Rot-rot-grüne Strategie SPD-Spitze spielt volles Risiko - Partei gespalten

Der Plan entzweit die SPD: Parteichef Beck will Andrea Ypsilanti zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen, notfalls mit Stimmen der Linken. Doch der Bruch des Versprechens, nicht mit Lafontaines Leuten zu paktieren, gilt als brandgefährlich - und die Wahlkämpfer in Hamburg sind sauer.

Berlin - Andrea Ypsilanti plant, sich trotz fehlender Koalitionsmehrheit im hessischen Landtag zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Das hat SPD-Chef Kurt Beck nach Angaben von Teilnehmern am Montag in mehreren vertraulichen Runden verkündet - und keinen Zweifel daran gelassen, dass er den Plan seiner Spitzenkandidatin billigt.

Von einer rot-rot-grünen Mehrheit sprach Beck nicht. Doch bedeutet dieser Plan, dass Ypsilanti in Kauf nimmt, sich von der Linken inthronisieren zu lassen - eine Möglichkeit, die sie im Wahlkampf stets verneint hatte. In der SPD wird nun argumentiert, die Stimmen bei der Ministerpräsidentenwahl könnten ja auch von CDU und FDP kommen. Wissen könne das niemand, weil die Wahl geheim sei.

SPD-Chef Beck: Riskante Strategie in Hessen

SPD-Chef Beck: Riskante Strategie in Hessen

Foto: REUTERS

In der Öffentlichkeit hält die SPD-Spitze daher an ihrer Abgrenzungsrhetorik zur Linken fest. Keine Koalition, keine Duldung, "keine aktive Zusammenarbeit" - mit diesen Stichworten versuchen SPD-Generalsekretär Hubertus Heil und Parteichef Kurt Beck seit gestern, sich aus der Affäre zu ziehen. Wenige Tage vor der Hamburg-Wahl sollen die Dementis den Eindruck erwecken, die SPD habe mit der Linken nichts zu schaffen.

Es ist jedoch Haarspalterei, ob Ypsilanti sich formell von der Linken dulden oder nur wählen lässt. Mit Ypsilantis Entscheidung, sich zur Wahl zu stellen, kommt der Linken die Rolle der Königsmacherin zu. Schließlich haben die Parteien ihre Präferenzen bereits deutlich gemacht: Linke und Grüne wollen Ypsilanti wählen, CDU und FDP hingegen nicht. Und es spricht Bände, dass Beck die Möglichkeit einer passiven Zusammenarbeit mit der Linken offen lässt - was immer er sich darunter vorstellt.

War das Becks Versehen oder Strategie?

Die Frage lautet nun: Warum lanciert Beck diese Nachricht vor der Hamburg-Wahl? War es Versehen oder Strategie? Eine mögliche Erklärung: Beck wollte lenkend eingreifen, da die Gerüchte über Ypsilantis Geheimplan eh schon die Runde in der hessischen SPD machten und früher oder später publik geworden wären. Andere Genossen reiben sich jedoch verwundert die Augen und meinen, Beck sei wohl einfach schlecht beraten worden.

Der konservative Seeheimer Kreis und die reformorientierten Netzwerker in der SPD-Bundestagsfraktion protestierten gegen den Plan. "Für die Seeheimer gilt das Wort von Andrea Ypsilanti und Kurt Beck: Keine wie auch immer geartete Kooperation mit der Linken einzugehen", sagte Seeheimer-Sprecher Klaas Hübner. Und auch SPD-Fraktionschef Peter Struck pochte im "Handelsblatt" auf die eigenen Wahlversprechen: "Es gibt die klare Erklärung von Ypsilanti: Wir wollen nicht auf die Stimmen der Linken angewiesen sein."

Alles andere als erfreut reagierten die wahlkämpfenden Genossen in Hamburg. Seit gestern haben sie nur noch mit dem einen Thema zu tun. Als Spitzenkandidat Michael Naumann heute sein Sofortprogramm vorstellte, wurde er mit Fragen zur Linken bestürmt.

Nein, sagte der Bürgermeisterkandidat tapfer, er befürchte nicht, dass die Gerüchte ihm die Wahl verhageln könnten: "Das berührt unseren Wahlkampf nicht." Vielmehr sehe er eine Tendenz für Rot-Grün, behauptete Naumann. Tatsächlich sieht eine neue Umfrage die Linke nur noch bei sechs, die Grünen dagegen wieder bei zehn Prozent. Für eine Koalition mit der SPD würde es dennoch nicht reichen, weil diese nur auf 35 Prozent kommt.

