Ex-Verfassungsschutzchef Roewer macht Eltern von NSU-Trio für Morde mitverantwortlich

Thüringens Ex-Verfassungsschutzchef Roewer (Archivbild): 280 Seiten Rechtfertigung
Foto: dapdBerlin - Fehler? Hat er eigentlich nie wirklich gemacht. So in etwa lassen sich die Auftritte Helmut Roewers vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss zusammenfassen. Mit seinen schrägen Aussagen vor dem Gremium, das das Behörden-Versagen rund um die Verbrechen der rechten Terrorgruppe ausleuchten will, hat sich der schillernde Ex-Chef des Thüringer Verfassungsschutzes wenig Freunde gemacht.
An diesem Donnerstag hat Roewer ein Buch in Berlin vorgestellt. Es heißt "Nur für den Dienstgebrauch", handelt vom rechten Terror, dem wilden Osten und, natürlich, von ihm selbst. Darin wartet Roewer mit einigen bemerkenswerten Thesen auf.
So macht er die Eltern der NSU-Terroristen indirekt mit für die Mordserie verantwortlich. Im März 1998 sei der Landesverfassungsschutz nur Millimeter davon entfernt gewesen, die Untergetauchten aufzuspüren, schreibt Roewer über die missglückte Fahndung nach Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Doch die Eltern der Neonazis hätten dies verhindert.
Als vermeintlichen Beweis berichtet der Ex-Verfassungsschützer über eine persönliche Begegnung mit einem der Väter der Terroristen. Dabei habe er dem Mann in Aussicht gestellt, bei einer Rückholaktion für das Trio als Vermittler aufzutreten. Der Vater habe geantwortet, er kenne den Unterschlupf nicht. "Heute weiß ich, dass ich belogen worden bin", schreibt Roewer. Die Eltern hätten verschwiegen, dass die Gesuchten in Chemnitz waren.
"Elf Jahre Rechtsterrorismus: Durch Wegschauen erledigt"
Roewer ist sich sicher: Wären seine Hinweise beachtet worden, hätte das rechtsextreme Terrortrio nicht bundesweit zehn Morde begehen können.
Der gelernte Jurist aus Westdeutschland, von 1994 bis zu seinem Rauswurf im Jahr 2000 Chef der Thüringer Verfassungsschützer, tönt im Buch: "Wie die späteren Mordtaten des Trios von Jena hätten verhindert werden können. Die Antwort heißt: Eben so, wie ich es geplant hatte." Nach seinem Abgang habe für die Bekämpfung des Rechtsterrorismus in Thüringen "niemand mehr das geringste Interesse" gezeigt.
Seine Vorschläge, die militante Neonazi-Gruppierung Thüringer Heimatschutz zu verbieten, nach den untergetauchten Bombenbauern öffentlich zu fahnden sowie in deren Familien einzudringen, seien in den Wind geschlagen worden. "Elf Jahre Rechtsterrorismus: Durch Wegschauen erledigt." Auf knapp 280 Seiten präsentiert Roewer Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen. Doch in dem Rundumschlag werden auch alarmierende Details über Verstrickungen von Politik und Polizeibehörden deutlich.
Der als eitel und unberechenbar geltende Roewer sieht sich als Macher, der das "staatlich-operative Handwerk der Wiedervereinigung" miterledigt habe. Er war vom Bundesinnenministerium nach Thüringen geschickt worden. Doch der Osten ist ihm offensichtlich zuwider. Altlasten und unfähige Westimporte hätten sich erbitterte Fehden geliefert, meint der 1950 Geborene, der sich diesmal auffällig friedlich und wie immer mit roten Schuhen präsentierte. Er schreibt vom Thüringer Urlaut, vergammelten Duschvorhängen, Fettgeruch und der überall gegenwärtigen Bratwurst.
Die "Aktion Obelix" erscheint nur im ersten Moment ebenso skurril. Unter diesem Code fassten die Verfassungsschützer den illegalen Fluss von Informationen aus der Polizei zu CDU-Politikern zusammen. Eine Journalistin habe 1998 von einem Abgeordneten erfahren, dass die Festnahme des späteren Nationalsozialistischen Untergrunds unmittelbar bevorstehe. Wieder sei ein Suchansatz breitgetratscht und zunichtegemacht worden. "Wenn die so weitermachen, können wir es vergessen", notiert Roewer damals.
Chaos in seiner Behörde
Offiziell waren Gerüchte über eine geplante Festnahme des Trios später dementiert worden. Jetzt beschäftigen sie auch den Untersuchungsausschuss im Bundestag.
Das Chaos in seiner Behörde beschreibt der Ex-Chef als fast alltäglich. Der parteilose Geheimdienstler hält die Thüringer Politik im Rückblick für eine "Geschichte von Gewinnsucht, Niedertracht und Missgunst, Bigotterie und christlicher Doppelmoral". Über Jahre habe eine "Clique rheinischer Katholiken eine geduldige Schafsherde von Gottlosen" regiert. Für viele ostdeutsche Polizisten sei oberste Devise gewesen: Bloß nicht auffallen.
Der frühere Spitzenbeamte spricht in Berlin von einer damals "tiefen Zerrüttung der ostdeutschen Gesellschaft durch die Geheimdienste der Diktatur". Stasi-Spitzel und KGB-Agenten hätten auch nach der Wende in Thüringen ihr Unwesen getrieben. Auch wenn Fehler in diesem Klima der wilden Ost-Aufbaujahre fast zwangsläufig erscheinen, als Erklärung reicht das nicht.
Das Buch zeigt einen gekränkten Mann, der nicht länger der Buhmann der Nation sein will. "Die Aufklärung, sie ist gescheitert", endet Roewer. Sein Bericht dürfte die Aufarbeitung der Pannenserie bei der Fahndung nach dem mörderischen Trio kaum weiterbringen.