
Deutsche Panzer in Kairo: Ungebremst in die Menge
Rüstungsexporte Regierung muss zweifelhaften Panzer-Deal mit Kairo einräumen
Es sind Szenen blinder Brutalität. Abgespielt haben sie sich in der Nacht des 9. Oktober 2011 auf den Straßen Kairos. Auf den wackeligen Handyvideos sind friedliche Demonstranten zu erkennen, Studenten, christliche Kopten. Sie marschieren auf das Rundfunkgebäude Maspero zu.
Doch dann kommen die Panzer, und die Masse gerät in Panik. Die schweren Fahrzeuge nehmen Kurs auf die Menge. Sie bremsen nicht. Im Gegenteil: Sie beschleunigen, halten auf die Menschen zu. Am Ende sind ein Dutzend Kämpfer für Demokratie tot, zertrümmert von der stählernen Armierung der Wagen oder zerquetscht von deren Vollgummireifen.
Mathias John haben die Bilder nicht mehr losgelassen. Der Aktivist von Amnesty International ist Rüstungsexperte und weiß genau, um welches Kriegsgerät es sich auf den Aufnahmen handelt: den Radpanzer "Fahd". Dahinter verbirgt sich das Modell TH 390 von Thyssen Henschel, heute Rheinmetall. 1300 Stück sind seit den achtziger Jahren in Ägypten unter Lizenz hergestellt worden. "Es ist unsäglich, dass mit deutschen Fahrzeugen ein solches Massaker angerichtet wurde", empört sich John.
Der Menschenrechtler hat mit Hilfe von Linken-Abgeordneten eine Anfrage an die Regierung gestellt. Er will wissen, ob das Bundeswirtschaftsministerium mittlerweile Bescheid weiß, was mit deutschem Kriegsgerät angerichtet wurde.
Doch das Ressort von FDP-Chef Philipp Rösler will nicht direkt einräumen, was jeder halbwegs sachkundige Militärexperte auf den Videos deutlich erkennen kann: dass es der "Fahd" ist. "Die Bundesregierung hat Kenntnis von einem Bericht, nach dem am 9. Oktober 2011 bei Demonstrationen vor dem Fernsehgebäude Maspero mindestens zwei gepanzerte Truppenfahrzeuge mutwillig in die Menschenmenge gelenkt wurden und dabei bis zu zwölf Personen ums Leben kamen."
John findet das feige. Doch diese Feigheit hat einen Grund. Denn der Panzerdeal mit Ägypten stellt die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik in ihren Grundsätzen in Frage. Sie soll genau solche Bilder wie aus Kairo eigentlich verhindern: Nur solche Staaten sollen demnach Waffen erhalten, die sie nicht gegen die eigene Bevölkerung richten, andere Länder überfallen oder an Regime mit ähnlichen Absichten weiterreichen.
Der Arabische Frühling hat nicht zu einem Umdenken geführt
Es ist ein falsches Versprechen. Immer wieder tauchen Bilder auf von deutschem Kriegsgerät in den Händen von Terroristen, von Schlächtern oder der Mafia. Doch so gut sichtbar wie beim "Fahd"-Panzer hat deutsche Exportkontrolle schon lange nicht mehr versagt: Zu besichtigen ist das Versagen auf etlichen YouTube-Filmen, die von Überlebenden des Maspero-Massakers ins Internet gestellt wurden.
Doch dann gesteht die Bundesregierung in ihrer Antwort an das Parlament doch noch etwas Brisantes ein: Sie hat von 2004 bis ins Jahr 2012 genehmigt, dass deutsche Firmen Bauteile für den Radpanzer "Fahd" nach Ägypten liefern: Komponenten wie die Dieselmotoren und die Lkw-Fahrgestelle von Daimler, ohne die die Ägypter einen solchen Panzer niemals selbst hätten herstellen können. Auf rund 131 Millionen Euro beziffert das Ministerium die genehmigten Lieferungen für Teile der gepanzerten Fahrzeuge. Wobei auf das Jahr 2011, dem Jahr des Arabischen Frühlings, allein 55 Millionen Euro entfielen. Der Wert der Ausfuhren könnte sogar noch höher sein, wenn zudem auch noch nicht-genehmigungspflichtige Komponenten für den "Fahd" zugeliefert wurden.
Der Arabische Frühling, bei dem in mehreren nordafrikanischen Staaten die Bürger gegen ihre autokratischen Machthaber aufbegehrten, hat dabei offensichtlich nicht zu einem Umdenken in der Exportpolitik geführt. Man habe "im Februar 2011 im Lichte der laufenden Entwicklungen" die bereits erteilten Genehmigungen überprüft, so gibt das für Ausfuhrkontrolle zuständige Wirtschaftsministerium an. Doch: "Nach Abschluss der Überprüfungen wurden einzelne Genehmigungen wieder erteilt."
