AfD als Prüffall für den Verfassungsschutz "Das kann einen negativen Eindruck hinterlassen"

Björn Höcke
Foto: Lennart Preiss/ Getty ImagesIn dieser Woche kommen die beiden Rechtsaußen der AfD, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, mit ihrem Netzwerk "Der Flügel" in Sachsen zusammen. Das Treffen war seit Längerem geplant, steht nun aber ganz unter dem Eindruck der Erklärung des Bundesamts für Verfassungsschutz.
Denn der Inlandsgeheimdienst hat in der vergangenen Woche bekannt gegeben, dass er die AfD als Prüffall für eine Beobachtung führt sowie die Parteijugend "Junge Alternative" (JA) sowie das Rechtsaußennetzwerk "Flügel" als Verdachtsfall bewertet. Das ist ein schärferes Schwert.
Die Partei steht unter Druck. Der Verfassungsschutz könnte künftig nachrichtendienstliche Mittel gegen beide Teile der Partei einsetzen, etwa Observationsteams, oder Informationen in Nadis speichern, dem Daten-Verbundsystem von Bundesamt und Landesämtern für Verfassungsschutz.
Höcke und Kalbitz, die AfD-Chefs von Thüringen und Brandenburg, sind für das Bundesamt zentrale Figuren im "Flügel"-Netzwerk. In dem mehr als 400 Seiten umfassenden Gutachten des Inlandsgeheimdienstes, das dem SPIEGEL vorliegt, wird dem "Flügel" eine "völkisch-nationalistische Ideologie" attestiert.
Vor allem zahlreiche Reden und Äußerungen Höckes wurden analysiert:
- Wenn Höcke etwa die "Re-Migration" von Ausländern propagiere, dann meine er eine "nur pro forma notdürftig verhüllte Forderung nach dem willkürlichen Entzug von Staatsbürgerschaften und menschenwürdewidrigen Massenabschiebungen".
- Höcke spreche Muslimen das Asylrecht ab. Im Gutachten wird er zitiert mit dem Satz: "Ziehen wir die Konsequenzen - kein Asylrecht für Muslime in Deutschland."
- Auch die bereits bekannten Reden Höckes, in denen er etwa das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Mahnmal der Schande" bezeichnete und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" verlangt, tauchen dort auf.
- Mitunter würden AfD-Funktionäre die Regierung und ihre Institutionen in die Nähe von "undemokratischen Regimen beziehungsweise historischen Diktaturen" bringen. So habe Höcke die Bundesrepublik in einer Rede als "real existierenden Umerziehungs- und Gesinnungsstaat" bezeichnet, in einer anderen vom "Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie" gesprochen.
Auch die Parteichefs Alexander Gauland und Jörg Meuthen - beide gehören zwar nicht dem "Flügel" an, sind aber wiederholt auf dem sogenannten Kyffhäuser-Treffen des Netzwerks aufgetreten - nimmt der Verfassungsschutz in die Verantwortung: Beide hätten sich keineswegs von der "aggressiven Diktion der 'Flügel'-Protagonisten" distanziert, äußerten bei solchen Terminen beide oft "ähnliche Sprach- und Stilmittel".
Nun fürchtet die Partei die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Bereits seit Herbst leitet der AfD-Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig eine interne Arbeitsgruppe, die Empfehlungen erarbeiten soll, um dies zu verhindern. Zuletzt legte die Gruppe ein Papier vor, im dem die Funktionäre und Mitglieder zu einer zurückhaltenden Sprache angehalten werden - etwa durch den Verzicht auf Begriffe wie "Volksgemeinschaft" oder "Umvolkung". Eine Distanzierung vom "Flügel" ist darin aber nicht enthalten.
Im Interview mit SPIEGEL ONLINE äußert sich nun Roland Hartwig zum Gutachten des Verfassungsschutzes und den weiteren Umgang mit Björn Höcke.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hartwig, das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD zum "Prüffall", die "Junge Alternative" (JA) und den "Flügel" von Björn Höcke und Andreas Kalbitz sogar zum "Verdachtsfall" auf extremistische Bestrebungen erklärt. Sind Sie beunruhigt?
Hartwig: Unruhe ist der falsche Ausdruck. Wir sind zunächst einmal erstaunt, dass das Bundesamt uns zum Prüffall macht.

Roland Hartwig, Jahrgang 1954, war bis zu seinem Ruhestand Chefsyndikus des Bayer-Konzerns, er trat 2013 in AfD ein, ist seit 2017 für die Partei im Bundestag. Seit dem vergangenen Jahr leitet Hartwig eine interne Arbeitsgruppe, die sich mit dem Umgang einer potentiellen Überwachung durch den Verfassungsschutz beschäftigt.
SPIEGEL ONLINE: Wieso das?
