SPIEGEL ONLINE

Rücktritt von CDU-Mann Boetticher Lolita-Affäre schockiert CDU

Barschel-Komplott, "Heide-Mörder" - und jetzt die Teenager-Affäre: Schleswig-Holsteins turbulente Politik hat einen neuen Skandal. Nach dem Rücktritt des CDU-Landeschefs Boetticher droht der CDU der Machtverlust. Was läuft schief im nördlichsten Bundesland?

Berlin/Kiel - Auf seiner Internetseite ist Christian von Boettichers Welt am Montagnachmittag noch in bester Ordnung: Der CDU-Politiker dankt den Schleswig-Holsteinern für ihr Vertrauen in seine Arbeit - als Fraktionschef im Kieler Parlament, Landesvorsitzender der Partei und Spitzenkandidat. Dabei ist Boetticher die letzten beiden Funktionen zu diesem Zeitpunkt schon einige Stunden los, auch den Fraktionsvorsitz gab er am Montagabend ab.

In der realen Welt ist Boetticher am Sonntagabend brutalst möglich abgestürzt.

Da verkündete er seinen Rücktritt als CDU-Chef und Spitzenkandidat für die anstehende Landtagswahl. Bis zum Wochenende war Boetticher der designierte Nachfolger von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen - nun steht er mit 40 Jahren vor den Scherben seiner politischen Karriere.

"Der Kandidat und das Mädchen" überschreibt die "Bild am Sonntag" ihre Geschichte über von Boetticher, die sein politisches Ende bedeutet. Darin wird erzählt, wie der CDU-Mann zwischen März und Mai 2010 eine Liebesbeziehung zu einer 16-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen hatte.

Neue Details zu der Liaison

Nun tauchen immer neue Details auf. Die Kölner Boulevard-Zeitung "Express" zitiert die inzwischen 17-Jährige mit Aussagen über die Kommunikation zwischen ihr und Boetticher und gemeinsame Treffen. Kennengelernt hatten sich die beiden über Facebook. Der "Express" zitiert die junge Frau weiter: "Es war Liebe. Ich kann bis heute nichts Schlechtes über Christian sagen. Schließlich steckt hinter dem Politiker auch nur ein Mensch mit Gefühlen."

Auch Boetticher spricht von großer Liebe, das betonte er bei seinem emotionalen Auftritt am Sonntagabend. Allerdings stellt sich die Frage, ob Boetticher die Umstände der Beziehung tatsächlich wahrheitsgemäß schildert. Offiziell gilt der Christdemokrat als seit vielen Jahren mit einer Mitarbeiterin der Hamburger CDU liiert, am Sonntagabend betonte er allerdings, in dem Zeitraum zwischen März und Mai 2010 keinerlei Beziehung zu einer anderen Frau gepflegt zu haben. Doch einen Monat später soll er auf der Hochzeit des Hamburger CDU-Politikers Frank Schirra mit seiner Langzeitfreundin aufgetaucht sein und auf die Frage nach eigenen Hochzeitsplänen geantwortet haben: "Ich glaube, wir sind auch bald dran." So berichtet es die "Welt".

Die Notbremse Boettichers war wohl unvermeidlich, dafür werden im Zweifel auch seine Parteifreunde gesorgt haben.

Fotostrecke

Liebesbeziehung zu Minderjähriger: Kieler CDU-Chef tritt zurück

Foto: dapd

Erfahrung im Umgang mit Skandalen sollten sie allemal haben. Denn es gibt wohl kein anderes deutsches Bundesland, das in den vergangenen Jahren so von politischen Skandalen durchgeschüttelt wurde wie Schleswig-Holstein.

