S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Wer hat Angst vor Alice Schwarzer?

Die Regierung von Nordrhein-Westfalen streitet mit Alice Schwarzer um 210.000 Euro an Fördergeldern. Die grüne Emanzipationsministerin Steffens sagt, sie müsse sparen. In Wahrheit geht es darum, Rache zu nehmen.

Was die Gleichstellung der Geschlechter angeht, liegt Nordrhein-Westfalen seit dem rot-grünen Wahlsieg 2010 weit vorn. Um eine "geschlechtersensible Erziehung" zu gewährleisten, werden alle Unterrichtsmaterialien auf "Ausgewogenheit und Rollenmuster bei der Darstellung von Frauen und Männern" überprüft, ganz so wie es die Grünen in ihrem Wahlprogramm versprochen hatten.

Im Verwaltungsalltag gelten die Regeln des "Gender budgeting", also die strenge Quotierung bei allen öffentlichen Ausgaben, damit sich niemand zurückgesetzt fühlt. Selbstverständlich ist die Regierung auch bemüht, Gesetze und Vorschriften des Landes in "geschlechtergerechter Sprache" umzusetzen, wobei das vom Emanzipationsministerium angebotene "Gendering Add-In" für Microsoft Word eine fabelhafte Hilfe bietet.

Was liegt bei so viel emanzipatorischem Eifer näher als die dankbare Reverenz an eine der Ikonen der Gleichberechtigung? Seit Alice Schwarzer in Köln Quartier bezog und von dort ihre "Emma" in die Republik zu verschicken begann, dürfen einmal nicht nur Frankfurt oder Berlin als Ausgangspunkt einer Befreiungsbewegung gelten. Grund genug, stolz zu sein auf dieses Stück revolutionärer Geschichte, sollte man meinen.

Doch das Gegenteil ist der Fall, wie man vergangene Woche den Zeitungen entnehmen konnte. Statt die deutsche Mutter des Feminismus für ihren Einsatz zu würdigen, hat die neue Landesregierung, angeführt von der grünen Emanzipationsministerin Barbara Steffens, die staatlichen Zuschüsse für Schwarzers feministisches Archiv rückwirkend um zwei Drittel gekürzt. Statt 210.000 Euro, wie mit der CDU-geführten Vorgängerregierung vereinbart, gibt es seit Anfang des Jahres nur noch 70.000 Euro, und auch diese Finanzierung steht auf wackligen Füßen, wenn man die Einlassungen der neuen Amtsinhaber in Düsseldorf richtig versteht.

Was also hat Alice Schwarzer sich zu Schulden kommen lassen?

Rot-Grün verweist auf Haushaltsnöte. Trotz aller "Wertschätzung für die großen Verdienste von Alice Schwarzer" müsse die Landesregierung sparen und dabei auch "die Verhältnismäßigkeit der Fördermittel zu anderen Frauenprojekten wahren", heißt es aus der Staatskanzlei. Das ist grober Unfug, der leicht als solcher zu durchschauen ist. Der Haushaltstitel, in den die Förderung von Schwarzers Archiv fällt, ist gerade um neun Millionen Euro erhöht worden. Das Geld geht jetzt nur an andere Träger, das Frauenkulturbüro in Krefeld zum Beispiel, das dafür einen "poetischen Erfahrungsaustausch" von Frauen für Frauen oder ein Debattenforum "zu Themen der Geschlechterrollen beziehungsweise des Feminismus in der Kunst Osteuropas" veranstaltet.

Was also hat Alice Schwarzer sich zu Schulden kommen lassen? Sie hat sich nie das Maul verbogen, auch wenn es um den Teil des politischen Spektrums ging, der sich selbst als progressiv empfand. Das ist das Vergehen, für das sie nun zur Rechenschaft gezogen wird. Schwarzer hat es den Grünen nie leicht gemacht, das ist wahr. Sie hat sich früh über die "Blut-und-Boden-Fraktion" der Ökopartei lustig gemacht und deren "Strickmütter", die nach ihrer Ansicht mit dem, wofür "Emma" steht, "nämlich totale Chancengleichheit, gleiche Rechte, gleiche Pflichten, noch nie etwas anfangen konnten". Sie hat die "Anything-goes-Moral" der Linken attackiert und den "Kulturrelativismus", der die systematische Entrechtung von Frauen in der islamischen Welt als Teil einer religiösen Tradition wegzuerklären versuchte.

Vor allem aber hat sie sich nie mit dem kollektivistischen Ethos abgefunden, das auf jede Ausnahmestellung mit Abwehr reagiert. "Ich weiß noch, wie ich das erste Mal im Frauenzentrum saß", berichtete sie kürzlich im SPIEGEL über ihre Rückkehr 1974 aus Paris: "Da hob eine Frau zwei Hände. Ich fragte, warum hebt die denn zwei Hände? Da hieß es: Meldung zur Geschäftsordnung. In Frankreich hatte man einfach lauter geschrien als die anderen, wenn man was sagen wollte. Jetzt ermahnte mich die Protokollführerin: Setz dich, du bist noch nicht dran. Da dachte ich, nein, Mädels, das mache ich nicht mit, ich lasse mir nicht das Denken verbieten."

Spätestens seit Schwarzer ihre Sympathien für Angela Merkel erkennen ließ, sind die Grünen durch mit der Frauenrechtlerin aus Köln. Seitdem hat sie aufgehört, eine "kritische Stimme" zu sein beziehungsweise "Sprachrohr des Feminismus", wie die Landesvorsitzende der Grünen, Daniela Schneckenburger, nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb 2009 schlankweg erklärte.

Den modernen Feminismus, wie ihn die Nachfolgegeneration verkörpert, treibt keine politische Idee mehr. Hinter dem Versprechen der Emanzipation steht nur noch die Vorteilsgewinnung, deshalb auch die Verkürzung jeder Diskussion auf die Quote. Gleichstellungspolitik funktioniert hier folgerichtig als Patronage der eigenen Anhängerschaft. Wer dazu nicht zählt, soll sich nicht beschweren: Was eine Fehlinvestition ist, weiß man auch bei Rot-Grün, so viel von Haushaltsdingen versteht man dann doch.

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