Hartwig: Es prüft uns doch schon seit Monaten, deswegen überlegen wir auch, ob wir rechtlich gegen diesen Vorgang - eine Pressekonferenz zu einer behördeninternen Entscheidung, diese Prüfung fortzusetzen - vorgehen wollen. Wir haben zunächst einmal um das Gutachten des Verfassungsschutzes gebeten, das einigen Medien ja längst vorliegen soll.
SPIEGEL ONLINE: Was befürchten Sie?
Hartwig: Allein die Tatsache, dass eine Prüfung verkündet wird, kann natürlich bei dem einem oder anderen Wähler einen negativen Eindruck hinterlassen. Dazu müssen wir aber die zukünftige Entwicklung erst einmal abwarten.
SPIEGEL ONLINE: Unter Juristen wird die Frage kontrovers diskutiert, wie lange ein solches Prüfverfahren gegen eine Partei gehen darf. Der Präsident des Bundesamts, Thomas Haldenwang, hat in nicht öffentlicher Sitzung des Innenausschusses des Bundestags erklärt, ein bis zu zwei Jahren halte er für angemessen. Mit was rechnen Sie?
Hartwig: Da gebe ich keine Prognose ab. Wir halten zunächst einmal aber positiv fest, dass Herr Haldenwang als Ergebnis dieser Prüfung noch keine Grundlage für eine Beobachtung der AfD gesehen hat. Das ist erfreulich und entspricht unseren Erwartungen. Wenn es also nach Abschluss der Prüfung bei dieser Einschätzung bleibt, können wir das für uns positiv verbuchen.
SPIEGEL ONLINE: Sie setzen auf eine Art Verfassungsschutz-Gütesiegel?
Hartwig: Einen Freischein würde ich nicht erwarten, das wäre vermutlich zu viel verlangt. Allerdings erwarte ich schon, dass unser Kurs in der Vergangenheit und insbesondere in den vergangenen Monaten, mit dem wir in der Partei Einzelfälle konsequent behandeln, auch von Herrn Haldenwang gewürdigt wird. Ich bin mir sicher, dass wir auch als Endergebnis der andauernden Prüfung keinen Anlass für eine Verdachtsbeobachtung geben werden.
SPIEGEL ONLINE: Der Nachwuchs ist für das Amt bereits ein Verdachtsfall. Muss die AfD die "Junge Alternative" auflösen, weil darin nur noch extremistische Kräfte vertreten sind?
Hartwig: Wir werden auch hier das Gutachten des Verfassungsschutzes, sobald wir es erhalten haben, genau analysieren. In Niedersachsen hat sich der dortige JA-Landesverband ja bereits aufgelöst. Auf Bundesebene wird man eine komplette Ablösung von der Bundespartei erst dann in Betracht ziehen müssen, wenn andere Möglichkeiten nicht mehr ausreichen. Wir werden zunächst mit der JA-Führung darüber sprechen müssen, wie und ob extreme Erscheinungen in absehbarer Zeit bereinigt werden können. Erst danach werden wir über das weitere Vorgehen beraten.
SPIEGEL ONLINE: Der "Flügel" ist für das Bundesamt ebenfalls ein Verdachtsfall. Sie kamen als bürgerlicher Euro-Kritiker 2013 zur AfD, gehören nicht dem "Flügel" an. Was erwarten Sie von Björn Höcke?
Hartwig: Ich würde mich freuen, wenn Herr Höcke als exponierter Vertreter des "Flügel" eine klare Positionierung einnehmen würde und sich mit den Vorwürfen und Anhaltspunkten auseinandersetzt, die die Verfassungsschutzämter zusammengetragen haben. Es wäre für die AfD sehr hilfreich, wenn Herr Höcke eine klare Grenze zieht, was aus seiner Sicht akzeptabel und nicht mehr akzeptabel ist.
SPIEGEL ONLINE: Ist Höckes "Flügel" für Sie ein integraler Bestandteil der AfD oder bereits eine Last?
Hartwig: Um es in der Fußballersprache zu sagen - eine gute Mannschaft braucht auch einen Rechtsaußen, der könnte Herr Höcke sein. Aber er muss eben auf dem Spielfeld nach den geltenden Regeln spielen und sich dazu verhalten, wie es um diejenigen bestellt ist, die nicht mehr aufs Spielfeld gehören und die Regeln verletzen.
SPIEGEL ONLINE: Vertreter der "Alternativen Mitte" - die sich als Gegenpart zum "Flügel" gebildet hat - verlangen eine "Selbstreinigung" vom "Flügel", der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Witt in letzter Konsequenz auch die Trennung von bestimmten Personen. Was halten Sie davon?
Hartwig: Genau das ist in der Vergangenheit und insbesondere in den letzten Monaten so auch geschehen und wird natürlich auch in der Zukunft so fortgesetzt werden.