Darunter fielen auch die Komponenten für den Radpanzer "Fahd". Als hätte es nicht schon die Aufnahmen vom Maspero-Massaker gegeben, genehmigte das Ministerium auch im Jahre 2012 noch einmal die Ausfuhren von "Fahd"-Komponenten im Wert von 3,5 Millionen Euro. "Die Regierung hat es versäumt, die Konsequenzen aus ihrem Fehler zu ziehen", kritisiert Amnesty-Experte John.
Unterstützung der heimischen Rüstungsindustrie
Die Radpanzer deutscher Herkunft dürften aber nicht nur in Ägypten als Instrument von Menschenrechtsverletzungen gedient haben. Von den 1300 in Lizenz produzierten Fahrzeugen landete eine nicht näher bekannte Zahl in Bürgerkriegsländern wie dem Sudan und der Demokratischen Republik Kongo. Auch das muss das Wirtschaftsministerium eingestehen: "Der Re-Export bedarf der Zustimmung der Bundesrepublik", schreibt das Ressort von Rösler kleinlaut. Das steht so in den Lizenzverträgen drin.
Doch diese Zustimmung hat Ägypten nie eingeholt - das autokratische Regime führte die Radpanzer einfach aus. Menschenrechtler fordern schon lange, dass die Regierung es nicht dabei belässt, sich auf die schriftlichen Endverbleibserklärungen der belieferten Länder zu verlassen. Die Behörden sollen das Verbot eines Re-Exports aktiv kontrollieren. "Warum lässt sich der deutsche Militär-Attaché in Kairo nicht die Bücher der Firma zeigen und sucht darin nach illegalen Exporten in Drittländer?", fragt Amnesty-Mann John.
Der Verstoß gegen die Rüstungsexportgesetze der Bundesrepublik stellt aber auch eine neue Doktrin von Angela Merkel in Zweifel. Denn diese Doktrin macht einen missbräuchlichen Export in Drittländer noch leichter: Die Kanzlerin hat sogenannte strategische Partnerländer ausgemacht, die sie mit deutschen Kriegswaffen ausstatten will. Diese Länder dürfen es mit der Demokratie schon mal nicht so genau nehmen. Hauptsache, sie verteidigen westliche Interessen gegen noch ärgere Schurkenstaaten.
Katar bekommt deshalb "Leopard"-Panzer und Haubitzen, Indonesien Panzer- und Schützenpanzer und Saudi-Arabien soll ebenfalls "Leopard"-Panzer erhalten. Die Merkel-Doktrin soll auch die heimische Rüstungsindustrie unterstützen, denen die Bundeswehr immer weniger Aufträge erteilt.
Bei Husni Mubarak, dem gestürzten ägyptischen Autokraten, war die deutsche Schützenhilfe schon früher genehm: Sein Regime galt als verlässlicher Partner im Nahen Osten. Bis die Sicherheitskräfte des Landes Demonstranten mit "Fahd"-Panzern überrollten.
Jetzt hat die Regierung Algerien zu einem strategischen Partner erkoren.
Das Land soll wie ein Bollwerk in Nordafrika wirken gegen die islamistischen Rebellen, wie sie in Mali wüten. So genehmigte sie Rheinmetall den Bau einer Fabrik in der Nähe von Algiers zur Herstellung des Radpanzers "Fuchs", einem ganz ähnlichen Modell wie dem "Fahd". Die ersten 54 Fahrzeuge werden bereits in Deutschland gefertigt und nach Algerien geliefert. "Wenn sich die Bevölkerung erhebt, könnten die 'Fuchs'-Panzer dort zur Niederschlagung eingesetzt werden", warnt John.
Außerdem könne die Bundesregierung, wie das Beispiel "Fahd" zeige, nicht verhindern, dass der Radpanzer auch in andere Krisenstaaten gelangt. Bis zu tausend Stück sollen in Algerien produziert werden. Ein Export sei nicht vorgesehen, versichern der Düsseldorfer Hersteller und das Wirtschaftsministerium unisono.
Rüstungsexperten halten das für wenig plausibel. Tausend ist eine gewaltige Produktionszahl. Die vergleichsweise große deutsche Bundeswehr kaufte mitten im Kalten Krieg in etwa so viele Radpanzer, wie jetzt in Algerien hergestellt werden sollen.