Rot-Rot-Grün-Debatte Aufstand in der SPD - Kurt Beck in Not
Berlin - Nein, es läuft nicht rund für die SPD, zwei Tage vor der Wahl in Hamburg. Die Genossen fragen sich, was ihren Boss wohl geritten haben mag, vor Journalisten die Wahl Andrea Ypsilantis zur hessischen Ministerpräsidentin ohne eigene Mehrheit anzukündigen - und damit eine Debatte über Rot-Rot-Grün zu entfachen. Das müsse ein Versehen gewesen sein, sagte ein Bundestagsabgeordneter. "So dumm kann niemand sein." Doch ist Beck kein Neuling im politischen Betrieb. Er weiß genau, was er wann sagen kann und was nicht gerade bei brenzligen Themen.
Daher ging das Rätselraten über Becks Motiv heute weiter. Einen Nutzen kann in der Partei niemand erkennen - nur einige Spin-Doktoren aus dem Willy-Brandt-Haus versuchen, den Vorstoß als geschickten Schachzug zu verkaufen, um die FDP in eine Ampelkoalition in Hessen zu zwingen. Selbst das wird in der Partei bezweifelt: Die FDP sei jetzt aus dem Schneider, heißt es. Es gebe keinen Grund für die Liberalen, der SPD aus der Klemme zu helfen.
Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass Becks Vorstoß der SPD im Wahlkampf schadet. Der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau sagte SPIEGEL ONLINE, die Debatte sei gegenüber der Hamburger SPD "extrem rücksichtslos". Es gibt auch diejenigen, wie der Bundestagsabgeordnete Kurt Bodewig, die sagen, es handele sich um eine "CDU-Medienkampagne".
Hessen-SPD: Idee ist nicht von uns
Doch die Mehrheit sucht die Schuld beim eigenen Parteivorsitzenden. Der hessische SPD-Sprecher Frank Steibli betonte heute, dass die Idee zur Ypsilanti-Wahl nicht aus Hessen stamme - was Becks Vorstoß noch kühner erscheinen lässt.
Warum er das Thema noch vor der Hamburg-Wahl angesprochen hat, darüber gab Kurt Beck auch heute keinen Aufschluss. Dazu sei alles Notwendige gesagt, sagte er in Augsburg. "Sie wissen ja, wie das mit den Pfarrern ist: Die predigen auch nur einmal".
Damit wollte er die leidige Debatte beenden. Doch dafür reicht eine flapsige Bemerkung nicht. Die einzigen, die weiter eisern schweigen, sind die sonst so meinungsfreudigen Parteilinken. Der konservative Seeheimer Kreis der SPD-Bundestagsfraktion hingegen verschärfte noch einmal seine Kritik: Er distanzierte sich direkt von der Beckschen Wortakrobatik, der zwischen aktiver und passiver Zusammenarbeit mit der Linken unterschieden hatte. "Die stillschweigende Hinnahme, sich von den Linken als Ministerpräsidentin wählen zu lassen, stellt ebenfalls eine Zusammenarbeit dar und verbietet sich damit", hieß es in einer Erklärung. "Damit verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit." Sogar von "Wortbruch" war die Rede.
Ist Ypsilanti-Wahl nun Makulatur?
So klar hatte es noch keiner öffentlich gesagt. Gedacht aber haben es die meisten. Der Ärger über Becks Alleingang reicht bis in die engste Parteiführung. Fraktionschef Peter Struck und der stellvertretende Parteivorsitzende Peer Steinbrück haben sich öffentlich geäußert: Die SPD dürfe sich nicht von den Linken abhängig machen, forderte Struck. Steinbrück warnte, "jedwede Zusammenarbeit" mit der Linken würde die Glaubwürdigkeit der SPD massiv beeinträchtigen. Die beiden anderen Stellvertreter Becks, Andrea Nahles und Frank-Walter Steinmeier, schwiegen, waren aber laut "FAZ" ebenso wie Struck und Steinbrück "überrascht, erstaunt und entsetzt".
Angesichts der eindeutigen Front gegen Beck fragen sich die Genossen, wie der Parteichef nach der Wahl in Hamburg reagieren wird. Die einen gehen davon aus, dass der Plan, Ypsilanti zur Wahl zu stellen, nun Makulatur ist. Gegen den öffentlichen Druck komme Beck nicht an, er werde seinen Fehler eingestehen und einknicken. Schon jetzt fühlen sich die Genossen reihenweise gezwungen, auf größtmögliche Distanz zur Linken zu gehen.
Andere hingegen argumentieren, dass Beck nun erst recht auf dieser Lösung beharren müsse, weil ein Rückzieher als Schwäche ausgelegt würde und Becks gerade gewonnene Machtposition wieder in Frage stellen würde.
So einen Aufstand hat es in der Beck-SPD noch nicht gegeben
Es hängt auch vom Wahlausgang ab: Bricht die SPD ein, gerät Beck in Bedrängnis. Die Hamburger SPD hätte dann einen Sündenbock. Es müsste sich allerdings jemand finden, der sich traut, Beck die Stirn zu bieten. Ein zweiter Franz Müntefering ist bisher nicht in Sicht. Am ehesten könnte wohl Steinbrück den Part übernehmen. Für den Fall, dass die Episode keine Stimmen kostet, dürfte die Empörung milder ausfallen. Das grundsätzliche Problem aber bliebe bestehen: Spätestens, wenn Ypsilanti ihre Minderheitsregierung bildet und dabei auf die Stimmen der Linken angewiesen ist, geht das Haareraufen wieder los.
So einen Aufstand hat es in der Beck-SPD noch nicht gegeben - dementsprechend nervös ist die Stimmung in der Parteizentrale. Jede neue kritische Stimme wird aufmerksam registriert. Den SPD-Gremien am Montag stehen bewegte Stunden bevor.
Als sei dieses Bild der Zerrissenheit nicht schon genug, meldete sich heute auch noch der ewige Querulant Wolfgang Clement zu Wort. In der "Welt" warf er den Genossen "Maulheldentum" in der Steuerfluchtdebatte vor und fiel Generalsekretär Hubertus Heil in den Rücken. Der hatte Steuerflüchtlinge in den vergangenen Tagen mehrfach als "neue Asoziale" gebrandmarkt. Dazu Clement: "Wenn von den 'neuen Asozialen' in der Industrie gesprochen wird oder vom 'Abschaum der Menschheit', da fragt man sich schon, ob diejenigen, die solche Begriffe gebrauchen, überhaupt die geringste Ahnung haben, was sie da tun und welche Geister sie wecken."
Im Willy-Brandt-Haus wurde Clements Angriff nicht weiter ernst genommen. Im Vergleich zum Sturm, den Beck entfacht hat, nimmt sich Clements neuerliche Illoyalität wie eine leichte Brise aus. Nein, es läuft nicht rund für die SPD, zwei Tage vor der Wahl in Hamburg.