Russland-Beauftragter Schockenhoff "Russland braucht keine verordneten Vereine"

Während sich Putin auf den G-8-Gipfel vorbereitet, kommt es in Moskau zur Gegenveranstaltung. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, erklärt im Interview mit SPIEGEL ONLINE, warum er an dem Treffen der Bürgerrechtler teilnimmt und was er von der Regierung erwartet.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schockenhoff, als Russland-Beauftragter der Bundesregierung besuchen Sie einen G-8-Gegengipfel, der diese Woche von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Moskau unter dem Titel "Das andere Russland" veranstaltet wird. Ist das nur eine symbolische Aktion?

Andreas Schockenhoff: Nein. Wir nehmen daran ganz bewusst teil. Während meines Moskau-Aufenthaltes möchte ich in Gesprächen mit Abgeordneten der Duma und mit Vertretern des Kreml verständlich machen, warum wir uns auf dem Treffen der NGOs zeigen. Es ist wichtig, gegenüber der russischen offiziellen Seite deutlich zu machen, warum aus unserer Sicht eine unabhängige, pluralistische Zivilgesellschaft im Interesse Russlands liegt.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Parteifreundin, die Kanzlerin, hatte sich bei ihrem letzten Besuch in Moskau mit Bürgerrechtlern getroffen. Ist das ein Unterscheidungskriterium gegenüber der Art und Weise, wie Merkels sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder Russlandpolitik betrieb?

Schockenhoff: Die Kanzlerin macht deutlich, dass unsere Politik gegenüber Russland nicht nur wirtschaftlichen Interessen dient. Wir wollen eine Werte-Partnerschaft mit diesem großen Land. Dabei sind die Menschen- und Bürgerrechte ein roter Faden, der bei Gesprächen nicht immer die Hauptrolle, aber doch immer mitgedacht werden muss.

SPIEGEL ONLINE: Die russische Regierung hat im November ein Gesetz verabschiedet, das die ausländischen Zuwendungen an NGOs erschwert. Werden Sie dieses Thema ansprechen?

Schockenhoff: Ja, denn ich höre zunehmend von NGOs die Klage, dass sie einer umfassenden Kontrolle und wachsenden Gängelung ausgesetzt sind. So müssen sie aufgrund des Gesetzes alle Veranstaltungen vorher anmelden, Vertreter der staatlichen Aufsicht zu allen Veranstaltungen zulassen, eine übertrieben penible Rechnungsführung durchführen. Zum Teil müssen unklar und missverständlich formulierte Formulare mit mehreren hundert Seiten ausgefüllt werden, für die sie eigentlich Spezialisten bräuchten. Groß ist die Sorge, sich deshalb nicht mehr ausreichend mit ihrer eigentlichen und mit inhaltlicher Arbeit befassen zu können. Hinzu kommt, dass die Regierung willkürlich diejenigen NGOs aussuchen kann, die sie überprüfen will.

SPIEGEL ONLINE: Von offizieller Seite reagiert man in Moakau harsch auf Kritik von Außen. Haben Sie den Eindruck, dass für die Haltung der Bundesregierung überhaupt Verständnis vorhanden ist?

Schockenhoff: Wir betonen in unseren Gesprächen immer, dass wir im gleichen Geist der Partnerschaft auch gegenüber anderen Staaten unsere Sorge zum Ausdruck bringen, wenn wir Menschenrechte in Gefahr sehen - etwa im Falle Guantanamo gegenüber der US-Regierung oder China. Uns geht es nicht darum, Russland an den Pranger zu stellen, sondern deutlich zu machen, dass wir das Land als einen potentiellen Wertepartner sehen.

SPIEGEL ONLINE: Nun hat man aber nicht den Eindruck, in Russland würden westliche Anker wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz hochgehalten. Die US-Regierung, insbesondere ihr Vize Dick Cheney, hat im Mai bei einer Konferenz in Litauen der russischen Regierung vorgeworfen, sie habe nicht nur ihre Rohstoffpolitik als Druckmittel gegen andere Staaten eingesetzt, sondern in ungerechtfertigter und unangebrachter Weise die Rechte des eigenen Volkes eingeschränkt. Ist solch ein deutlicher Kurs nicht angemessener?

Schockenhoff: Die Art und Weise und der Ort, an dem sich Cheney geäußert hat, führen eher zur Verhärtung. Meiner Ansicht nach müssen wir gegenüber Russland deutlich machen, dass es für seine Modernisierung und für eine internationale Machtstellung, die auf mehr als nur auf Öl und Gas und seinem Status als Veto-Macht im Uno-Sicherheitsrat aufbaut, eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft braucht und nicht verordnete oder angepasste Vereine.

SPIEGEL ONLINE: Muss man nicht angesichts der zunehmenden Beschränkungen in Russland befürchten, dass die Zivilgesellschaft zurückgedreht wird?

Schockenhoff: Bürgerrechtler in Russland, so beschnitten ihre Möglichkeit zur Darstellung etwa in den Medien auch ist, so sehr sie auch willkürlichen Maßnahmen ausgesetzt sind, haben mir wiederholt versichert, dass es sich lohne, in die Demokratie in ihrem Land zu investieren. Vergessen wir nicht, dass dieser Prozess erst Mitte der 80er Jahre mit der Perestroika begann.

SPIEGEL ONLINE: Im Augenblick bemüht sich Russland in Vorbereitung des G-8-Gipfels in St. Petersburg um ein positives Image. Was geschieht aber danach?

Schockenhoff: Es gibt in der Tat Befürchtungen von kritischen NGOs, dass nach dem G-8-Gipfel härter gegen sie vorgegangen wird. Insofern ist es wichtig, dass wir den Kontakt mit ihnen aufrechterhalten.

SPIEGEL ONLINE: Unter Schröder wurde der alljährliche Petersburger Dialog begonnen, den die Bürgerrechtler kritisieren, weil bislang die russische Seite keine ihrer Vertreter dazu eingeladen hat. Was kann die Bundesregierung konkret tun?

Schockenhoff: Wir werden gegenüber der russischen Seite darauf dringen, dass beim nächsten Petersburger Dialog, der im Oktober in Dresden stattfindet, auch die gesellschaftliche Breite Russlands abgebildet wird.

SPIEGEL ONLINE: Russische Menschenrechtler haben Angela Merkel gebeten, ihren Einfluss geltend zu machen und Themen wie Menschenrechte auf dem von Deutschland geleiteten G8-Treffen 2007 in Heiligendamm anzusprechen. Wird die Bundesregierung dieser Bitte entgegenkommen?

Schockenhoff: Die Bundesregierung ist dabei, die EU-Ratspräsidentschaft und den G-8-Gipfel vorzubereiten - für beides werden wir im Zusammenhang mit Russland und den Menschenrechten geeignete Vorschläge unterbreiten.

Das Interview führte Severin Weiland

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten