rassistischer Äußerungen auszuschließen. Im Sommer des vergangenen Jahres entschied ein Parteigericht den Ausschluss, die Landesschiedskommission Berlin bestätigte den Ausschluss. Sarrazin hat angegeben, dagegen Berufung einlegen zu wollen.