  • Die Barschel-Affäre: Der CDU-Politiker Uwe Barschel galt als enormes politisches Talent, als er 1982 mit nur 38 Jahren in Kiel zum Ministerpräsidenten gewählt wurde - doch nur fünf Jahre später war Barschels Karriere beendet. Am Tag vor der Landtagswahl am 13. September 1987 enthüllte der SPIEGEL, dass SPD-Spitzenkandidat Björn Engholm mit Barschels Wissen bespitzelt und diffamiert wurde. Der Ministerpräsident stritt alles ab, gewann die Wahl, doch nach weiteren Enthüllungen ließ ihn die CDU-Fraktion fallen. Ein paar Tage später, am 2. Oktober 1987, wurde Barschel tot in der Badewanne eines Hotels in Genf aufgefunden.
  • Der Fall Engholm: Bei den Neuwahlen im Mai 1988 wird SPD-Mann Engholm zum Ministerpräsidenten gewählt, nur drei Jahre später macht ihn seine Partei zum Bundesvorsitzenden, 1994 soll er für die Sozialdemokraten Kanzler werden. Engholm gilt als ernsthafter Herausforderer für CDU-Amtsinhaber Helmut Kohl. Doch dann wird der Sozialdemokrat von der Barschel-Affäre eingeholt: Schließlich muss Engholm zugeben, viel früher von der Kampagne gegen ihn gewusst zu haben, als bis dahin bekannt war. Er tritt am 3. Mai 1993 von allen politischen Ämtern zurück.
  • Der "Heide-Mörder": Die SPD-Politikerin Heide Simonis wird im Mai 1993 Nachfolgerin von Ministerpräsident Engholm und damit Deutschlands erste Regierungschefin. Simonis regiert relativ unangefochten bis 2005, als ihre Partei bei der Landtagswahl knapp hinter der CDU landet. Simonis strebt zusammen mit den Grünen eine Minderheitsregierung unter Tolerierung des Südschleswigschen Wählerverbands an. Doch am 17. März schafft sie im Landtag keine Mehrheit - in vier Wahlgängen fehlt je eine Stimme. Simonis' politische Karriere ist beendet, noch immer wird darüber spekuliert, wer ihr die entscheidende Stimme versagte. Der "Heide-Mörder" wird bis heute gesucht.

Was läuft schief in Deutschlands nördlichstem Bundesland? Die Fälle lassen sich nicht vergleichen, jeder hatte seinen eigenen Hintergrund, seine ganz eigene Dynamik. Was sich mit einiger Sicherheit sagen lässt: Die politische Auseinandersetzung wird in Schleswig-Holstein mit besonders harten Bandagen geführt. Das politische Personal zwischen Flensburg und Pinneberg ist in der Auseinandersetzung wenig zimperlich. "Es ist schlechte Tradition in unserem Bundesland, dass persönliche Anfeindungen immer wieder die Politik prägen", sagt Robert Habeck, Spitzenkandidat und Fraktionschef der Grünen im Landtag.

SPD und CDU bekämpfen sich seit Jahrzehnten erbittert, und auch innerhalb der Parteien herrscht ein raues Klima. Das zeigte erst neulich die Auseinandersetzung um die Spitzenkandidatur in der SPD zwischen Landeschef Ralf Stegner und Kiels Oberbürgermeister Thorsten Albig, die sich erstmals einem Mitgliederentscheid stellten. Albigs Kampfkandidatur war von Erfolg gekrönt, der Landesparteichef Stegner wurde deutlich abgewatscht.

Auf den Skandal folgt der Machtverlust

Fest steht: Jeder der Skandale hatte schwerwiegende Folgen, im Fall Barschel und nach der Simonis-Pleite verloren die jeweiligen Parteien sogar die Staatskanzlei. Das droht diesmal auch der CDU - ein Machtverlust in Kiel könnte auch für die Bundespartei und Kanzlerin Angela Merkel Folgen haben: Der Rücktritt Boettichers trifft die Partei ein Dreivierteljahr vor der Landtagwahl, sie muss nun schnellstens einen neuen Landeschef und Spitzenkandidaten finden. Immerhin scheint man sich mit Wirtschaftsminister Jost de Jager bereits auf einen Namen geeinigt zu haben.

De Jager wird selbst von der Opposition für seine Arbeit geschätzt - aber kann er es in so kurzer Zeit zum Zugpferd seiner Partei schaffen? Schon jetzt liegt die CDU in Umfragen nur knapp vor der SPD, Rot-Grün käme zurzeit auf eine klare Mehrheit. Und was ist mit dem Glaubwürdigkeitsverlust, den die CDU durch den Fall Boetticher erleidet?

Andererseits: Nach den Skandalen der jüngeren Vergangenheit dürften die Menschen in Schleswig-Holstein ohnehin nur noch wenig von ihren Politikern erwarten.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren