Wurst-Tiraden von Putin-Vertrautem "Männer, rasiert euch!"

Mitten in der Ukraine-Krise besucht der russische Bahnchef und Putin-Vertraute Wladimir Jakunin Berlin. Auf einem Treffen des deutsch-russischen Forums erklärt er seine Welt: die neue Furcht vor Moskau, Conchita Wurst und Homosexualität.
Platzeck (l.) und Jakunin in Berlin: Klare Worte vom Mann aus Moskau

Platzeck (l.) und Jakunin in Berlin: Klare Worte vom Mann aus Moskau

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Berlin - Wladimir Jakunin darf nach Berlin reisen. In die USA kann er derzeit nicht, denn der Chef der russischen Eisenbahn steht auf der Sanktionsliste der US-Regierung. In der EU hat er nichts zu befürchten, deren Sanktionen gelten nicht für ihn. Deswegen kann Jakunin auf dem deutsch-russischen Forum in Berlin sprechen.

Es ist ein erhellender Auftritt. Denn er sagt etwas über das Unverständnis, das in diesen Tagen zwischen Berlin und der Führungselite in Moskau herrscht. Und über die Abgeschlossenheit der Kreml-Elite, die in ihrer eigenen Welt mit eigenen Deutungsmustern lebt. Selbst der Sieg des österreichischen Sängers und TravestiekünstlersConchita Wurst beim Eurovision Song Contest wird hier, wo es eigentlich um Wirtschaft und Politik geht, zum Thema.

Aus Russland erhielt der junge Mann, der eigentlich Thomas Neuwirth heißt, Schmähungen, aber auch viele Stimmen. Jakunin, darauf angesprochen, zeigt einen Vogel und erklärt: Es gebe eben auch in seinem Land Menschen mit "abnormer Psychologie". Die hätten diesen Sänger gewählt, dessen Lied noch nicht einmal gut gewesen sei. In Russland habe eine Initiative ja postwendend die richtige Antwort gegeben: "Männer, rasiert euch! Seid keine Weiber!" So geht das munter weiter: "Die antike Definition der Demokratie hatte nichts mit bärtigen Frauen zu tun, sondern die Demokratie ist die Herrschaft des Volkes."

Exkurs über Homosexualität

Unternehmer, aktive und ehemalige Politiker sind gekommen. Man spricht irgendwie miteinander, aber doch die meiste Zeit aneinander vorbei. So wie bei der Homosexuellen-Gesetzgebung etwa, erlassen unter Wladimir Putin zum angeblichen Schutz von Jugendlichen. Darüber folgt ein regelrechter Exkurs des Chefs der russischen Staatsbahn und Vertrauten des Präsidenten: Untersuchungen hätten ergeben, dass vier Prozent genetisch bedingt homosexuell seien, 25 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren aber hätten noch keine "Vorstellung ihrer sexuellen Identität". Sein Fazit: "Man kann sie in die eine oder andere Richtung ausrichten." Deshalb das Gesetz, mit 18 könne jeder tun, was er wolle. Es nimmt gar kein Ende. Und die gleichgeschlechtliche Ehe? "Das werde ich anerkennen, wenn ich einen schwangeren Mann sehe", sagt Jakunin. Vereinzelte Klatscher, offenbar von seinen Mitarbeitern, ansonsten betretene Stille.

Matthias Platzeck, Ex-Ministerpräsident aus Brandenburg, SPD-Politiker und Ostdeutscher mit langer DDR-Diktaturerfahrung, ist ebenfalls so gar nicht wohl in seiner Haut. Der Auftritt des Russen, eigentlich für das Forum ein publizistisches Desaster. Platzeck bemüht sich, Jakunin gelegentlich zu widersprechen. Das russische Homosexuellen-Gesetz nage an den Grundlagen des menschlichen Zusammenhalts, wirft der Chef des deutsch-russischen Forums ein. Platzeck ist ein höflicher Mensch, laute, scharfe Worte sind seine Sache nicht. Er baut seinem Gast immer wieder Brücken. Doch Jakunin reagiert ungerührt nach dem Motto: Redet ihr im dekadenten Berlin was ihr wollt, ich sage, was ich zu sagen habe.

Die Sanktionen? "Reine Propaganda"

Der Eisenbahn-Chef, der fließend Englisch spricht, ist schlagfertig und auch nicht ohne Humor. Doch wenn es um die Krim und die Ukraine geht, dann wird er bitterernst. Die Sichtweise, alles Gute komme aus dem Westen, alles Böse aus dem Osten, sei gefährlich. Im Westen sei ein "vulgärer Ethno-Faschismus" wieder in Mode. Irgendwann geht es auch um den Krieg im Irak, den Krieg der Nato gegen Serbien, um die Sanktionen, die "reine Propaganda" seien.

Und die Ukraine? Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der gerade vom CSU-Europapolitiker Markus Ferber scharf angegriffen wurde, wird von Platzeck vehement verteidigt und von Jakunin ausdrücklich gelobt. Dessen Politik sei "sehr gut ausbalanciert", die "politische Szene Russlands" zolle ihm daher "großen Respekt". Steinmeier", sagt er, "kann wirklich derjenige sein, der die Brücke bauen kann zwischen der Ost- und der West-Ukraine".

Doch die Besetzung der Krim, von Platzeck wird sie zwar als völkerrechtswidrig gegeißelt, im Saal aber ist sie längst abgehakt. War sie lange geplant oder eine Ad-hoc-Maßahme, wie es der russische Bahnchef darstellt? Platzeck weiß auch nicht, "was im Kreml in den Schubladen lag", aber man solle jetzt lieber einen Schnitt machen und nach vorne sehen. "Viele Fragen halten uns im Moment nur auf", sagt Platzeck.

Die neue Angst vor Russland, der mögliche Rückfall in die Stereotypen des Kalten Krieges in Deutschland, auch darüber wird an diesem Tag gesprochen. In der jungen Generation in Russland hätten viele geglaubt, zu Europa zu gehören. Aber jetzt würden sie sehen, dass sie von Europa nicht akzeptiert würden, sagt Jakunin. Deswegen stünden 80 Prozent der Russen hinter Putin, sagt der 65-Jährige: "Das ist nicht Politik, das ist Psychologie, das ist das Gefühl, gehasst, nicht geschätzt zu werden."

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