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Bremen-Wahl: Rot-Grün jubelt an der Weser

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Rot-Grün an der Weser Bremen wählt den Politikverzicht

In Bremen führt Jens Böhrnsen die erste Große Koalition aus SPD und Grünen auf Landesebene - doch was sagt dieses historische Ergebnis aus? Herzlich wenig, denn an der Weser gab es keine Wechselstimmung, keine Reizthemen, kaum Inhalte. Offensichtlich können die Wähler auch ohne Politik leben.

Was waren die Wähler in jüngster Zeit launisch. Im Februar jagten sie in Hamburg CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus aus dem Amt. Im März nahmen sie in Rheinland-Pfalz SPD-Mann Kurt Beck die absolute Mehrheit. In Baden-Württemberg machte sie gar den Weg frei für den ersten grünen Ministerpräsidenten. Und in Bremen? Bleibt alles beim Alten: Seit 65 Jahren regiert an der Weser die SPD. Nun darf Bürgermeister Jens Böhrnsen der Ära vier weitere Jahre hinzufügen.

Überraschend an dem Ergebnis ist höchstens, dass CDU und FDP zusammen gerade einmal 23 Prozent der Stimmen erreichen. Der bundesweite Trend gab der rot-grünen Regierung im kleinsten Bundesland den nötigen Rückenwind. 2007, als die Parteien zum ersten Mal an der Weser ihr Bündnis schnürten, war das Scheitern des "rot-grünen Projekts" auf Bundesebene noch in guter Erinnerung. Da galt die Konstellation als überholt.

Inzwischen hat sich das, den Grünen sei Dank, gründlich geändert. In Bremen ist die Partei zwar traditionell stark. Nun aber mutieren die einstigen Ökopaxe zu einer Volkspartei. So könnte in Bremen rechnerisch laut mancher Hochrechnung sogar eine grün-schwarze Regierung möglich sein. Die Grünen hätten dann schon den zweiten Ministerpräsidenten in Deutschland stellen können. Doch auf dieses Experiment werden sie sich nicht einlassen. Das abschreckende Beispiel Hamburg zeigt, wohin so etwas führen kann.

Stattdessen wählen sie nun eine Große Koalition, ohne die Konstellation beim Namen zu nennen. Die CDU landete nämlich, historisch einmalig, erstmals überhaupt bei einer Landtagswahl hinter der Ökopartei.

Die Wahl spiegelt allerdings nicht nur den Bundestrend. Sie ist auch ein Beispiel dafür, wie wenig sich die Bürger für Politik interessieren. Offenbar hat sich nur noch jeder zweite Wähler an der Abstimmung beteiligt. Auch das war absehbar, nicht nur weil das Ergebnis nach den Umfragen längst feststand. Fast zwei Drittel der Bürger haben im Vorfeld der Abstimmung angegeben, sich mit keiner der Parteien identifizieren zu können. "Die Bremer glauben, es geht auch ohne Politik", kommentierte ein Wahlforscher die Zahlen.

Ein Drittel der Bremerhavener wusste nicht, wer Böhrnsen ist

Der schlechte Stand der Politik in dem kleinen Bundesland hat viele Gründe. So können nach Meinung vieler Bürger die Parlamentarier - egal welcher politischen Richtung - ohnehin nichts an den gewaltigen Problemen des Landes als Pisa-Schlusslicht und mit Rekordverschuldung ändern. Anderseits fühlen sich viele Bremer vom Rest der Republik unterschätzt. Trotzig rücken sie im Land zusammen. Eine Opposition, die die kleinen Erfolge schlechtredet, hat es da traditionell schwer. Im Wahlkampf gab es weder Wechselstimmung noch irgendwelche Reizthemen.

Zudem leidet das Land an einem Geburtsfehler. Bremen ist, was oft übersehen wird, kein Stadtstaat, sondern ein Zwei-Städte-Staat. Bremerhaven aber, 50 Kilometer weiter nördlich gelegen, fühlt sich von der großen Schwester chronisch benachteiligt. Jens Böhrnsen ist Ministerpräsident des Bundeslands und Bürgermeister von Bremen. Bremerhaven hat hingegen einen eigenen Bürgermeister, der sogar ein "Ober-" in seiner Amtsbezeichnung führt. Eine Folge der Konstruktion: Bei einer Umfrage in der Stadt wusste ein Drittel der Befragten nicht einmal, wer Böhrnsen ist.

Das mag erklären, weshalb die Regierung nun sogar derart zulegen konnte, dass es womöglich gar zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bremen reichen könnte.

Dabei stand das bürgerliche Lager vor einem grundsätzlichen Problem: Es gibt in der Stadt keine Mehrheit rechts der SPD. Die CDU versuchte deshalb, weiter in die Mitte zu rücken, sich als moderne Großstadtpartei zu präsentieren. Das aber führte zu Verwerfungen innerhalb der Union. Teile der Partei verweigerten die Gefolgschaft. Gleich mehrere Bürgerlisten Enttäuschter entstanden, die nun CDU und FDP weitere Stimmen gekostet haben.

Vertretung in Schloss Bellevue als Wahlhilfe

Die FDP im Land kränkelt schon lange vor sich hin. Dass die Liberalen nun, nach vier Jahren im Parlament, wieder aus der Bürgerschaft fliegen, heißt deshalb nicht zwangsläufig, dass der Wechsel in der FDP-Spitze in Berlin misslungen wäre. Das dürftige Abschneiden liegt an der Darstellung vor Ort, denn die Parlamentarier lieferten sich einen permanenten Kleinkrieg. Höhepunkt war der Austritt des Fraktionschefs aus der Partei.

Mit einem blauen Auge sind die Linken davongekommen. Vor vier Jahren zogen sie an der Weser zum ersten Mal in ein westdeutsches Parlament ein. Sehr schnell sorgten sie für Schlagzeilen, mit Stalking-Affäre und Austritten. Politprofis, geschickt aus Berlin, sorgten anschließend für Ruhe- und zwar so nachdrücklich, dass anschließend fast nichts mehr von den Linken zu hören war.

Und Wahlsieger Böhrnsen und seine SPD? Dem Bürgermeister, der selbst für den Geschmack zurückhaltender Hanseaten in den vergangenen Jahren viel zu wenig in Erscheinung getreten ist, kam ein Zufall zu Hilfe. Als Bundesratspräsident durfte er nach dem Rücktritt von Horst Köhler für kurze Zeit die Vertretung in Schloss Bellevue spielen. Die bundesweite Aufmerksamkeit tat dem SPD-Mann gut, erfreute aber auch die Bremer.

An den Problemen des Landes hat die rot-grüne Regierung indes wenig geändert. Der ehemalige Richter Böhrnsen verwaltet das Land mehr wie ein Notar, als dass er regiert. Immerhin sorgte er dafür, dass Bremen weiterlebt. Auch in den kommenden Jahren kann sich das Land über Milliardenhilfe des Bundes freuen. Den Bremern genügt das offensichtlich.

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