Rechter Terror Freiheit statt Faschismus

Von Ruprecht Polenz
Nach der Ermordung Walter Lübckes durch einen mutmaßlichen Rechtsextremen muss die CDU dringend deutlich machen, wo Konservativismus endet und wo völkischer Nationalismus beginnt. Für Letzteren ist in der Union kein Platz.
Kundgebung gegen rechte Gewalt (in Berlin)

Kundgebung gegen rechte Gewalt (in Berlin)

Foto: Christoph Soeder/ DPA

Walter Lübcke war CDU-Mitglied. Ich bin stolz, dass ich in derselben Partei bin, wie er. Danke für seine klare Haltung zu Flüchtlingen, deretwegen er von Rechtsradikalen ermordet wurde. Wir sind es ihm und seinen Angehörigen schuldig, uns für Humanität und gegen völkischen Nationalismus einzusetzen.

Ein "Alarmsignal" hat Innenminister Horst Seehofer den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten genannt. Eine solche Tat richte sich "gegen unseren Staat, gegen unser freiheitlich demokratisches System". Es sei ein "Anschlag auf uns alle".

Ausgebuht und angepöbelt

Lübcke hatte sich dafür eingesetzt, Flüchtlingen zu helfen, und war dafür 2015 in einer Bürgerversammlung von geschickt im Raum verteilten Rechtsradikalen ausgebuht und angepöbelt worden. Dann fiel, an die Rechtsradikalen gerichtet, der Satz, der ihn seitdem zur Zielscheibe machte: "Wer diese (christlichen) Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er will."

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Foto: Martin Schutt/ picture-alliance/ dpa

Ruprecht Polenz, Jahrgang 1946, ist CDU-Politiker und war zwischen 1994 und 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags. Acht Jahre lang saß er in dieser Zeit dem Auswärtigen Ausschuss vor. Von April bis November 2000 war Polenz unter der Parteivorsitzenden Angela Merkel Generalsekretär der CDU.

Deshalb war der CDU-Politiker jahrelang ungezügeltem Hass und ungezählten Drohungen im Internet ausgesetzt, befeuert durch Pegida, rechtsradikale Blogs wie politically incorrect oder auch Posts von Erika Steinbach, der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und jetzigen Vorsitzenden der AfD-nahen Erasmus-Stiftung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach angesichts der neuen Ermittlungsergebnisse von "bedrückenden Nachrichten". "Unsere Gesellschaft darf niemals schweigen gegenüber rechtsextremistischem Hass und rechter Hetze", sagte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. "Das fängt bei der Sprache an. Auch Sprache kann eine Waffe sein. Sie kann in letzter Konsequenz sogar töten."

Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber forderte die CDU in einem Kommentar für die "Welt" dazu auf, sich an den Zentrumspolitiker und Reichskanzler Josef Wirth zu erinnern, der 1920 in einer flammenden Rede im Reichstag gesagt hatte: "Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. - Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!" - Das sahen leider die wenigsten "Welt"-Leser so: Nur 100 stimmten Tauber zu; 1263 lehnten seine Meinung ab.

Distanziert, nicht entschuldigt

Auch Vertreter der sogenannten Werteunion, dieser "namenlosen Wichtigtuer" (so Tauber), sahen die Sache anders. Max Otte, der als CDU-Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen Erasmus-Stiftung sitzt, twitterte: "#Lübcke - endlich hat der #Mainstream eine neue #NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht alles so aus, dass der #Mörder ein minderbemittelter #Einzeltäter war. Aber die #Medien hetzen schon jetzt gegen die 'rechte Szene', was immer das ist #Rechtsradikalismus."

Aufgrund heftiger Kritik im Netz hat Otte den Tweet inzwischen gelöscht und sich von ihm "distanziert". Entschuldigt hat er sich dafür nicht. Ich frage mich, wo für die CDU parteischädigendes Verhalten beginnt, das einen Parteiausschluss erfordert.

Die AfD versucht geschickt, diese Grenze zu verwischen. Man vertrete doch Positionen, die die CDU vor dreißig Jahren auch für richtig gehalten habe. Aber die CDU war nie eine völkisch-nationalistische Partei wie die AfD. Auch schwammige Formulierungen wie "Rechtspopulisten" wirken dieser notwendigen Grenzziehung entgegen.

Eine politische Flurbereinigung ist dringend angezeigt. Die CDU muss deutlich machen, wo Konservativismus endet und wo völkischer Nationalismus beginnt. Für letzteren ist in der Union kein Platz.

Nicht wieder die Schlummertaste

"Freiheit statt Faschismus" - mit dieser Aussage könnte die CDU deutlich machen, worum es geht. Umberto Eco, unter Mussolini aufgewachsen, erarbeitete eine Liste von 14 Merkmalen des Faschismus. Es lohnt sich, die einzelnen Punkte mit den Forderungen von Parteien wie der AfD, der FPÖ, dem Front National oder Erdogans AKP zu vergleichen.

Alle lehnen Meinungsvielfalt und Pluralismus ab, sind völkische Nationalisten und suchen Deutungshoheit durch Neusprech zu gewinnen ("Lügenpresse", "Umvolkung"). Madelaine Albright warnt in ihrem Buch "Faschismus - Eine Warnung" zu Recht auch vor der AfD.

Im Video: Innenminister Seehofer zum Fall Lübcke

SPIEGEL ONLINE

Die Ermordung von Walter Lübcke ist ein weiteres Alarmzeichen. Die "Tagesschau" hat in ihrem Faktenfinder 229 Morde, 123 Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge, zwölf Entführungen und 174 bewaffnete Überfälle seit den Siebzigerjahren aufgelistet, die auf das Konto von rechtsextremistischen Terroristen gehen. Ermittler fanden bei Razzien in der rechtsextremen Szene sogenannte Feindeslisten mit 25.000 Namen.

Unsere Gesellschaft muss aufwachen. Das sind wir Walter Lübcke und den anderen Opfern schuldig. Wir dürfen nicht wieder die Schlummertaste drücken, um den Wecker zu überhören.

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