Rot-rot-grüne Sicherheitspolitik Aus der Traum

Berliner Fernsehturm
Foto: Sophia Kembowski/ dpaKeine drei Wochen ist es her, da unterschrieben SPD, Grüne und Linke ihren Koalitionsvertrag in aller Feierlichkeit. Das war etwas Besonderes. Anders als Rot-Rot-Grün in Thüringen wird Berlin, dem Zentrum Deutschlands, auch überregionale Bedeutung zugeschrieben. Hier regiert die einzige rot-rot-grüne Koalition unter SPD-Führung. Läuft es rund mit "R2G" in der Hauptstadt, wird ein Linksbündnis auch im Bund realistischer - das, sollte es rechnerisch reichen, die Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) gefährden könnte.
Wenn es denn rund läuft.
Bislang gelingt das nur leidlich. Der Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt und der Angriff auf einen Obdachlosen durch eine Flüchtlingsgruppe setzt das Linksbündnis unter Druck. Plötzlich ist Rot-Rot-Grün gezwungen, sich auf Themen zu konzentrieren, die eher von der Union bespielt werden: Anti-Terror-Kampf, Überwachung, Abschiebungen, Jugendgewalt.
Trotzdem will der Berliner Senat eine klare Ansage, etwa zu einer möglichen Ausweitung der Videoüberwachung, erst im Januar machen. Bis dahin müssen SPD, Grüne und Linke ein Sicherheitskonzept erstellen, das so konkret wie möglich ist - aber das nicht gleich die Koalition zerbrechen lässt.
Schließlich verspricht Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag einen "Paradigmenwechsel" in der Abschiebepolitik, Abschiebungen sollen nur "Ultima Ratio" sein. Auch mehr Videokameras schließt der Koalitionsvertrag eigentlich aus.
Während Berlin hadert, entzündet sich am Beispiel der Hauptstadt ein Stellvertreterkonflikt. Bundespolitiker diskutieren über den Sinn und Unsinn von Kameras, den Umgang mit Gefährdern, das Verhindern und Aufklären brutaler Taten. Salopp gesagt über die Frage: Wer kann Krise? Und wer nicht?
Die Auseinandersetzung um Berlin gibt den politischen Sound für das Jahr 2017 vor, sie markiert die Frontlinien für den Bundestagswahlkampf:
Die Union schießt scharf: "Unsere Gegner sind Rot-Rot-Grün und die Populisten im Land", sagte die CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt und rief CDU und CSU zum gemeinsamen Kampf gegen Linksbündnisse auf. Zuvor attackierten mehrere Spitzenpolitiker aus der Union den Berliner Senat wegen seines Neins zu mehr Videoüberwachung, darunter Innenminister Thomas de Maizière (CDU). So viel Einigkeit war lange nicht mehr bei der Union: über die Obergrenze fetzt man sich, doch an Linksbündnissen arbeitet man sich geschlossen ab. Das Wahljahr 2017 wird ein heftiger Lagerwahlkampf.
Die SPD wird getrieben: Mittendrin im Konflikt "Konservative gegen Linke" steckt die SPD. In der Debatte um Berlin wirken die Sozialdemokraten gespalten: Während SPD-Bundespolitiker nach schärferen Überwachungsmethoden rufen, bleibt die SPD in Berlin verhalten. Nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach wirkte die SPD zunächst ebenfalls kaum sprechfähig. In der Sicherheitspolitik stehen die Sozialdemokraten häufig blank da. Dabei dürfte Sicherheit eines der wichtigsten Themen im Bundestagswahlkampf werden.
Grüne und Linke klammern sich fest. Grüne und Linke sind keine Freunde der Überwachung, auch außerhalb Berlins nicht. Sie kritisieren den aus ihrer Sicht zweifelhaften Nutzen und die Einschränkung von Bürgerrechten. Zwar gibt es Grüne und Linke, die Überwachung nicht grundsätzlich verdammen, Mainstream ist diese Haltung in ihren Parteien aber nicht. In Berlin dürften sie sich gegen mehr Videokameras wehren und maximal einer Mini-Ausweitung in Form von Testprojekten zustimmen. Man will die eigene Kernklientel nicht verprellen, es kommt auf jeden Prozentpunkt an: In der bundesweiten Sonntagsfrage liegt die AfD regelmäßig vor Linken und Grünen. Mit Blick auf 2017 wirkt die Festklammerstrategie zwar prinzipientreu, aber auch reichlich unflexibel.
Häufig sind es Sicherheitsfragen, die große politische Debatten anstoßen und Lagerkämpfe befeuern. Ähnliche Aufmerksamkeit wie jetzt Berlin erlebte zuletzt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor knapp einem Jahr, als Hunderte Männer, überwiegend junge Nordafrikaner, in der Kölner Silvesternacht sexuelle Übergriffe begingen. Aufgrund der Ereignisse damals wurden schärfere Abschieberegeln für kriminelle Asylbewerber durchgesetzt.
Die aktuelle Sicherheitsdebatte scheint auf die politische Stimmungslage aber bislang keinen Einfluss zu haben: SPD, Linke und Grüne erreichen gemeinsam stabil 40 Prozent in Umfragen, für Rot-Rot-Grün im Bund reicht es damit bundesweit nicht. Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb würden zu diesem Zeitpunkt auch keine Mehrheit bekommen.
Das mit dem Profilieren werden die Parteien also weiter versuchen müssen - bis es, vielleicht, für ein anderes Bündnis jenseits der Großen Koalition reicht.
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