"Ich schwöre bei dem Leben meiner Kinder"

Naumann gab sich alle Mühe, seine Absage an jedwede Zusammenarbeit mit der Linken möglichst kategorisch zu formulieren. "Nein, nein, nein", sagte er, und fügte für die Altkommunisten von der Linken auf Russisch hinzu: "Njet."

Für Hamburg gelte: Keine Koalition, keine Kooperation, keine Tolerierung. "Nicht mit einer Partei, an deren Spitze die charakterlose Maske Oskar Lafontaine steht", sagte Naumann.

Und die Gerüchte über das Geheimtreffen in Hamburg, in dem Beck am Montag in Naumanns Gegenwart Ypsilanti freie Fahrt für ihren Umgang mit der hessischen Linken gegeben haben soll? "Das hat so nicht stattgefunden", sagte Naumann. Auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa hatte er es am Morgen noch theatralischer formuliert: "Ich schwöre bei dem Leben meiner Kinder: Es gab kein Geheimtreffen." Natürlich, sagte Naumann, habe er in den vergangenen Monaten Gespräche mit Ypsilanti und Beck geführt, auch zum Thema Linke. Aber nie sei so etwas besprochen worden.

CDU und FDP sind dankbar für die Vorlage und werfen der SPD Wahlbetrug vor. Die Sozialdemokraten hingegen schieben der FDP die Schuld zu. Nachdem die Sondierungsgespräche über eine Ampelkoalition erfolglos geblieben seien, habe man nun keine andere Wahl, wird argumentiert. Von den Liberalen werde man sich jedenfalls eine SPD-Ministerpräsidentin nicht verhindern lassen.

Sozialdemokratische Spin-Doktoren erklären, die Ypsilanti-Wahl solle vor allem die FDP unter Druck setzen. Die Liberalen sollten sich endlich auf ihre Verantwortung besinnen, Ypsilanti mitwählen und dann eine Ampelkoalition bilden oder zumindest ein rot-grünes Bündnis tolerieren. "Nicht wir holen die Linken ins Boot, sondern die FDP mit ihrer Blockadehaltung", heißt es trotzig.

Mit der Linken die FDP in die Regierung zwingen

Dem SPD-Plan zufolge würde Ypsilantis rot-grüne Minderheitsregierung im Landtag dann Gesetzentwürfe vorlegen, die weitgehend mit dem FDP-Wahlprogramm übereinstimmen. Auf diesem Weg, so die Hoffnung, werde die FDP in eine de-facto-Ampel gezwungen oder aber vor ihren Wählern in Erklärungsnot geraten.

Bisher zeigt sich die FDP wenig beeindruckt. Das kann sich nach der Hamburg-Wahl ändern. Bleiben die Liberalen aber bei ihrer Haltung, dann wird Ypsilantis sogenannte "wechselnde Mehrheit" wohl häufig Rot-Rot-Grün heißen - Dementis hin oder her. Für die Bundes-SPD hat das noch nicht abschätzbare Folgen. Damit wäre das bisherige Tabu gebrochen, im Westen sich nicht von der Linken abhängig zu machen, die in der SPD bisher als "nicht politikfähig" (Heil) galt.

Auch für den Kanzlerkandidaten in spe, Kurt Beck, ist dieses Pokerspiel hochriskant. Denn das Versprechen, im Bund nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, würde damit kaum noch ernst genommen. "Politik lebt von Glaubwürdigkeit", mahnt der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. Union und FDP könnten im Bundestagswahlkampf 2009 mit einigem Recht die Gefahr einer Linksfront beschwören.

Noch haben die Grünen dem Ypsilanti-Plan nicht zugestimmt. "Für uns ist verlässliche Politik wichtig", sagte Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir SPIEGEL ONLINE. Er werde nächste Woche Gespräche mit der FDP und der Linken führen. Die Grünen würden Ypsilanti nur wählen, wenn sie vorher einen Koalitionsvertrag unterzeichnet hätten, sagte Al-Wazir. Er ließ offen, ob er notfalls auch eine Minderheitsregierung bilden würde. Dazu sagte er nur so viel: "Es gab in den vergangenen vier Wochen keinen Gedanken, der nicht gedacht wurde".

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